Die Kerze ergreifend, zündete sie die beiden auf der Truhe an der Wand stehenden Kandelaber an. Auf dem Bett sitzend, sah er ihr verständnislos zu.
»Warum das alles? Komm …«, bat er, ihr die Hände ungeduldig entgegenstreckend, bereit, von ihr Besitz zu nehmen. Aber mit einem Blick hielt sie ihn zurück:
»Warte, sag' ich …«
Sie entfernte sich ein paar Schritte. Dann nahm sie ein Messer vom Tisch, schnitt mit einem Streich die Verschnürung ihrer Robe durch, streifte sie hastig ab und ließ den weißseidenen Unterrock und das feine Hemd zu Boden gleiten. Sein trunkener, gieriger Blick verfolgte jede ihrer Bewegungen, glitt über ihren Körper, der sich vor ihm entblößte. Cathérine fühlte ihn auf ihren Brüsten, auf ihrem Leib, ihren Schenkeln und erfreute sich daran wie an einer Liebkosung. Als die letzte Hülle gefallen war, rekelte sie sich wie eine Katze im warmen Licht der Kerzen, dann glitt sie aufs Bett, streckte sich aus und öffnete endlich die Arme:
»Jetzt komm!«
Da warf er sich auf sie …
»Cathérine! …«
Er hatte ihren Namen gerufen, es war wie ein Schrei auf dem Höhepunkt der Euphorie, und keuchend betrachtete er jetzt mit verstörten Augen das süße Gesicht, das er zwischen den Händen hielt. »Cathérine«, wiederholte er. »Dame Cathérine! Träume ich noch?«
Eine Woge der Freude überspülte die junge Frau. Hamza hatte recht gehabt. Die Liebe war wieder erwacht, hatte ein Wunder bewirkt … Der Mann, den sie in den Armen hielt, war kein Fremder mehr, kein Leib, dessen Seele entflohen war. Er war wieder er selbst geworden … und sie fühlte sich so beglückt wie seit langem nicht. Als er versuchte, sich von ihr zu lösen, hielt sie ihn in ihren Armen zurück und drückte ihn an sich.
»Bleib! … Ja, ich bin's … Du träumst nicht, aber verlaß mich nicht! Ich werde es dir später erklären. Bleib, liebe mich … Heute nacht gehöre ich dir.«
Der Mund, der sich ihm bot, war zu süß, zu zärtlich der Leib, den Gauthier umschlang. Es war auch ein zu alter Traum, zu lange und zu grausam verbannt, diese angebetete Frau endlich zu besitzen. Er hatte das Gefühl, einen Traum zu erleben, aber die warme Haut, der berauschende Duft dieses Fleischs waren erschütternde Wirklichkeit. Er gab sich ihr mit Leidenschaft hin, erfrischte sich an ihr wie an einem starken Wein mit der Gier eines Menschen, der viele Tage lang Durst gelitten hat. Und Cathérine, glücklich, selig, überließ sich mit animalischer Freude diesem Liebessturm.
Gegen Mitternacht jedoch schien es ihr, als ob sich etwas Seltsames ereignete. Sie glaubte, die Tür der Kammer knarren zu hören. Sie richtete sich auf, horchte einen Augenblick und machte Gauthier ein Zeichen, sich still zu verhalten. Die Kerzen waren fast heruntergebrannt, gaben jedoch noch Licht genug, um erkennen zu lassen, daß die Tür sich nicht bewegte. Sonst war kein Geräusch zu hören … Da dachte Cathérine, sie sei das Opfer einer Täuschung gewesen, vergaß die Tür und wandte sich wieder ihrem Geliebten zu …
Der Morgen dämmerte beinah, als Gauthier endlich einschlief. Er sank in schweren, tiefen Schlaf und erfüllte den Turm mit einem sonoren Schnarchen, das Cathérine zum Lächeln brachte. Das waren die wahren Siegesfanfaren! Einen Augenblick betrachtete sie den Schlafenden; friedlich, gelöst, mit weichen, halbgeöffneten Lippen lag er da. Sein mächtiger, quer über dem zerwühlten Bett ruhender Leib hatte etwas Kindliches. Sie empfand tiefe Zärtlichkeit für ihn. Die Liebe, die er ihr geschenkt hatte, war, wie sie wußte, selten. Gauthier liebte sie um ihrer selbst willen, ohne etwas für sich zu beanspruchen, und diese Liebe erwärmte wieder ihr erstarrtes Herz.
Sie beugte sich über den Schläfer und küßte sacht die geschlossenen Lider. Dann zog sie sich hastig an, denn sie wollte noch vor Tagesanbruch wieder in ihrem Gemach sein. Es war nicht einfach, sich anzuziehen – die durchgeschnittenen Verschnürungen ihres Gewandes machten es ihr schwer –, aber es gelang ihr schließlich doch, sie mehr schlecht als recht zusammenzuknüpfen. Nachdem sie fertig war, glitt sie hinaus, lief auf Strümpfen die Steintreppe hinunter, um im Hauptturm keinen Widerhall zu erzeugen. Der Himmel über dem Schloß begann sich blaß zu verfärben. In den Gängen und Fluren brannten die Fackeln rauchend aus. Auf ihre Piken gestützt, nickten die Wachtposten hin und wieder ein. Cathérine gelangte in ihr Gemach, ohne einer lebenden Seele zu begegnen. Ihr Gewand wegwerfend, das sie mit beiden Händen an sich gedrückt hatte, sank die junge Frau mit einem wollüstigen Seufzer auf die frischen Laken ihres Bettes.
Sie fühlte sich müde, wie gerädert durch die leidenschaftliche Nacht, die sie durchlebt hatte, gleichzeitig aber merkwürdigerweise befreit von ihren Phantomen und beinahe glücklich. Gewiß, es war nicht das berauschende Aufgehen im Nichts, das nur Arnaud ihr geben konnte. In den Armen des einzigen Mannes, den sie jemals wirklich geliebt hatte, vergaß sich Cathérine, löste sich in Glück auf, gab jede Eigenpersönlichkeit auf, jeden Willen, um mit ihm ein Fleisch, ein Herz zu werden. Aber in dieser Nacht hatten die tiefe Zärtlichkeit, die sie für Gauthier empfand, ihr glühender Wunsch, seinen Geist dem gefährlichen Nebel des Wahnsinns zu entreißen, und der schmerzhafte Hunger ihrer Sinne die Leidenschaft vollkommen ersetzt. Sie hatte entdeckt, welche Befriedigung des Körpers und der Seele die Liebe eines feurigen und ehrlich verliebten Mannes geben konnte. Selbst das irritierende Problem, das Fray Ignacio darstellte, verkleinerte sich, wurde irgendwie weniger undurchsichtig …
Und was die kommenden Tage bringen würden, zu welcher Veränderung in ihrem Dasein ihre neuen Beziehungen zu Gauthier führen würden, darüber nachzudenken, weigerte sich Cathérine. Jedenfalls jetzt … Später … Morgen … Augenblicklich war sie müde, so müde! … Sie hatte nur Lust zu schlafen. Die Augen fielen ihr zu, und sie versank in ein glückliches Nichts.
Das leichte Streichen einer Hand über ihren Leib und ihre Schenkel weckte sie plötzlich. Es war noch sehr früh. Die Dämmerung brach gerade erst an. Trotz ihres verschlafenen Blicks entdeckte Cathérine sofort eine neben ihr auf dem Bett sitzende Gestalt, aber sie erkannte ihren Besucher nicht sogleich, weil sie noch im Halbschlaf war. Die morgendliche Kühle und das langsame Streichen der Hand, die sie unaufhörlich liebkoste, brachten sie jäh zu vollem Bewußtsein. Die Laken und Decken waren zurückgeschlagen und entblößten die fröstelnde junge Frau völlig. Im selben Augenblick bewegte sich die Gestalt, neigte sich über sie. Mit vor Grauen aufgerissenen Augen sah Cathérine endlich, daß es Tomas von Torquemada war, doch sie hatte Mühe, ihn zu erkennen, so dämonisch sah er aus. Die Augen waren unmäßig groß, seine Kinnbacken mahlten, er fletschte die Zähne, und in seinen Mundwinkeln hatte sich leichter Schaum gebildet … Entsetzt wollte sie schreien. Aber eine brutale Hand verschloß ihr den Mund. Sie versuchte, sie zurückzustoßen – vergebens. Eine Klaue griff nach ihrer Brust, ein heftiger Kniestoß zwang ihre Beine auseinander, während ein nackter Körper, mit kaltem Schweiß bedeckt und säuerlich riechend, sich auf sie warf.
Von Ekel gepackt, wand sie sich unter dem Jungen. Er gab ihr eine so heftige Ohrfeige, daß sie aufstöhnte. Er lachte leise. »Mach keine Geschichten, Hure! … Ich habe dich heute nacht gesehen, im Turm, mit deinem Diener! … Ah, du hast dich mit vollem Herzen hingegeben, liederliches Frauenzimmer! Die Männer, darauf verstehst du dich, was, Unzüchtige? Los, los, zeig mir, was du kannst! … Jetzt bin ich dran … Umarme mich, Dirne!«
Er unterbrach seine Beleidigungen durch feuchte Küsse, die Cathérine anwiderten, und dumpfes Wimmern, das fast ebenso abstoßend war. Er hielt die junge Frau mit nervöser, eisenharter Faust, versuchte aber wie wahnsinnig, sein Opfer zu besitzen, ohne daß es ihm gelang. Unter der knochigen Hand, die sich auf ihre Lippen preßte, glaubte Cathérine zu ersticken.