Выбрать главу

Hans hatte keine Zeit gehabt, das Vorhaben des Abtes vorauszusehen und den unglücklichen Gauthier vor der kalten Dusche zu bewahren. Aber er bemühte sich sofort, den Zorn des heiligen Mannes zu besänftigen, dessen wütende Miene keinen Zweifel an seinem Verlangen zuließ, daß der vom Teufel besessene Unbekannte alsbald aus seinem heiligen Hospiz gebracht wurde. Hans hatte Cathérine einen besorgten Blick zugeworfen.

»Ihr müßt jetzt gehen. Man wird Euch einen zweirädrigen Planwagen geben, um ihn fortzuschaffen. Der Abt glaubt, er sei vom Teufel besessen … und ich kann nicht mehr viel für Euch tun!«

»Ist er wirklich … besessen?« fragte Cathérine bestürzt.

Es war Josse, der sie unerwarteterweise aufklärte.

»Die alten Römer nannten diese Krankheit die heilige Krankheit. Sie behaupten, daß ein Gott den Menschen in seinem Krampf bewohne. Aber ich habe einmal einen maurischen Arzt gekannt, der versicherte, es handle sich nur um eine Krankheit, deren Sitz im Kopf sei.«

»Ihr habt einen maurischen Arzt gekannt?« fragte Hans erstaunt. »Wo denn?«

Josses verkniffenes braunes Gesicht rötete sich jäh.

»Oh«, meinte er unbekümmert, »ich bin viel herumgekommen!«

Weiter ließ er sich nicht darüber aus, und Cathérine wußte, warum. In einem mitteilsamen Augenblick hatte Josse ihr einmal anvertraut, daß er in einer Pechsträhne einst zwei Jahre auf einer Berbergaleere hatte rudern müssen. Daher kamen seine unerwarteten Kenntnisse.

»Ein maurischer Arzt?« fragte Hans nachdenklich.

Während sie Gauthier, der allmählich ruhiger geworden war, wieder in sein Linnen wickelten und zum Karren trugen, den ein Bruder in den Hof geführt hatte, erzählte er seinen beiden Freunden, was er in Burgos über den sonderbaren Erzbischof von Sevilla, Alonso de Fonseca, gehört hatte. Prunkliebend, habgierig, leidenschaftlicher Sammler von Edelsteinen und begeisterter Alchimist, unterhielt der Erzbischof in seiner Feste Coca einen bizarren Hof, an dem Astrologen und Alchimisten weit zahlreicher vertreten waren als Mönche. Das große Wunder an diesem Hof war nach allem, was man vernahm, ein maurischer Arzt mit reichem Wissen und außerordentlichen Fähigkeiten.

»Wenn die Vertrauten des Konnetabels Alvaro de Luna nicht in der Nähe sind, flüstern sich die Leute von Burgos gerne zu, dieser Arzt könne Wunder vollbringen. Warum sucht Ihr ihn nicht auf? Wenn Ihr nach Toledo fahrt und dabei in Coca Station macht, würde das kein Umweg sein.«

»Welchen Grund sollte der Herr Erzbischof haben, uns zu empfangen?« fragte Cathérine skeptisch.

»Drei Gründe: seine Gastfreundschaft, die sprichwörtlich ist; das Interesse, das er an allen fremden Dingen nimmt, die sich unter seinem Dach abspielen; und endlich … habe ich Euch nicht schon gesagt, daß er leidenschaftlicher Sammler von Edelsteinen ist?«

Diesmal hatte Cathérine verstanden. Wenn sie kein anderes Mittel hatte, sich der Dienste des Magiers von Coca zu versichern, würde der Smaragd der Königin Yolande ihr bestimmt die Pforten zu der Festung öffnen.

Ihr Entschluß war schnell gefaßt. Um Gauthier zu retten, war sie bereit, noch weit andere Opfer zu bringen als einen Umweg auf ihrer Route und den Verlust eines Juwels, so teuer es ihrem Herzen auch war. Sie hatte Hans für seine uneigennützige Hilfe mit einer Wärme gedankt, die den Deutschen tief erröten ließ. Als ihre Lippen die schlechtrasierte Wange Hans' berührten, hatte sie gesehen, wie seine hellen Augen sich mit Tränen füllten.

»Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, Dame Cathérine?«

»Wenn Ihr Eure Arbeit hier beendet habt und ich Montsalvy wiedersehe, kommt Ihr zu uns, um bei uns Wunder zu vollbringen.«

»Das schwöre ich!«

Ein letztes Händeschütteln zwischen den beiden Männern, ein letztes Lebewohlzeichen, und das Fuhrwerk hatte sich rumpelnd auf den Weg nach Süden gemacht. Hinten war Gauthier bequem im Stroh untergebracht. Josse hatte die Zügel ergriffen und trieb die beiden Pferde an. Wenig an ein Geschirr gewöhnt, nahmen diese jeden Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit und Kraft in Anspruch. Cathérine jedoch hatte nichts anderes zu tun, als die Landschaft zu betrachten.

Trotz der Sonne, die jetzt am blauen Himmel strahlte, war der unfruchtbare, wilde, baumlose Landstrich von einer bedrückenden Traurigkeit, der sich der immer ferner klingende Ton der Totenglocke, die die Mönche des Hospizes für den verstorbenen Pilger läuteten, zugesellte.

Catherines Gedanken verweilten bei diesem Gerbert, dem fremden und verbrecherischen, der in seinem Stolz und seinem Schmerz wie in einem doppelten ehernen Panzer eingeschlossen gewesen war. Sie hatte begriffen, daß sich seine Seele in Not unter seinem erbarmungslosen Äußeren verbarg, und bedauerte, nicht versucht zu haben, ihn besser zu verstehen. Mit etwas Freundlichkeit wäre es ihr vielleicht gelungen, sein verschlossenes Herz wenigstens halb zu öffnen … Vielleicht wären sie sogar Freunde geworden …

Trotzdem sagte ihr eine innere Stimme, sie versuche, sich in einer falschen Hoffnung zu wiegen. Bei einem Mann wie Gerbert waren nur zwei Gefühle möglich: Liebe oder Haß. Was sie betraf, so hatte er den Haß aus Furcht vor der Liebe gewählt, und jetzt hatte der versöhnende Tod diese leidende Seele für immer beruhigt. Vielleicht war es nach allem besser, statt sich zu grämen, Gott für seine Gnade zu danken …

Von Gerbert glitten Catherines Gedanken zu Gauthier, aber sie wollte nicht lange dabei verweilen. Sein Zustand bereitete ihr so bitteren Kummer, daß dies ihren Mut schwächen könnte, den sie mehr als je brauchte. Sie durfte sich nicht mürbe machen lassen, wenn sie die Chance wahrnehmen wollte, ihn zu retten. Es war schon schön, ihn wiedergefunden und einem schrecklichen Tod entrissen zu haben, nachdem sie ihn längst für sich verloren geglaubt hatte. Wer konnte sagen, ob der Maure des Erzbischofs Fonseca ihm nicht den Verstand wiedergeben würde und ob sie nicht im Triumph und unversehrt eines Tages in das märchenhafte Land der Mauren einziehen würden, um Arnaud zu befreien?

Arnaud … Verblüfft entdeckte Cathérine, daß sie ihm seit mehreren Tagen, völlig in Anspruch genommen von dem grausamen Problem Gauthier, kaum einen Gedanken gewidmet hatte. Nachdem sie nun Muße hatte, an ihn zu denken, stellte sie fest, daß ihr Zorn nicht verebbt war, im Gegenteil, daß er vielleicht noch mehr kochte, seitdem sie Gauthier wiedergefunden hatte. So viele Strapazen und Leiden erduldet für einen flatterhaften Gatten, der keine Ahnung davon hatte und höchstwahrscheinlich zu dieser Stunde, in der seine Frau die gelbe Einöde des alten Kastiliens langsam an sich vorüberziehen sah, einen Mann, der den Verstand verloren hatte, mit sich führend und das Herz überquellend vor Kummer, sich von den Liebkosungen einer Ungläubigen im Lustgarten eines sarazenischen Palastes umgirren ließ! Das derart beschworene Bild brachte die übliche ablenkende Wirkung hervor. Sie warf der Umgebung einen mit Groll geladenen Blick zu.

»Was für ein häßliches Land! Bleibt es so bis Granada?«

»Glücklicherweise nicht!« antwortete Josse mit seinem seltsamen Lächeln um die geschlossenen Augen. »Aber ich muß sagen, daß wir die Wüstenei noch nicht hinter uns haben.«

»Wo werden wir heute übernachten?«

»Ich weiß es nicht. Wie Ihr feststellen könnt, gibt es nicht viele Dörfer. Noch ist die Mehrzahl derer, die es einmal gab, verfallen und verlassen. Die große schwarze Pest im vergangenen Jahrhundert hat die Städte verwüstet und das Land entvölkert.«