Выбрать главу

»Trotzdem gibt es immer noch Überlebende!« murrte Cathérine. »Und nach einem Jahrhundert wäre es vielleicht endlich an der Zeit, wieder das Land zu bestellen!«

»Ihr rechnet nicht mit der Mesta!«

»Was ist denn das?«

»Die Zunft der Schafzüchter. Sie ist eine der seltenen Produktivkräfte dieses Landes. Ihre riesigen Herden ziehen von Landstrich zu Landstrich, den Jahreszeiten folgend, und keine Grenze und kein Hindernis kann sie aufhalten. Wie wollt Ihr unter solchen Bedingungen das Land bestellen? Da, schaut!«

Mit seiner Peitsche deutete Josse auf einen dunkelbraunen Fleck am blassen Horizont, der hin und her zu wogen schien. »Da drüben sind mehrere hundert Stück Vieh, aber Ihr könnt sehen, daß sie gut bewacht werden.«

Tatsächlich waren die üblichen ländlichen Gestalten von Hirten in langen Gewändern zu sehen, dazu einige Reiter auf Maultieren, die, sonst ebenso bäurisch wie ihre Gefährten, im Gürtel jedoch große Hirschfänger trugen. Josse hob die Schultern. »Diese Tiere sind der Reichtum irgendwelcher Leute. Der Rest des Landvolks lebt in gräßlichem Elend. Aber mit einigem Glück werden wir vielleicht ein Schloß oder sonst ein Quartier finden, das uns aufnimmt …«

»Seht zu, daß wir irgendwo einen Bach, ein Flüßchen oder auch nur eine einfache Pfütze in der Umgebung finden. Seit langem habe ich mich nicht so schmutzig gefühlt …«

Josse warf ihr einen spöttischen Blick zu und hob wieder die Schultern:

»Eine Leichtigkeit! Wasser, Dame Cathérine, ist hier noch seltener als Nahrung.«

Entmutigt stieß die junge Frau einen Seufzer aus und sank tiefer auf ihren Sitz.

»Wahrhaftig, das Leben ist sinnlos …«, stöhnte sie. »Und wie lange wird es noch dauern bis Coca?«

»Fünf Tage, wenn diese beiden Biester sich endlich bequemen, im Gleichschritt zu gehen statt jedes für sich!«

Und in der trügerischen Hoffnung, sein Gespann dadurch aufzumuntern, stimmte Josse ein Trinklied an, so entsetzlich falsch, daß Cathérine eine Grimasse schnitt.

»Was wollt Ihr damit erreichen?« spöttelte sie. »Daß es regnet oder daß diese Tiere uns durchgehen?«

Aber ihre schlechte Laune war verflogen. Sie stimmte sogar in Josses Lied ein, und so kam ihr der Weg weniger monoton vor.

7

Trotz der augenscheinlichen Bockigkeit seiner Pferde hielt Josse Wort. Die Reise dauerte nur fünf Tage. Fünf ereignislose, nicht so mühsame Tage, wie Cathérine befürchtet hatte. In den wenigen Dörfern und kleinen Städten oder bei den Schafhirten konnten sie sich gegen ein paar Geldstücke Käse, Buchweizenfladen und Milch beschaffen. Cathérine fand sogar den Fluß ihrer Träume in der Nähe des Städtchens Lerma, wo eine Menge Ziegenhautschläuche von allen Dächern herunterhingen, um in der Sonne zu trocknen. Das Wasser war noch kalt, aber das Wetter hatte ganz plötzlich und ohne Vorankündigung sommerlichen Charakter angenommen. Dem Wind und dem peitschenden Regen war eine unerwartete Hitze gefolgt, die der jungen Frau den Wassermangel und das Fehlen von Körperpflege immer unerträglicher gemacht hatte. Der Anblick des Wassers hatte sie begeistert. Es war sehr richtig, daß sie Josse erlaubt hatte, sich ein wenig aus der Stadt zu entfernen. Ohne Sorge, gesehen zu werden, und nachdem sie Josse freundlich befohlen hatte, sich umzuwenden, hatte sie sich die Kleider heruntergerissen und sich kopfüber ins Wasser gestürzt. Und dies alles so schnell, daß ihr schlanker Körper nur einen Augenblick in der Sonne geglänzt hatte, bevor er im Wasser untergetaucht war.

Von allen Bädern, die Cathérine in ihrem Leben genommen hatte, war ihr dieses als das beste vorgekommen, obgleich die Fluten nicht sehr klar waren. Sie war lange mit Genuß geschwommen, zuerst quer über den Fluß und dann wieder zurück, und hatte sich im Schutz eines Uferfelsens jeden Teil ihres Körpers sorgfältig abgerieben. Sie hätte in diesem Augenblick viel für ein Stück dieser wunderbaren parfümierten Seife gegeben, die man früher im burgundischen Flandern eigens für die schöne Geliebte des Großherzogs des Abendlandes herstellte. Jedoch war dies wirklich das einzige, was sie aus ihrem vergangenen Leben vermißte. Es konnte ihr großes Vergnügen an ihrem Bad nicht schmälern. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Seitenblick auf Josse und das Gespann. Der ehemalige Landstreicher schien sich in eine Statue verwandelt zu haben. Steif auf seiner Bank sitzend, heftete er seinen Blick starr auf die Ohren der Pferde, die sich die Rast zunutze machten, um einige der spärlichen Grasbüschel zu fressen.

Als sie sich für sauber genug hielt, stieg Cathérine aus dem Wasser und hüllte sich eilig in ihr Hemd. Doch zog sie ihren Reitrock nicht wieder an. Die Hitze machte den dicken, fast unbearbeiteten Wollstoff beschwerlich, und außerdem starrte er vor Schmutz. Nach der lenzlichen Frische des Wassers schien ihr sein Schweißgeruch unerträglich. In ihrem Gepäck hatte sie ein Kleid aus feiner grauer Wolle, ein sauberes Hemd und Strümpfe ohne Löcher, die sie anziehen würde.

Als sie einen Augenblick später zurückkam, trocken und frisiert, stellte sie fest, daß Josse sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Sie konnte sich nicht enthalten, boshaft zu sticheln.

»Nanu, Josse! Hat Euch das frische Wasser nach soviel Strapazen und Staub nicht gereizt?«

»Ich mag Wasser nicht!« erwiderte Josse in einem so trübsinnigen Ton, daß die junge Frau in Lachen ausbrach.

»Zum Trinken, glaube ich Euch gern. Aber zum Waschen ist es doch sehr schön. Warum habt Ihr Euch mir nicht angeschlossen?«

Sie hatte ihre Frage in aller Unschuld gestellt, daher war ihre Überraschung groß, als sie Josse puterrot werden sah. Er räusperte sich, um die Stimme klar zu bekommen, aber es klang trotzdem seltsam heiser, als er erklärte:

»Vielen Dank, Dame Cathérine … aber dieses Wasser lockte mich nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil …« Er zögerte einen Augenblick, dann, einen tiefen Seufzer ausstoßend wie jemand, der einen Entschluß gefaßt hat: »Weil ich es für gefährlich halte!«

»Gefährlich? Und Ihr habt mich darin baden lassen?« spöttelte Cathérine, die sich über die Verlegenheit des Burschen höchlichst ergötzte.

»Für Euch war es nicht gefährlich!«

»Ich verstehe immer weniger.«

Josse, der sichtlich Qualen litt, schien sich auf seinem Sitz so unbehaglich zu fühlen, als wäre dieser ein rotglühender Rost. Beharrlich blickte er vor sich hin, doch plötzlich wandte er den Kopf, begegnete dem amüsierten Blick Catherines und erklärte würdevolclass="underline" »Dame Cathérine, ich bin immer ein vernünftiger Mann gewesen, das hat mich bis jetzt am Leben erhalten und wird mich, wie ich wenigstens hoffe, ein vorgeschrittenes Alter erreichen lassen. Damals, als ich meine abgenutzten Schuhsohlen und meinen leeren Bauch noch über das Pflaster von Paris schleppte und, besonders, als ich fast Hungers starb, mied ich die Nähe von Garküchen, auf deren Feuern so viele fette, schöne und nahrhafte Düfte ausströmende Kapaune brieten, die für mich unerreichbar waren. Ich weiß nicht, ob Ihr versteht, was ich meine?«

»O doch, es ist mir durchaus klar!« entgegnete Cathérine, ihren Platz neben ihm wieder einnehmend. Sie lächelte nicht mehr und in dem Blick, den sie auf ihren Gefährten richtete, lag ein Anflug von Achtung und Freundschaft. Dann fuhr sie in absolut sachlichem Ton fort: »Ich bitte Euch um Verzeihung, Josse. Ich hatte mit einemmal Lust verspürt, Euch zu hänseln.«

»Mich zu hänseln oder mich auf die Probe zu stellen?«

»Beides vielleicht«, gab Cathérine freimütig zu. »Aber Ihr habt Euer Examen glänzend bestanden. Brechen wir nun auf?«

Und die Reise war ohne weiteres Scharmützel verlaufen. Gauthier auf seinem Stroh war fast immer bewußtlos. Von Zeit zu Zeit schüttelte ihn eine der fürchterlichen Krisen, die Cathérine so sehr erschreckten. In den Pausen dazwischen erwachte er nicht aus seinem höchst beunruhigenden schlafsüchtigen Zustand, denn jetzt war er nicht einmal mehr genügend bei Bewußtsein, um sich zu ernähren. Man mußte ihn wie ein kleines Kind füttern. Am Abend der letzten Wegstrecke hatte Cathérine Josse mit Tränen in den Augen zu Rate gezogen.