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»Und«, empörte sich Saturnin, »Ihr seid nicht wieder zurückgegangen? Ihr habt nicht herauszufinden versucht, ob der, der Euch zu Hilfe geeilt war, noch lebte oder ob er wirklich tot war?«

Der Minnesänger schüttelte den Kopf, hob die Schultern und spreizte die Hände in einer ohnmächtigen Bewegung.

»Die Banditen mußten in der Nähe ihren Schlupfwinkel gehabt haben, denn sie blieben da, warteten zweifellos noch auf andere Reisende … Was hätte ich ausrichten können, ich, schwach und allein, gegen diese Wilden? Und dann, der Abgrund war fürchterlich. Wie sollte ich da hinuntersteigen? Dame«, fügte er hinzu, sich flehentlich an Cathérine wendend, »ich bitte Euch, mir gnädigst zu glauben, daß ich, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, Eurem Freund oder Eurem Diener, ich weiß nicht, was er war, zu helfen, es getan hätte, selbst unter Lebensgefahr. Guido Cigala ist kein Feigling … Das müßt Ihr mir glauben!«

»Aber ich glaube Euch, Sire Minnesänger, ich glaube Euch«, entgegnete Cathérine überdrüssig. »Ihr konntet nichts tun, das habe ich wohl verstanden … Doch verzeiht mir, wenn ich mich vor Euch dem Schmerz hingebe. Seht, Gauthier war mein Diener, aber sein Leben war mir kostbarer als das eines vertrauten Freundes, und der Gedanke, daß er nicht mehr ist …«

Die Erregung schnitt ihr das Wort ab. Die Tränen verdunkelten ihre Augen, und die Kehle schnürte sich ihr zusammen, daß sie kein Wort mehr herausbrachte. Überstürzt den Saal verlassend, eilte sie in ihr Zimmer, ließ sich auf ihr Bett fallen und gab sich schluchzend ihrem Schmerz hin. Diesmal war alles vorbei, endgültig vorbei! Sie hatte alles verloren, denn mit Gauthiers Tod schwand auch die Hoffnung, Arnaud wiederzufinden. Geheilt oder nicht, ihr Gatte würde nie erfahren, daß sie ihm treu blieb und daß ihre Liebe für ihn tiefer war als je … Jetzt war er so vollkommen für sie verschwunden, wie wenn die Platte des Grabes sich über ihm geschlossen hätte. Für Cathérine war dies der letzte Schlag …

Lange weinte sie, ohne zu bemerken, daß Sara eingetreten war und vor ihr stand, stumm und ohnmächtig diesmal, sie in ihrem großen Schmerz zu trösten. Nach langen Minuten wagte Sara einzuwenden:

»Vielleicht hat der Minnesänger schlecht gesehen … Vielleicht ist Gauthier doch nicht tot.«

»Wie sollte er dem Tod entronnen sein?« fragte die junge Frau mit einem nervösen Schlucken. »Und wenn er noch nicht tot war, dann muß er kurz danach gestorben sein …«

Schweigen trat zwischen den beiden Frauen ein. Von weitem, im großen Saal, hörte man die leichten Akkorde der Viola, die für einige Diener, für Donatienne und Saturnin und auch für gewisse Notabeln von Montsalvy aufspielte, die um die Gunst gebeten hatten, den wandernden Sänger zu hören, ein Genuß, der ihnen schon lange nicht mehr vergönnt gewesen war … Die weiche und volltönende Stimme des Florentiners drang in die stille Zelle, in der die beiden Frauen sich gegenübersaßen, ohne ein Wort zu sprechen. Guido sang ein altes Zweireimgedicht von der Liebe des Ritters Tristan und der Königin Isolde:

»Isolde, meine Dame, Isolde, meine Kleine, für Euch in den Tod, für Euch mein Leben …«

Cathérine unterdrückte ein Schluchzen. Das Klagelied des Minnesängers da draußen rief Erinnerungen in ihr wach; sie schien die heiße, leidenschaftliche Stimme Arnauds noch zu hören, der ihr ins Ohr flüsterte: »Cathérine … Cathérine, meine Kleine …« Und der Jammer, der sie durchbohrte, war so stechend, daß sie die Zähne zusammenbeißen mußte, um den Schmerzensschrei zurückzuhalten, der in ihr aufstieg. Wenn sie ihn in ihrem irdischen Leben nicht wiedersehen sollte, dann wäre es viel besser, diese Welt sofort zu verlassen, statt eine Ewigkeit zu leiden … Einen Augenblick schloß sie die Augen, rang die Hände und preßte die Finger zusammen, um sich wieder in Gewalt zu bekommen, und als sie die Augen aufschlug, war es nur, um Sara einen entschlossenen Blick zuzuwerfen.

»Sara«, sagte sie so ruhig, daß die Zigeunerin zusammenzuckte, »ich gehe! Nachdem Gauthier tot ist, muß ich mich auf die Suche nach meinem Gatten machen.«

»Auf die Suche machen? Aber wo?«

»Da, wo ich ihn bestimmt vermute: in Compostela in Galicia. Es ist unmöglich, daß ich dort nicht erfahre, was aus ihm geworden ist. Und unterwegs werde ich versuchen, die Leiche des armen Gauthier zu finden, damit er wenigstens an einem angemessenen Ort ruht. Der Gedanke, daß er zu dieser Stunde und so lange schon ein Raub der Todesvögel ist, ist mir unerträglich.«

»Aber der Weg ist lang, gefährlich … Wie willst du das schaffen, armes Ding? Wie soll dir gelingen, woran Gauthier gescheitert ist?«

»Das heilige Osterfest ist nicht mehr sehr fern. Herkömmlicherweise bricht eine Pilgergruppe vom Berg in Velay auf, um die Gruft von San Jago aufzusuchen. Ich werde mit ihnen gehen. Auf diese Weise verringern sich die Gefahren der Reise, und ich werde nicht allein sein!«

»Und ich?« wandte Sara sofort empört ein. »Gehe ich nicht mit dir?«

Cathérine schüttelte den Kopf. Sie stand auf, legte ihrer alten Freundin beide Hände auf die Schultern und sah sie zärtlich an.

»Nein, Sara … Diesmal gehe ich allein … Zum erstenmal, wirklich zum erstenmal – denn unser Zerwürfnis in Chinon zählt nicht – werde ich ohne dich gehen! Aber nur, weil du über das Kostbarste, das ich auf Erden habe … über meinen kleinen Michel wachen mußt! Wenn auch du gingest, wer würde sich dann um ihn kümmern? Donatienne ist zu alt, und Saturnin ist nicht jünger. Sie werden dir zwar eine große Hilfe sein, aber dir vertraue ich meinen Sohn an. Du bist so sehr wie ich, Sara, daß ich ihn bei dir so glücklich weiß, so gut versorgt, als wäre ich selbst da. Du wirst mein Gedanke, meine Hände, meine Lippen in einem sein. Du wirst zu ihm von mir, von seinem Vater sprechen. Und wenn Gott wollte, daß ich nicht wiederkehre …«

»Schweig!« rief Sara. »Ich verbiete dir, so etwas zu sagen. Das … das tut mir so weh! …«

Jetzt hatte sie Tränen in den Augen. Cathérine in ihrem Kummer umarmte sie warm.

»Sich auf die Zukunft vorzubereiten hat noch niemanden umgebracht, meine gute Sara. Wenn ich nicht zurückkehre, wirst du Boten an Xaintrailles und Bernard d'Armagnac schicken, daß sie die Vormundschaft über den letzten Montsalvy übernehmen und sich um seine Zukunft kümmern. Aber«, fügte sie mit einem mutigen Lächeln hinzu, »ich hoffe doch, daß ich zurückkehre.«

Wütend wischte Sara sich die Tränen ab, löste sich dann von Cathérine und trat einige Schritte zurück.

»Gut«, schimpfte sie. »Lassen wir es gelten! Ich bleibe, und du gehst. Und wie wirst du es anstellen, Montsalvy zu verlassen? Glaubst du, der Abt wird dich jetzt leichter gehen lassen als im September?«

»Er wird es nicht erfahren. Seit langem habe ich das Gelübde getan, auf den Berg zu gehen und Unserer Lieben Frau den verfluchten Diamanten anzubieten, den ich immer noch in meinem Besitz habe. Ich muß mich von ihm trennen … Und zwar zu jedem Preis, und je früher, desto besser! Sieh, wie das Unglück sich an mich heftet! Gauthier, mein Abgesandter, meine einzige Hoffnung, Gauthier, der Unverwüstliche, ist unterwegs umgekommen. Mein Schicksal wird verflucht sein, solange ich den Stein besitze. Der Abt weiß, wie sehr ich wünsche, dieses Gelübde zu erfüllen. Er wird mich gehen lassen. Das Osterfest ist eine gute Zeit, um Unsere Liebe Frau zu feiern. Er wird meinen Wunsch ganz natürlich finden.«

»Du hast auch für alles eine Antwort!« sagte Sara mit ein wenig Bitterkeit. »Und ich kann kaum glauben, daß dieser Plan erst entstand, nachdem dieser verfluchte Minnesänger angekommen ist …«

»Nein«, gab Cathérine zu. »Ich habe schon lange daran gedacht. Aber du, wirst du tun, worum ich dich bitte?«

Sara zuckte die Schultern und machte sich daran, das Bett aufzuschlagen, in das sie gleich die mit Kohlenglut gefüllte Wärmpfanne legen würde, um die Laken anzuwärmen.