Die dunklen Augen Mansours schätzten den Riesen prüfend ab; Cathérine erriet den Schatten eines Lächelns im Ton seiner Stimme, als er ruhig erwiderte: »Gut, sagen wir also, wir sind dreißig und einer, und möge Allah uns beschützen!«
Er ritt wieder zur Spitze der kleinen Kolonne, die bald ins dunkle Land tauchte. Die Feuer von Granada blieben allmählich zurück. Die schlechte, schwer auszumachende Straße stieg an, und unversehens verschwand die Stadt hinter einem Felsvorsprung.
»Der Weg wird beschwerlich werden«, bemerkte Josse auf der anderen Seite der Sänfte. »Wir werden hohe Berge überwinden müssen. Andererseits werden wir uns dann leichter verteidigen können.«
Ein scharfer Befehl peitschte durch die Nacht, und der Trupp hielt an. Beunruhigt schob Cathérine den Vorhang auseinander, nachdem sie Arnaud einen ängstlichen Seitenblick zugeworfen hatte. Aber er schlief noch immer, glücklicherweise teilnahmslos gegenüber den Ereignissen draußen. Der Felsvorsprung war zurückgeblieben. Granada war wieder sichtbar geworden. Auch das Palais Aminas, wo die Lampen auf den Zinnen der weißen Mauern brannten. Die Stimme Mansours, von unwillkürlicher Unruhe bebend, drang an Catherines Ohren.
»Es war höchste Zeit! Seht!«
Ein Reitertrupp in weißen Mänteln, Fackeln in den Händen, die Funken in die Nacht sprühten, sprengte in sausendem Galopp über die römische Brücke und hielt in einer Staubwolke vor dem Portal des Alkazar Genil. An der Spitze schimmerte die grüne Standarte des Kalifen. Der ganze Trupp stürzte sich in die breite, geöffnete Pforte … Cathérine schauderte. Es war wirklich höchste Zeit gewesen; ein paar Minuten länger im Palast, und alles hätte wieder von vorn begonnen: der Alpdruck, die Angst und zum Schluß der Tod!
Wieder klang die Stimme Mansours:
»Wir sind schon zu weit, um gesehen zu werden! Gesegnet sei Mohammed, denn wir wären einer gegen fünfzig gewesen!« Cathérine steckte den Kopf durch den Vorhang, suchte die hohe Gestalt des Anführers.
»Und Amina?« fragte sie. »Ist sie nicht in Gefahr?«
»Was hätte sie zu fürchten? Man wird nichts bei ihr finden. Die Kleider meiner Männer sind bereits im Garten vergraben, und es gibt niemand unter ihren Dienern oder ihren Kammerfrauen, der sich nicht lieber die Zunge abschneiden ließe, als sie zu verraten. Und selbst wenn Mohammed sie im Verdacht hat, mich unterstützt zu haben, ist er weit davon entfernt, sich vorzustellen, daß sie Euch beigestanden haben könnte, und wird nichts gegen sie unternehmen. Das Volk betet sie an, und ich glaube, er liebt sie immer noch. Jedoch«, schloß er mit einem plötzlichen Zornesausbruch, »wird er sie mir eines Tages zurückgeben müssen! Denn ich komme zurück! Ich komme viel stärker zurück als je, und an diesem Tag werde ich ihn töten! Bei Allah, meine Rückkehr wird Zeuge seines letzten Augenblicks sein!«
Ohne ein weiteres Wort gab der fürstliche Rebell seinem Pferd die Peitsche und machte sich an die Erstürmung des ersten Ausläufers der Sierra. Der Trupp setzte sich schweigend hinter ihm in Bewegung, aber in einem wesentlich vernünftigeren Marschtempo. Cathérine ließ den Vorhang zurückfallen. Im Innern der Sänfte war es vollkommen dunkel und so drückend heiß, daß Abu al-Khayr die Vorhänge auf einer Seite zurückschob und festband.
»Wir riskieren nicht, erkannt zu werden. Und so können wir besser atmen«, flüsterte er.
Im etwas helleren Schatten sah Cathérine seine Zähne blitzen. Sie begriff, daß er lächelte, und faßte bei diesem Lächeln wieder Mut. Ängstlich suchte ihre Hand Arnauds Stirn. Sie war warm, aber von einer weniger trockenen Wärme als bislang. Ein wenig Schweiß perlte auf ihr, während sein Atem regelmäßig und kräftig ging. Er schlief fest. Im Grunde ihres Herzens etwas wie Glück empfindend, setzte sich Cathérine zu Füßen ihres Gatten nieder und schloß die Augen.
Der Angriff kam zwei Tage später, mitten im Herzen der Sierra, gegen Sonnenuntergang. Die Flüchtigen hatten das Hochtal des Genil erstiegen und folgten am Hang einer tiefen Schlucht, in der ein Sturzbach schäumte, einem zum Paß aufsteigenden Pfad. Die Temperatur, die auf der Höhe von Granada tropisch gewesen war, hatte sich beträchtlich abgekühlt. Die Schneegrenze war nahe, und der Saumpfad schien eine Talwand sozusagen vertikal durchstoßen zu wollen, die von drei riesigen Gipfeln beherrscht wurde. Mansour hatte auf den imposantesten aufmerksam gemacht.
»Man nennt ihn den Mulhacén, weil er das verborgene Grab des Kalifen Moulay Hacen verschließt. Dort leben nur Adler, Geier und die Männer Faradjs des Einäugigen, eines berüchtigten Wegelagerers.«
»Wir sind zu stark, um einen Banditen fürchten zu müssen!« hatte Gauthier geringschätzig erklärt.
»Das ist noch die Frage! … Wenn Faradj Gold braucht, kann es sein, daß er in die Dienste des Kalifen tritt, und verstärkt durch Grenzposten, wird er fürchterlich.«
Die letzten schrägen Strahlen der Sonne beschienen die weißen Burnusse und vergoldeten Helme der falschen Garden des Kalifen, so daß sie sich von den schwarzen Felsen scharf wie ein Relief abhoben. Und ganz plötzlich erklangen wilde, so durchdringende Schreie, daß die Pferde scheuten. Eines hob sich auf die Hinterbeine und warf seinen Reiter aus dem Sattel, der mit einem Schrei in die Schlucht stürzte. Hinter jedem Felsen tauchte ein Mann auf … das ganze Gebirge schien sich zu beleben und auf den kleinen Trupp zu stürzen. Es waren schlecht gekleidete, zum Teil fast zerlumpte Bergbewohner, aber ihre Waffen blitzten heller als ihre scharfen Zähne. Ein kleiner, magerer, verwachsener Mann mit schmutzigem Turban, in dem ein Büschel Adlerfedern steckte, und einem schmierigen Band über dem Auge führte sie zum Angriff, indem er schreckliche Kreischlaute von sich gab.
»Faradj, der Einäugige!« rief Mansour. »Schließt euch um die Sänfte zusammen!«
Schon blitzten die Krummschwerter in den Fäusten der Krieger, Gauthier preschte zum Anführer vor, um neben ihm zu kämpfen, und rief Josse zu: »Schütze die Sänfte!«
Aber die Vorhänge der Sänfte flogen auseinander. Arnaud tauchte auf, Cathérine schroff zurückstoßend, die versuchte, sich an ihn zu klammern, und ihn anflehte, sich nicht zu rühren. »Eine Waffe!« rief er. »Ein Pferd!«
»Nein!« schrie Cathérine. »Du kannst noch nicht kämpfen … du bist viel zu schwach!«
»Wer sagt das? Glaubst du, ich sehe zu, wie sie von diesen Ungläubigen ausgeplündert werden, ohne mich am Kampf zu beteiligen? Duck dich wieder hinein, und rühr dich nicht!« befahl er barsch. »Und du, Freund Abu, paß auf sie auf, damit sie keine Dummheiten macht!«
Mit zorniger Ungeduld riß er sich die blauen Schleier herunter, in die er gehüllt war, behielt nur die bauschigen Musselinhosen und das für seine breiten Schultern zu enge Jäckchen an.
»Ein Pferd! Eine Waffe!« wiederholte er.
»Da ist eine Waffe«, sagte Josse ruhig, ihm sein eigenes Krummschwert reichend. »Ihr versteht es besser als ich, mit diesem Hackbrett umzugehen. Und mein Pferd könnt Ihr auch haben.«
»Und du?«
»Ich hole mir das Pferd des abgestürzten Reiters. Keine Sorge.«
»Arnaud!« rief Cathérine angstvoll. »Ich flehe dich an …«
Aber er hörte sie gar nicht. Er hatte sich bereits in den Sattel geschwungen, und das Tier mit seinen nackten Fersen anspornend, preschte er zu Mansour und Gauthier vor, die schon in einen wilden Kampf gegen eine Übermacht verwickelt waren. Sein Erscheinen auf dem Kampfplatz hatte die Wirkung einer Bombe. Der große Kerl in Weiberkleidern, unbeholfen in seinen blauen Musselinhosen, griff an und stieß fürchterliche Schreie aus, so daß der Feind vor Verblüffung Mund und Augen aufsperrte, was sich Mansour, der beinah laut herausgelacht hätte, zunutze machte. Und was Cathérine betraf, so überwand dieses Bild einen Augenblick ihre Furcht, und sie brach in offenes, befreiendes Lachen aus: Arnaud in seinen Frauenhosen war unwiderstehlich! Aber es dauerte nur einen Augenblick. Bald ließ Cathérine sich wieder auf ihre Kissen zurückfallen und warf Abu einen tränenfeuchten Blick zu.