Sie dachte nicht mehr, war einzig von dem Instinkt getrieben, diese feuchte Scheußlichkeit, diesen ekelhaften, quälenden Traum abzuschütteln. Der wollüstige Dämon, der den Jungen beherrschte, war das Schlimmste, was sie je kennengelernt hatte. Nicht einmal Gilles de Rais war in dieser Hinsicht so abstoßend gewesen.
Einen Augenblick ließ der Druck der Hand auf ihrem Mund leicht nach. Sie machte es sich zunutze und biß derart wild zu, daß Tomas aufschrie und instinktiv die Hand zurückzog. Dann schrie sie mit aller Kraft, mit dem ganzen Instinkt eines Tieres in Gefahr … Er schlug auf sie ein, ohne sie zum Schweigen zu bringen, brüllte jetzt ebenso laut wie sie, von rasendem Haß hingerissen. Halb betäubt, hörte Cathérine kaum, daß heftig an ihre Tür getrommelt wurde, daß dröhnende Stöße gegen die Füllung krachten, daß Bretter und Eisenbeschläge polternd auf die Fliesen fielen. Sie sah noch Josse im ersten Sonnenstrahl auftauchen, mit einer Bohle bewaffnet, die er zum Aufbrechen der von Tomas verriegelten Tür benutzt haben mußte.
Der einstige Landstreicher stürzte sich auf das Bett, packte Tomas und schickte sich an, ihn gehörig zu verprügeln. Schnell unter die zerwühlten Bettdecken schlüpfend, schloß Cathérine die Augen, um nichts mehr zu sehen, konnte jedoch nicht umhin, das dumpfe Geräusch von Josses Fäusten auf dem Fleisch des Pagen zu hören, während er ihn mit der phantastischen Sammlung von Schimpfworten aus der Pariser Gosse überschüttete.
Ein letzter Fausthieb, ein letzter Fußtritt in den mageren Hintern des jungen Satyrs, und Tomas, nackt wie am Tage seiner Geburt, wurde wie ein Paket in den Gang hinausgeworfen. Kaum war er dort auf dem Boden gelandet, rappelte er sich auf und rannte eiligst davon, während Josse schimpfend die beiden kleinen Dienerinnen hinter einem Anrichtetisch hervorzog, hinter den sie sich zu Tode erschrocken geflüchtet hatten, als sie, angelockt durch den Lärm, erschienen waren. Er zeigte auf Cathérine, die sich in die Laken verkrochen hatte und nichts von sich sehen ließ als ihre noch immer entsetzten Augen.
»Kümmert euch um Dame Cathérine! Ich werde jetzt zum Seigneur Erzbischof gehen und ihm sagen, was ich von seinem kostbaren Pagen halte. Hat man je eine widerlichere Schweinerei gesehen? Geht's Euch einigermaßen gut, Dame Cathérine? Er schlug ja wie ein Wahnwitziger auf Euch ein, als ich dazwischenkam.«
Der friedfertige Ton des Parisers machte Cathérine Mut. Sie zwang sich, ihm zuzulächeln.
»Ich muß von Kopf bis Fuß mit blauen Flecken bedeckt sein, aber es ist nichts Ernstliches. Danke, Josse. Ohne Euch … Mein Gott! Wenn ich daran denke! Ein so junger Bursche! Diesen Alpdruck werde ich lange nicht vergessen«, fügte sie, den Tränen nahe, hinzu.
»Die Jugend hat damit nichts zu tun. Ich habe den Eindruck, daß dieser Tomas von einem Dämon besessen ist. Man braucht ihn nur zweimal anzusehen, um zu verstehen, daß er das Pfaffentum im Blut hat … und die schlechten Keime des Lasters! Mir tut das Kloster jetzt schon leid, das er sich auswählt, und mir tut sogar Gott leid! Er wird an diesem Jungen einen schrecklichen Diener haben!«
Nachdenklich, mit gerunzelter Stirn, blieb Josse in der Mitte des Zimmers stehen und betrachtete, ohne sie eigentlich zu sehen, die Sonne, die jetzt in herrlichem Strahlenglanz aufging. Plötzlich murmelte er: »Der Junge hat seine Dresche bekommen, Dame Cathérine, aber es wäre besser, wenn wir nicht ewig hierblieben. Sobald Gauthier reisefähig ist …«
»Er ist es, glaube ich. Er hat sein Gedächtnis wiedergefunden.« Josse Rallard hob die Brauen und warf der jungen Frau einen offen überraschten Blick zu.
»Ist er wirklich geheilt? Als ich ihn gestern vor dem Abendgeläut besuchte, hatte sich sein Zustand noch nicht verändert.«
Cathérine, die von den beiden kleinen Dienerinnen auf wunde Stellen untersucht wurde, spürte, daß sie errötete. Sie wandte verlegen die Augen ab.
»Das Wunder ist heute nacht eingetreten«, sagte sie nur.
Es folgte eine kurze Stille, die Catherines Verwirrung vollständig machte.
»Ah, gut!« sagte Josse schließlich. »Dann können wir unsere Reise also so bald wie möglich fortsetzen.«
Und ruhig entfernte er sich und überließ Cathérine der Betreuung ihrer Dienerinnen.
Eine Stunde später ließ sich Don Alonso, außerordentlich verstimmt, bei Cathérine melden. Er schien nervöser, fieberhafter als je. Seine schönen Hände blieben keinen Augenblick ruhig, und selbst seine tiefe Stimme nahm gelegentlich einen scharfen, ungewöhnlich spitzen Ton an.
Er bot der jungen Frau redegewandte, oft wenig verständliche Entschuldigungen an, denen sie jedoch bald entnahm, daß er sich von Tomas trennen wollte.
»Dieser peinliche Zwischenfall hat den Ausschlag gegeben, meine Freundin. Morgen wird der Taugenichts zum Dominikanerkloster von Segovia aufbrechen, da er nun einmal so sehnlichst dorthin will, und möge es den guten Brüdern wohl bekommen! Ich wünsche ihnen viel Vergnügen.«
»Auch ich, Euer Ehrwürden, werde morgen abreisen, wenn Ihr gestattet.«
»Wie? Schon? Aber Euer Diener?«
»Ist vollkommen in der Lage, die Reise mit uns fortzusetzen. Ich bin Monseigneur sehr zu Dank verpflichtet, Eurer Güte, Eurer Großmut …«
»Aber, aber! Laßt das doch …«
Einen Augenblick musterte er die junge Frau. Auf einem hochlehnigen, steifen Kirchenstuhl sitzend, ganz in schwarzen Samt gekleidet, der, hochgeschlossen, ihren Hals bis zum Kinn und die Hände bis zu den Fingern bedeckte, war sie der Inbegriff von Würde und Huld in Person.
Er lächelte sie väterlich an.
»Nun gut, fliegt weiter, schöner Vogel! Aber ich werde Euch vermissen! Ja, ich werde Euch vermissen. Eure Gegenwart brachte Sonne in dieses düstre Schloß. Nun ja, so ist das Leben! Ich werde mich um die Vorbereitungen Eurer Abreise kümmern.«
»Monseigneur«, sagte Cathérine beschämt, »Ihr seid zu gütig!«
»Das hat nichts mit Güte zu tun«, entgegnete Don Alonso lachend, »Ihr wißt wohl, daß ich ein alter Ästhet bin, einzig und allein in Schönheit und Harmonie verliebt. Wenn ich daran denke, daß eine Frau wie Ihr in einem schlechten, mit Stroh gefüllten Karren reist, dann bekomme ich eine Gänsehaut. Ihr wollt mich doch nicht mein Leben lang zu Gewissensbissen und schlechten Träumen verdammen?«
Als einzige Antwort sank Cathérine auf die Knie und küßte respektvoll den Ring des Erzbischofs. Eine Welle der Bewegung glitt rasch über das dunkle Gesicht Fonsecas. Schnell erteilte er den priesterlichen Segen und legte dann die Hand auf das gesenkte Haupt.
»Ich weiß nicht, welches Euer genaues Reiseziel ist, meine Tochter, und ich frage Euch auch nicht danach. Aber eine Eingebung sagt mir, daß Ihr der Gefahr entgegengeht. Bedenkt, wenn die Prüfungen, die Euch erwarten, zu schwer sein sollten, daß Ihr hier einen Freund und eine Zuflucht habt. Der eine wie die andere werden Euch jederzeit väterlich aufnehmen«, schloß er, sich laut schneuzend, um seine Bewegung zu verbergen.
Und während er sich mit rauschenden Gewändern entfernte, verkündete Seine Hoheit, der Erzbischof von Sevilla, er werde jetzt seine Befehle geben, und untersagte der jungen Frau, sich in irgend etwas, das mit ihrer Abreise zu tun habe, einzumischen … Er verabredete sich mit ihr nur zur Mahlzeit zwei Stunden später.
Kaum war er verschwunden, als Cathérine hastig in den Hauptturm ging. Sie hatte Eile, Gauthier wiederzusehen, etwas enttäuscht darüber, daß er sich noch nicht aufgemacht hatte, sie zu suchen. Mit beiden Händen hob sie ihr Gewandt, stieg mit flinken Schritten die beschwerliche Treppe empor, stieß die nicht verschlossene Tür auf und stand vor ihrem Freund. Er saß auf dem Bett, den Kopf in den Händen, das Gesicht in den Handflächen verborgen, und man konnte unmöglich wissen, ob er in Gedanken versunken war, ob er schlief oder vielleicht sogar weinte. Seine Haltung verriet so viel Niedergeschlagenheit, daß Cathérine bestürzt war. Sie hatte gehofft, Gauthier glücklich vorzufinden, völlig ganz er selbst geworden und noch von Freude erfüllt über die vergangene Nacht. Aber augenscheinlich war es nicht so. Sie hatte sich auf alles, nur nicht auf dies gefaßt gemacht …