»Rrrrrruhm … dem Herzog! Rrrrrruhm dem Herzog!«
Aus ihrer schmerzlichen Träumerei gerissen, fuhr Cathérine wie von der Tarantel gestochen auf. Sie hob bestürzt die Augen zu dem Schwarzen, der breit grinsend eine silberne Vogelstange vor sie hinstellte, auf der ein riesiger, herrlicher Papagei hockte, dessen lange blaue Federn mit Purpur durchzogen waren.
»Gédéon!« rief sie verblüfft. »Aber das ist doch nicht möglich?!«
»Warum nicht? Hast du ihn mir nicht zum Geschenk gemacht, als ich Dijon verließ? Er war eine Erinnerung an dich und ein wertvoller Freund. Wie du siehst, habe ich ihn gut behandelt.« Mit kindlicher Freude liebkoste Cathérine das Gefieder des Vogels, der sich wie eine Turteltaube gurrend auf seiner Stange drehte und sie mit seinem großen, runden Auge ansah. Von neuem öffnete er seinen großen roten Schnabel und krächzte diesmaclass="underline"
»Allah il Allah, Mohammed rrrrrassul Allah!«
»Er hat Fortschritte gemacht!« sagte Cathérine lachend. »Er ist schöner als je!« Sie neigte wie einst im Laden ihres Onkels Mathieu das Gesicht dem Vogel entgegen, der ganz sanft mit dem Schnabel auf ihre Lippen einpickte.
»Welche Erinnerungen er in mir wachruft!« murmelte sie, schon wieder von ihrer Melancholie befallen. Gédéon war tatsächlich das erste Geschenk Philippes von Burgund gewesen, als er sich in sie verliebt hatte. Er war ihr treuer Gefährte während eines ganzen Lebensabschnitts gewesen, beinahe seit dem Augenblick, als sie, den Großherzog des Abendlandes umgarnend, Arnaud de Montsalvy sich für immer ihres Herzens hatte bemächtigen lassen. Eine Welt von Gesichtern und Gestalten stieg hinter dem prächtigen Gefieder des Papageis auf. Aber Abu al-Khayr erlaubte nicht, daß sie in ihre Traurigkeit zurückfiel.
»Ich habe ihn dir nicht bringen lassen, um deine Melancholie wiederzuerwecken«, sagte er gütig, »sondern um dir zu verstehen zu geben, daß die Zeit und die Menschen sich nicht so ändern, wie du glaubst. Es kann geschehen, daß die Zeit wiederkehrt.«
»Die des Herzogs von Burgund ist völlig tot!«
»Auf den habe ich jetzt nicht angespielt, sondern auf die wunderbaren Stunden, die die Liebe dir geschenkt hat.«
»Sie hat mir so wenige geschenkt!«
»Immerhin genug, daß die Erinnerung daran dein Leben erfüllt … und die an deinen Gatten nicht so leicht erlischt.«
»Woher wißt Ihr das?«
»Wer hätte mir besser sagen können, was euer Leben gewesen ist … wenn nicht er selbst?«
Sofort blitzten Catherines Augen, und Röte stieg ihr in die Wangen.
»Habt … habt Ihr ihn gesehen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Abu lächelnd. »Vergißt du denn, daß wir einst sehr befreundet waren? Er hat sich an mich erinnert, auch daran, daß ich in dieser Stadt wohnte. Kaum in der Alhambra angekommen, hat er nach mir geschickt.«
»Und Ihr habt zu ihm gelangen können?«
»Ich bin der Arzt … und untertänige Freund unseres Kalifen, der mich gut behandelt. Indes muß ich dir gestehen, daß die Prinzessin Zobeida, deren Gefangener dein Gatte ist, mich nicht mehr liebt, seitdem ich die Sultanin Amina, die sie haßt, vom Tode errettet habe. Ich würde sogar sagen, daß sie mich verabscheut und daß es nur ihrem ungeheuren Wunsch, dem ›Seigneur Franken‹ zu Gefallen zu sein, zuzuschreiben ist, daß sie mich ihn besuchen ließ. Soviel ist jedenfalls sicher: Ich habe mich eine gute Stunde lang mit Messire Arnaud unterhalten können.«
»Ihr sagtet, er sei der Gefangene dieser Frau«, warf Cathérine ein, deren Gesicht ihre Eifersucht nicht mehr verbarg. »Warum diese Notlüge? Warum habt Ihr nicht den richtigen Ausdruck benutzt, Ihr, der Ihr doch den Wert des Wortes so gut kennt? Warum habt Ihr nicht ›ihr Geliebter‹ gesagt?«
»Weil … weil ich nichts weiß!« antwortete Abu ganz einfach. »Das ist das Geheimnis der Nächte der Alhambra … wo viele Diener stumm sind.«
Cathérine zögerte einen Augenblick, dann fragte sie entschlossen:
»Ist er wirklich … von Lepra geheilt?«
»Er hat sie nie gehabt! Es gibt Krankheiten, die diesem verfluchten Leiden ähneln, die eure abendländischen Ärzte aber nicht kennen. Der Arzt der Prinzessin, Hadji Rahim, ist ein frommer Mann, der die große Pilgerfahrt unternommen hat, was ihn meiner Meinung nach jedoch nicht hindert, ein aufgeblasener Esel zu sein. Trotzdem hat er auf den ersten Blick gesehen, daß dein Gatte keine Lepra hatte. Um ganz sicherzugehen, brauchte er nur eine Flamme an Messire Arnauds Arm zu halten. Dein Gatte hat aufgeschrieen, bester Beweis, daß sein Empfindungsvermögen intakt war.«
»Was war denn dann diese seltsame Krankheit? Ich habe mit eigenen Augen die weißlichen Flecken auf seinen Armen gesehen …«
»In der Schule von Salerno nannte der berühmte Trotula diese Krankheit Vitiligo oder Weißfleck. Und ich fürchte sehr, daß es auf euren Krankenstationen zahllose mit diesem im allgemeinen gutartigen Leiden behaftete Unglückliche gibt, das eure unwissenden Ärzte zu oft mit der Lepra verwechseln.«
Es folgte wieder Stille. Unbeweglich wie Statuen, gaben Gauthier und Josse kein Wort von sich. Sie hörten nur zu, hatten beide Ohren gespitzt, warteten darauf, um ihre Meinung befragt zu werden. Diese Stille benutzte Cathérine, um Kräfte zu sammeln. Die Fragen, die sie noch zu stellen hatte, waren die härtesten. Zunächst die erste:
»Warum ist Arnaud dieser Frau gefolgt?« wollte sie mit heiserer Stimme wissen. »Hat er etwas darüber gesagt?«
»Warum folgt der Gefangene dem Sieger?«
»Aber wessen Gefangener ist er? Der Gewalt … oder der Liebe?«
»Der Gewalt, dessen bin ich sicher, denn er hat mir erzählt, daß die Nubier Zobeidas ihn bei Toledo gefangennahmen. Und was die Liebe betrifft, so kann es sein, daß ihre Bande noch zu den Fesseln der Gefangenschaft hinzukamen … aber das hat er mir nicht gesagt. Ich habe da einige Zweifel.«
»Warum?«
»Das hättest du mich nicht fragen sollen. Die Antwort wird dir keine Freude bereiten: weil Arnaud de Montsalvy nicht mehr an die wahre Liebe glaubt. Er sagte, da du die Leidenschaft, die euch beide vereinte, wegen eines anderen vergessen konntest, wird ihm keine andere Frau reine, ehrliche Liebe mehr geben können.«
Cathérine nahm den Schlag tapfer hin. Sie konnte ehrlich mit sich selbst sein, und ihre Tändelei mit Pierre de Brézé war ihrem Gedächtnis noch nicht entschwunden. Oft genug hatte sie sich Vorwürfe gemacht … besonders wegen dieser unglückseligen Nacht im Obstgarten von Chinon, in der Bernard d'Armagnac sie in den Armen des schönen Ritters in flagranti überrascht hatte.
»Das habe ich verdient!« sagte sie einfach. »Aber die Anziehungskraft der Liebe ist groß, und diese Frau … liebt ihn?«
»Leidenschaftlich! Mit einer Raserei, die ihre Umgebung verblüfft und entsetzt. Die Macht des ›Seigneurs Franken‹ über Zobeida ist absolut. Er hat alle Rechte … außer dem, eine andere Frau anzusehen. In diesem Falle wehe der, die ein Lächeln oder ein freundliches Wort von ihm empfängt. Sie wird sofort dem Henker ausgeliefert. An die zehn von ihnen sind schon so gestorben. Auch die Dienerinnen Zobeidas wagen es nicht mehr, die Augen zu dem Mann zu erheben, den sie so heiß liebt. Sie bedienen ihn kniend, aber ebenso dicht verschleiert wie auf der Straße. Denn im Gegensatz zu unserem Brauch, wonach die Männer von den Frauen getrennt leben, steht der Pavillon, in dem Messire Arnaud wohnt, im Garten Zobeidas …«
»Und der Kalif läßt das zu?«
Abu al-Khayr zuckte mit den Schultern.
»Warum nicht? Da dein Gatte nicht zum Islam übertreten wird, ist er für ihn ein christlicher Gefangener wie jeder andere. Er sieht ihn als ein Spielzeug seiner leidenschaftlichen Schwester an, nichts weiter. Übrigens kennt Sultan Mohammed die Zornesausbrüche Zobeidas zu gut, um ihr zu widersprechen. Die Naßriden sind eine merkwürdige Familie … in der man leicht stirbt, wie du später erfahren wirst. Sich auf dem Thron zu halten ist ein erschöpfender Kampf, und wenn du hörst, daß Mohammed VIII. den seinen zweimal zurückerobern mußte, wirst du mehr verstehen. Dieser rote Palast verbirgt eine Schlangengrube. Sie aufzustöbern ist gefährlich …«