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An einer durch ein Kruzifix markierten Wegkreuzung hielt Jacques an.

»Hier trennen wir uns, Cathérine. Dieser Weg«, sagte er, auf den rechten Weg deutend, der den Hügel hinanstieg, »ist der meine. Er führt nach Clermont, von wo ich in die Provence hinuntersteigen werde. Eurer ist der linke. In kurzer Entfernung findet Ihr die Priorei Saint-Alpinien, wo Ihr, wenn Euch danach ist, den Tagesanbruch erwarten und Euch ein wenig ausruhen könnt.«

»Das kommt nicht in Frage, Jacques! Ich möchte so viele Wegmeilen wie möglich zwischen uns und das Gefängnis von Aubusson bringen. Aber es tut mir leid, Euch verlassen zu müssen …«

Instinktiv, um noch einen Augenblick allein sein zu können, entfernten sich der Pelzhändler und die junge Frau über das Kreuz hinaus und überließen es Sara und Bruder Etienne, den Pferden die Tücher von den Hufen zu wickeln. Cathérine empfand tiefes Bedauern bei dem Gedanken an die bevorstehende Trennung. Jacques stellte die Solidität, die ermutigende männliche Kraft dar, deren Gauthiers Flucht sie beraubt hatte und die sie jetzt so grausam vermißte. Die schwarzen, dem Morgen vorangehenden Stunden lasteten mit all ihrer Verzweiflung schwer auf ihr, und Todesangst überfiel sie angesichts all der unbekannten Wege, die sie noch einzuschlagen hatte.

Noch nie vielleicht war ihr das Fehlen eines wahren Heims, eines normalen Lebens so herzzerreißend zum Bewußtsein gekommen wie hier, am Fuße dieses Steinkreuzes. Spontan ergriff sie Jacques' Hand und klammerte sich an sie, während ihr die Tränen in die Au gen stiegen.

»Jacques«, murmelte sie, »bin ich denn zur ewigen Heimatlosigkeit verdammt, zur Einsamkeit ohne Ende?«

In den gespannten Zügen des Pelzhändlers rührte sich etwas. Cathérine hatte das Gesicht zu ihm erhoben, und so stark war der Zauber, der von ihrer Schönheit ausging, selbst im Herzen einer dunklen Nacht, daß ihm schwarz vor den Augen wurde und ein verrückter Gedanke in seinem sonst so besonnenen Gehirn aufblitzte. Er begriff nicht, daß Cathérine einer vorübergehenden Depression unterlag, geboren aus der Nacht, der Kälte und ihrer Erschöpfung viel eher als aus der Vernunft. Er drückte die ihm gereichten Hände und legte sie sich auf die Brust.

»Catherine«, rief er, und seine Stimme war, ohne daß er sich dessen bewußt wurde, von Leidenschaft erfüllt, »trennen wir uns nicht! Kommt mit mir! Wir fahren in den Orient, nach Damaskus, wo ich Euch zur Königin machen, wo ich Euch alle Schätze, die die Karawanen aus dem Herzen Asiens bringen, zu Füßen legen werde! Mit Euch, für Euch wird mir nichts unmöglich sein!«

Eine solche Glut war in ihm aufgestiegen, daß sein Atem heiß über Cathérines Stirn strich. Doch war die Minute ihrer Schwäche schon vorüber. Sie war glücklich gewesen, Jacques wiederzusehen, und es bereitete ihr Kummer, sich von neuem von ihm zu trennen; aber was hatte er denn gedacht? Sanft zog sie ihre Hände zurück und lächelte.

»Wir sind müde und haben so große Angst ausgestanden, daß wir auch ein wenig verrückt sind, nicht wahr, Jacques? Was würdet Ihr mit mir auf Euren abenteuerlichen Reisen anfangen? Und was würde aus Eurem großartigen Plan werden, der dem Königreich Reichtum und Prosperität geben soll?«

»Alles unwichtig! ihr seid mir mehr wert als ein Königreich! Vom ersten Augenblick an, als ich Euch unter den Hofdamen der Königin Marie sah, wußte ich, daß ich für Euch alles aufgeben, auf alles verzichten könnte …«

»Selbst auf Macée und die Kinder?«

Ein Schweigen folgte. Jacques bot dem von Cathérine so sanft heraufbeschworenen Bilde Trotz. Sie hörte, daß er schwerer atmete. Dann drang seine Stimme an ihr Ohr, wie von fern, gedämpft, aber fest.

»Selbst auf sie, ja, Cathérine!«

Sie ließ ihm keine Zeit, noch mehr zu sagen; die Gefahr war zu groß. Seit langem hatte sie geahnt, daß Jacques zärtliche Gefühle für sie hegte, hatte sich aber nie vorgestellt, daß seine Liebe so stark sein könne. Er war nicht der Mann, der sich derartig verrannte. Wenn sie ihn beim Wort nähme, würde er alles für sie opfern, Zukunft, Familie, Vermögen! Langsam schüttelte sie den Kopf.

»Nein, Jacques, wir werden diese Narrheit nicht begehen, die wir nur bedauern würden. Ich habe aus Müdigkeit, vielleicht sogar aus Feigheit gesprochen und Ihr aus übergroßer Spontaneität. Einer wie der andere haben wir eine Aufgabe in diesem Land zu erfüllen. Zudem liebt Ihr Macée viel zu sehr, wenn Ihr es auch im Augenblick nicht glaubt, um ihr diesen Kummer zu bereiten. Was mich betrifft … oh, ich, mein Herz ist zur selben Zeit gestorben, als mein Mann starb.«

»Hört auf! Ihr seid zu jung, zu schön für solchen Verzicht!«

»Und trotzdem ist es so, mein Freund«, sagte Cathérine fest, mit Nachdruck das Wort Freund aussprechend. »Ich habe stets nur für und durch Arnaud de Montsalvy gelebt, geatmet, gelitten. Das Leben, die Liebe, der einzige Lebenssinn ruhten immer nur in ihm. Seitdem er nicht mehr da ist, bin ich ein Leib ohne Seele, und das ist zweifellos ein Glück, denn so wird es mir möglich sein, die Aufgabe, die ich mir gesetzt habe, ohne schwach zu werden, zu erfüllen.«

»Und was ist diese Aufgabe?«

»Was spielt es für eine Rolle? Aber sie kann mich mein Leben kosten. In diesem Fall erinnert Euch, Jacques Coeur, daß Euch das Vermögen Michel de Montsalvys, meines Sohnes, anvertraut ist, und betet für mich. Lebt wohl, mein Freund!«

Die Falten ihres Mantels, die der Wind aufbauschte, um sich raffend, wandte Cathérine sich ab, um zu Sara und Bruder Etienne zurückzukehren. Der schmerzliche Einspruch Jacques' erreichte sie wie ein Atemhauch:

»Nein, Cathérine, nicht Lebewohl … Auf Wiedersehen!«

Im Schatten ihrer Kapuze verbarg sie eine gequälte Grimasse. Es waren dieselben Worte oder fast dieselben, die sie im Hohlweg von Carlat geschrien hatte, halb wahnsinnig vor Schmerz, doch an eine Hoffnung geklammert, die nicht sterben wollte. Dieselben Worte, o ja … aber die Qual war nicht da. Das Schicksal, das ihren tumultuösen Lebenslauf bestimmte, würde ihr Jacques wieder nehmen, sobald die Biegung des Weges sie endgültig trennte. Und das war nur gut so!

Sie beugte sich zu Sara hinunter, die sich auf einen Stein gesetzt und zusammengekauert hatte, um sich gegen die Kälte zu schützen, und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen, während sie Bruder Etienne zulächelte.

»Ich habe euch warten lassen, verzeiht! Maître Coeur hat mir aufgetragen, euch Lebewohl zu sagen. Und nun auf den Weg!«

Ohne ein Wort zu sagen, setzten sie sich in Marsch. Der Weg schwenkte nach links, fiel zuerst ab und führte an einem Weiher entlang. Die Mondsichel zeigte sich plötzlich am schwarzen Himmel, überzog ihn mit einem leichten Glanz und ließ die Konturen deutlicher hervortreten. Wieder zu Pferd gestiegen, wandte Cathérine sich um. Das schwache Licht gestattete ihr, noch einmal die Silhouette Jacques' zu sehen, dessen Mantel im Wind flatterte. Ohne sich umzuwenden, ritt er den Hügel hinauf.

Die junge Frau stieß einen Seufzer aus und richtete sich im Sattel auf. Diese sentimentale Schwäche, die sie für einen Moment fast überwältigt hatte, sollte die letzte vor dem Sturz La Trémoilles sein. In der gefährlichen Landschaft des Hofes, wo sie sich betätigen wollte, gab es keinen Platz für derlei Dinge. 

Zweiter Teil 

Die Rache 

Fünftes Kapitel

In der tiefen Nische eines Fensters des Schlosses von Angers stehend, blickte Cathérine zerstreut hinaus. Sie war nach den Reisetagen so müde, daß sie kaum mehr fähig war, sich für ihre Umgebung zu interessieren. Als sie vor kurzem mit Sara und Bruder Etienne die Loire erreicht hatte, wäre sie um ein Haar vor Erschöpfung in Ohnmacht gefallen, von den überstandenen Schrecken gar nicht zu reden. Zwölf Tage lang durch das von Elend und Hungersnot verwüstete Limousin, durch die Mark und Poitou, wo die blutigen Zeichen der englischen Unterdrückung überall frisch und unheilverkündend zu sehen waren, hatten die drei Reisenden um ihr Leben gerungen, gegen die Kälte, gegen die Menschen, selbst gegen die Wölfe, die bis zu den Toren der Scheunen vordrangen, welche sehr oft die einzige Zuflucht bildeten. Essen war ein Problem geworden, und jede Mahlzeit, von Tag zu Tag seltener, war ein schwieriges Abenteuer. Ohne die Abteien, die sich ihnen dank der Kutte des Franziskaners oder dem Geleitbrief der Königin Yolande öffneten, wären Cathérine und ihre Gefährten ohne Zweifel elendiglich Hungers gestorben und hätten den königlichen Strom nie erreicht. Naiverweise hatte sich die junge Frau vorgestellt, wenn sie erst einmal das Herzogtum Anjou, Yolandes Lieblingsland, erreiche, werde sich der ganze Alptraum in Rauch auflösen. Aber es war eher noch schlimmer gekommen!