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»Das ist klar. Aber wie? Es sei denn …«

»Es sei denn?«

»Wir tauschen unsere Kleider, und du gehst an meiner Statt. Dieses Gewand hat sein Gutes: Um zu wissen, wer wirklich in dem Schleierbündel steckt, muß man schon sehr ausgekocht sein. Außerdem haben wir dieselbe Hautschattierung, und wenn du die Lider senkst, sieht man die Augenfarbe nicht.« Catherines Herz schlug stärker, aber auch regelmäßiger. Marie hatte es geahnt und schlug ganz natürlich vor, was sie von ihr zu erbitten noch gezögert hatte. Sie nahm die Hand der Kleinen. »Bist du dir darüber klar, Marie, daß du in dieser Sache dein Leben riskierst? Wenn jemand kommt, während ich fort bin …«

»Dann werde ich sagen, du hättest mich überwältigt und gefesselt. Es ist nicht schwer, hier jemand zu fesseln. An feinen und festen Geweben fehlt es nicht. Wenn jemand kommt, werde ich gedeckt sein … oder beinahe. Wenn niemand kommt, wirst du mich losbinden, wenn du zurückkehrst, und alles ist in Ordnung!«

»Wie willst du meine Abwesenheit erklären, wenn Morayma hereinkommt?«

»Ich werde sagen, du ersticktest hier und wolltest unbedingt frische Luft schöpfen.«

»Und dazu habe ich dich gefesselt und dir die Kleider abgenommen?«

»Warum nicht? Wenn du die unwahrscheinlich verrückten Ideen kennen würdest, welche die Langeweile den Frauen in diesem Harem eingibt, wüßtest du, daß Morayma nichts mehr erstaunen kann! Trotzdem, nimm dich in acht. Was du vorhast, ist außerordentlich gefährlich. Mit dem fränkischen Ritter sprechen zu wollen bedeutet, den Tod zu suchen. Wenn Zobeida dich überrascht, kann dich nichts, nicht einmal der Gedanke an den Zorn ihres Bruders, vor ihrer Wut retten. In solchen Augenblicken ist sie taub und blind allem anderen gegenüber.«

»Um so schlimmer! Wer nichts riskiert, bekommt nichts. Was mir aber Sorge macht, ist, wie ich an den Wachtposten vorbeikommen soll. Der Privatgarten Zobeidas liegt auf der anderen Seite ihrer Gemächer, nicht wahr? Und ich habe sagen hören, daß mein Gemahl dort einen abgesonderten Pavillon bewohnt.«

»In der Tat. Man nennt ihn das Prinzenpalais, weil er für einen Bruder des Sultans Mohammed V. erbaut worden ist. Er steht am Rande eines Bassins mit blauem Wasser. Der fränkische Herr verläßt ihn nur, um auf die Jagd zu gehen … und das nur unter guter Bewachung. Zobeida hat zu große Angst, daß das Heimweh nach seinem Geburtsland schwerer wiegen könnte als ihre Reize, und hat den Großwesir zu seinem bevorzugten Aufseher gemacht.«

»Ich dachte, er sei in sie verliebt?«

»Grausamkeit nach Art Zobeidas. Banu Saradj verabscheut seinen Nebenbuhler und hofft ohne Zweifel, sich seiner entledigen zu können, wenn er erst einmal Sultan ist, aber im Augenblick ist ihm nichts wichtiger, als seiner Prinzessin zu Gefallen zu sein. Sie könnte sich keinen besseren Wächter aussuchen und weiß es sehr gut. Aber zurück zu unserem Plan. Es ist nicht so schwierig, in Zobeidas Garten zu gelangen. Nahe meinem Gemach gibt es eine kleine Pforte, die immer verschlossen ist, die man aber mit einem Eisenplättchen und etwas Geschicklichkeit aufbrechen kann. Sie führt in die Gärten. Eine Mauer trennt den Garten Zobeidas ab, aber sie ist ziemlich niedrig, und jeder Behende kann sie leicht übersteigen, indem er sich an den Ästen der an ihr stehenden Zypressen festhält. Du müßtest es schaffen, nach all deinen Abenteuern.«

»Schaff ich auch. Aber warum flieht mein Gemahl nicht, wenn die Mauer so leicht zu überwinden ist?«

»Weil das Prinzenpalais von den treuesten Eunuchen Zobeidas streng bewacht wird. Sie sind zahlreich, blind ergeben, und ihre Krummschwerter sind scharf.«

Das klang offensichtlich nicht beruhigend. Cathérine ließ indessen die besorgniserregenden Einzelheiten beiseite und machte sich daran, sich genau über den zu verfolgenden Weg klarzuwerden, um zuerst das Zimmer Maries zu erreichen, ohne Neugier zu erwecken, dann von da aus die berühmte kleine Pforte, die die junge Odaliske ihr eingehend beschrieb. »Man würde sagen, daß du sie gut kennst!« bemerkte Cathérine.

»In den Gärten des Kalifen wachsen besonders saftige, riesige Pflaumen, die nur seinem Tisch vorbehalten sind … und ich bin doch so schrecklich gefräßig!«

Cathérine mußte lachen. Die beiden Freundinnen plapperten weiter, drauf wartend, daß der Tag sich neigte.

Denn der Plan, den sie ausgeheckt hatten, ließ sich nicht im vollen Sonnenlicht ausführen, und Cathérine, die es um so eiliger hatte, zu ihrem Gatten zu gelangen, als jede Nacht ihr Qualen bereitete, kamen die Stunden unendlich lang vor.

Sie wußte nur zu genau, wie Zobeida ihre Nächte verbrachte. Mit wahrer Erleichterung sah sie die Dämmerung hereinbrechen. Als die Sklavinnen mit den Abendgerichten erschienen, befahl sie ihnen, alles hinzustellen und zu verschwinden.

»Wir kommen wieder, um dich zu Bett zu bringen, Herrin«, sagte die Obersklavin.

»Nein. Ich gehe allein schlafen. Meine Freundin wird noch einen Augenblick bei mir bleiben. Wir wollen, daß man uns in Ruhe laßt. Teile Morayma vorsorglich mit, daß ich sie von ihrem Abendbesuch entbinde. Ich brauche nichts als Ruhe. Du kannst einen Teil der Lampen löschen. Das viele Licht schmerzt mich.«

»Wie du willst, Herrin! Ich wünsche dir eine angenehme Nacht!«

Sobald die Sklavinnen gegangen waren und die beiden Frauen in sanftem Halbschatten zurückgelassen hatten, aßen sie ein paar Hammelklöße und Honigkuchen und machten sich dann an die Ausführung ihres Plans. Marie schlüpfte aus ihren Kleidern und reichte sie Cathérine, die ihr ihre Gewänder gab. Sie hatten ungefähr die gleiche Figur, doch Cathérine war ein wenig kleiner. Sie mußte den Gürtel der Hose aus nachtblauem Musselin, die Marie getragen hatte, um die Taille enger schnüren. Dann zerrissen die beiden Frauen die langen Schleier und machten daraus Fesseln, mit denen Cathérine ihre Freundin festband, nachdem diese sich in ihr Bett gelegt hatte.

»Vergiß nicht, mich zu knebeln«, betonte Marie. »Sonst sieht es nicht überzeugend aus!«

Mit einem Seidenschal war das schnell zu bewerkstelligen, doch ehe ihre Gefährtin ihr den Mund schloß, empfahl Marie:

»Bleibe auf jeden Fall verschleiert, selbst wenn der Schleier dir beim Übersteigen der Mauer hinderlich ist. Wenn du dein Gesicht nicht zeigst, wird die Sache weniger ernst werden, falls man dich erwischt. Nicht viel weniger natürlich, aber du mußt alle Chancen zu deinen Gunsten nutzen. Und nun, Gott befohlen!«

»Das wünsche ich dir auch, Marie. Sei beruhigt, ich werde das Versprechen, das ich dir gegeben habe, halten, es sei denn, ich stürbe!«

»Das versteht sich von selbst. Steck mir jetzt den Knebel in den Mund!«

Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Gefangene trotz allem nicht zu schlecht versorgt war, denn ihre Gefangenschaft konnte mehrere Stunden dauern, beugte Cathérine sich zu ihr hinunter, küßte sie auf die Stirn und sah Maries Augen im Schatten blitzen. Dann zog sie sorgsam die rosafarbene Bettdecke über sie und trat ein paar Schritte zurück, um die Wirkung zu prüfen. Die leichte feine Seidendecke reichte Marie bis zur Nase, und im Halbdunkel des Zimmers war die Täuschung vollkommen.

Cathérine hüllte sich in den blauen Schleier ihrer Freundin. Darunter trug sie nichts als die Hose und ein Jäckchen mit kurzen Ärmeln, das ihre Brüste gerade bedeckte und unter ihnen abschloß. Trotz des Schleiers konnte sie sich frei genug bewegen, und nachdem sie Marie noch ein Lebewohl zugeflüstert hatte, ging sie festen Schrittes zur Tür.

Instinktmäßig kreuzten die Wachen die Lanzen, aber sie murmelte, so gut sie konnte, die Stimme des jungen Mädchens nachahmend:

»Ich kehre zurück. Laßt mich passieren, ich bin Aicha!«