»Ich werde Euch wiedersehen? Schwört Ihr's mir?«
»Wenn wir noch am Leben sind, dann schwör' ich's! Schnell …«
»Und … Ihr werdet mir verzeihen?«
»Wenn du in einer Sekunde nicht verschwunden bist, werde ich dir in meinem Leben nicht verzeihen!«
Ein kurzes Lächeln ließ seine Zähne aufblitzen, dann schwang er sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze, die bei einem Mann dieser Größe erstaunlich anmutete, hinaus. Cathérine sah, wie er sich am Dach des Schuppens hinunterließ und auf die Erde sprang. Er war ihren Blicken entschwunden, aber einige Augenblicke später konnte sie undeutlich die Silhouette eines Pferdes und seines Reiters im Galopp davonpreschen sehen. Glücklicherweise dämpfte der Schnee das schnelle Klappern der Hufe.
Cathérine atmete erleichtert auf und schloß eiligst das Fenster. Sie zitterte vor Kälte und begann, das heruntergebrannte Feuer zu schüren, um es wieder anzufachen. Ihre Müdigkeit, ihre Niedergeschlagenheit von vorhin waren verschwunden, und wenn sie es auch vermied, den reglosen Körper quer über ihrem Bett anzusehen, erfüllte sie seine Nähe wenigstens nicht mehr mit Entsetzen. Sie fühlte sich außerordentlich klar und wach und überlegte bedächtig, was ihr jetzt zu tun blieb. Vor allem mußte die Leiche aus der Kammer entfernt werden. Hier durfte sie nicht bleiben. Mit Saras Hilfe würde sie sie durchs Fenster schieben und irgendwo in der Nähe der Herberge verschwinden lassen, am Rand des Wassers zum Beispiel. Die Schotten würden sie nicht vor dem Morgen finden, und dies gäbe Gauthier eine Nacht Vorsprung. Denn sie machte sich keinerlei Illusionen darüber, was folgen würde: Die Schotten würden sich auf die Spuren des Mörders ihres Anführers setzen … und der Axthieb bewies den Mord. Die Männer aus dem Hochland würden sich in der Identität dessen, der zugeschlagen hatte, sicher nicht täuschen.
Als Sara zurückkam, traf sie Cathérine vollständig angezogen und neben dem Ofen sitzend an.
Die junge Frau hob den Kopf.
»Nun?«
»Sie sind überzeugt, daß MacLaren mit einem Mädchen der Herberge im Schafstall scharmutziert. Sie haben sich wieder zu Tisch gesetzt. Und wir, was machen wir jetzt?«
Cathérine erklärte ihr, was sie zu tun beabsichtigte. Sara riß die Augen weit auf.
»Du willst diesen großen Körper durchs Fenster schieben? Aber das werden wir nie schaffen, oder wir werden uns den Hals dabei brechen.«
»Man muß nur den Willen haben, übrigens, geh und such Bruder Etienne. Er muß eingeweiht und gewarnt werden. Wir werden seiner bedürfen.«
Sara wagte keine Widerrede. Wenn Cathérine einen gewissen Ton anschlug, war es vergebene Liebesmüh, das wußte sie. Sie verschwand wieder nach draußen und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Franziskaner zurück, den sie mit einigen Worten ins Bild gesetzt hatte. Bruder Etienne hatte in seinem abenteuerlichen Leben zuviel gesehen, um sich noch zu wundern, und er konnte sich in gewissen Fällen als bemerkenswert tüchtig erweisen. Er billigte Cathérines Plan voll und ganz und sah es als seine Pflicht an, bei der Ausführung behilflich zu sein.
»Ich spreche nur ein Gebet, dann bin ich bereit.«
Schnell murmelte er auf den Knien vor dem leblosen Körper ein Totengebet, machte hastig das Zeichen des Kreuzes über ihm und krempelte sich dann die Ärmel hoch.
»Das beste ist, ich gehe aufs Dach hinaus. Ihr reicht mir die Leiche, und ich lade sie mir auf und steige hinunter.«
»Aber er ist groß und schwer trotz seiner Magerkeit«, wandte Cathérine ein.
»Ich habe mehr Kraft, als Ihr glaubt, meine Tochter. Genug der Worte, ans Werk!«
Er half Cathérine und Sara, die Leiche ans Fenster zu tragen, und schwang sich hinaus. Die Kälte schien schärfer geworden zu sein, und die Nacht war still. In der Gaststube unten schliefen die Schotten sicherlich, zweifellos gebührend gesättigt und voll des süßen Weines, denn man hörte kein Geräusch mehr.
Die Leiche des unglücklichen MacLaren war bereits steif und schwer zu handhaben. Cathérine und Sara mußten alle ihre Kräfte anspannen, um ihn zum Fenster hinaufzuheben. Trotz der Kälte spürten sie, wie der Schweiß an ihnen herunterrann, und sie mußten die Zähne zusammenbeißen, um ihre Angst nicht zu verraten. Wenn sie jemand überraschte, dann wußte nur Gott allein, was ihnen passierte! Zweifellos würden die rasenden Schotten sie ohne viel Federlesens zum nächstbesten Baum schleppen … Aber nein, niemand zeigte sich, kein Geräusch war zu hören. Auf dem Dach packte Bruder Etienne fest die Leiche und ließ sie bis zum Rand hinuntergleiten.
»Wenn eine von Euch bis hierher käme, um ihn zu halten, während ich hinunterklettere«, flüsterte er.
Ohne Zögern sprang Cathérine durchs Fenster und stieg vorsichtig zu dem Mönch hinunter. Das vom Schnee schlüpfrige Schindeldach war schwierig zu begehen, aber die junge Frau gelangte ungefährdet an den Rand der Schräge und hielt die Leiche, während Bruder Etienne sich mit unerwarteter Gelenkigkeit zu Boden gleiten ließ.
»Da bin ich! Laßt ihn jetzt herunter, vorsichtig, sehr vorsichtig! Da, ich halte ihn! Kehrt in Eure Kammer zurück, das übrige erledige ich.«
»Wie kommt Ihr zurück?«
»Durch die Tür, ganz einfach. Das Kleid, das ich trage, gestattet mir, zu kommen und zu gehen, wie ich will, ohne Verdacht zu erregen. Es ist nicht das erstemal, daß ich diese Erfahrung gemacht habe. Manchmal frage ich mich sogar, ob das nicht der Grund ist, weshalb ich ins Kloster eingetreten bin.«
Cathérine erriet sein Lächeln, erwiderte aber nichts. Nachdem die Leiche ihr nun aus den Augen entschwunden war, spürte sie die Nachwirkung der Nervenanspannung, die sie auszuhalten gehabt hatte. Einen Augenblick verharrte sie noch am Dachrand, schloß die Augen, um gegen einen plötzlichen Schwindelanfall anzukämpfen, versuchte, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, das sie verließ. Der Himmel und das Dach führten einen wirren Rundtanz um sie auf …
»Geht's nicht?« flüsterte Saras besorgte Stimme. »Willst du, daß ich dich hereinhole?«
»Nein … nein, das hat keinen Zweck … Und außerdem kämst du nicht durchs Fenster!«
Langsam kroch Cathérine auf Händen und Füßen hinauf. Das Schwindelgefühl schwand. Saras Hände griffen nach ihr, zogen sie ins Zimmer, wo inzwischen eine Hundekälte herrschte. Mit Saras Hilfe setzte sich die junge Frau auf eine Ecke des Bettes und fuhr sich mit zitternder Hand über die feuchte Stirn. Ihre Zähne klapperten.
»Ich suche jetzt etwas, womit wir das Feuer wieder anzünden können«, sagte Sara, »und ich werde dir ein wenig Suppe bringen.«
Während sie noch sprach, zündete sie die Kerze wieder an und betrachtete dann angewidert die blutbefleckten Bettlaken.
»Die müssen verbrannt werden. Ich werde das diskret mit der Wirtin regeln.«
Cathérine antwortete nicht. Ihre Gedanken folgten Gauthier, wie er durch die Nacht galoppierte, zu Michel und nach Montsalvy zurück, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihr Herz. Des festen Bollwerks beraubt, das er repräsentierte, schienen ihr die kommenden Tage äußerst dunkel und weit bedrohlicher als bisher. Sollte sie denn mit ansehen, wie sich einer nach dem anderen von ihr trennte, alle die, die sie am meisten liebte? Sie fand sich von neuem allein mit ihrer alten Sara, um sich ein neues Leben aufzubauen, aber so traurig ihre Gedanken auch waren, weigerte sie sich, sich zu beklagen. Was geschehen war, war ihre eigene Schuld, ganz allein ihre Schuld! Wenn sie MacLaren fortgejagt hätte, als er sich über sie geneigt hatte, wäre nichts dergleichen passiert. Der junge Schotte würde noch leben, und Gauthier wäre nicht wieder auf die gefährlichen Wege des Abenteuers verwiesen worden.
Als Sara wieder erschien, gleichzeitig Holzscheite und eine Schale mit Suppe tragend, spiegelte ihr würdevolles braunes Gesicht große Zufriedenheit wider.
»Alles schläft da unten. Die Schotten schnarchen auf Tischen und Bänken. Gauthier wird die ganze Nacht zur Verfügung haben, um Vorsprung zu gewinnen. Alles geht gut.«