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»Sehr richtig!« gab die junge Frau trocken zurück. »Nur mit dem Unterschied, daß ich nicht den Kopf eines anderen verlangen werde, sondern seinen eigenen! Außerdem erstaunst du mich, Sara. Ich dachte, du wärest glücklich, ein Weilchen unter deinen eigenen Leuten leben zu können!«

»Fragt sich noch, ob es meine eigenen Leute sind. Ich bin nicht mit allen Wanderstämmen verwandt. Ich gehöre zum mächtigen Stamm der Kaldéras, der einst den Horden Dschingis-Khans gefolgt ist, und nichts beweist, daß die unter den Mauern von Amboise kampierenden Leute von demselben Stamm sind wie ich. Vielleicht sind es nur gewöhnliche Djâts und …«

»Die beste Methode, es festzustellen, ist, hinzugehen und sich selbst zu überzeugen!« unterbrach Tristan.

»Ihr wißt nicht, was Ihr da sagt. Die Djâts würden mich nicht gut aufnehmen. Augenblicklich herrscht Rivalität zwischen den beiden Stämmen. Ich möchte nicht riskieren …«

Diesmal schnitt Cathérine ihr ungeduldig das Wort ab.

»Genug! Ich werde mit Messire l'Hermite zu diesen Zigeunern gehen. Es bleibt dir überlassen, mitzukommen oder nicht. Welcher Stamm es immer sei, er wird mich aufnehmen. Wann brechen wir auf, Messire?«

»Morgen, in der Nacht.«

»Warum nicht heute nacht?«

»Weil wir heute nacht anderes zu tun haben werden. Dürfte ich Euch bitten, Euer Haar herunterzulassen?«

»Und warum nicht ihr Kleid?« brummte Sara verärgert, weil sie von Cathérine heruntergeputzt worden war. »Mit den Toilettenangelegenheiten einer Dame hat ein Mann nichts zu scharfen!«

»Ich habe nicht die Absicht, in Eure Rechte einzugreifen, holde Dame«, erwiderte der Flame mit spöttischem Lächeln. »Ich möchte mir nur über etwas klarwerden.«

Gehorsam hatte Cathérine schon die Nadeln herausgezogen, die ihre Haube festhielten. Das befreite Haar fiel in rotgoldenen Wellen bis zum Ansatz ihrer Schultern herab.

»Eure Haare sind nicht länger?« fragte Tristan erstaunt. »Das wird merkwürdig aussehen. Diese höllischen Zigeunerinnen haben alle Strähnen schwarzen Haars, die bis zur Taille herunterreichen.«

Cathérine konnte Sara gerade noch zur rechten Zeit zurückhalten, die sich auf Tristan stürzen wollte und ihn anschrie, auch sie sei eine ›höllische Zigeunerin‹ und sie werde ihm zeigen, wozu sie fähig sei!

»Beruhige dich schon! Messire l'Hermite wollte dich nicht beleidigen. Er hat unüberlegt gesprochen. Nicht wahr, Messire?«

»Na ja!« brummte Tristan in wenig überzeugendem Ton. »Es war mir so herausgerutscht, das ist alles! Aber nun zurück zu Eurem Haar, Dame Cathérine.«

»Ich habe es mir fast genau vor einem Jahr schneiden lassen müssen. Ist das ein großes Hindernis?«

»N … ein! Aber es wird uns nicht mehr viel Zeit bleiben. Dürfte ich Euch bitten, mich heute abend nach Sonnenuntergang auf einen Gang in die Stadt zu begleiten, Dame Cathérine?«

»Wo sie hingeht, gehe auch ich hin!« versicherte Sara. »Und den möchte ich sehen, der mich daran hindert!«

Der Flame ließ einen elegischen Seufzer hören und warf Sara einen schiefen Blick zu.

»Wenn Ihr wollt? Ich hab' nichts dagegen, da Ihr anscheinend Eure Zunge im Zaum halten könnt. Werdet Ihr mitkommen, Dame Cathérine?«

»Selbstverständlich. Holt uns ab, wann Ihr es für richtig haltet. Wir erwarten Euch. Aber wo gehen wir hin?«

»Ich bitte Euch, mir keine Fragen zu stellen. Versucht, mir Vertrauen zu schenken!«

Das hinterhältige Kompliment Tristans schien Sara beruhigt zu haben, die, immer noch schimpfend, sich daranmachte, ihre Herrin neu zu frisieren. Einen Augenblick betrachtete der Flame sinnend die geschickten Hände der Zigeunerin, die hurtig mit dem zarten Silberstoff und dem schwarzen Musselin umgingen. Als spräche er mit sich selbst, murmelte er:

»Wirklich sehr hübsch! Aber heute abend müssen wir etwas weniger Auffallendes auf die Beine stellen! Und morgen werden Männerkleider die beste Lösung sein, um ans Ziel zu kommen.«

Sofort ließ Sara Kamm und Haarnadeln fallen und pflanzte sich vor dem Flamen auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Die Nase so weit vorschiebend, daß sie fast die ihres Feindes berührte, sagte sie scharf:

»Aber nicht mit mir, mein Junge! Beschafft Männerkleidung für Dame Cathérine, wenn's ihr gefällt (übrigens bin ich überzeugt, daß sie es gern hat), aber mich wird keine Macht der Welt mehr in diese lächerlichen Röhren zwingen, die ihr Hosen nennt, und auch nicht in diese ebenso lächerlichen kurzen Röcke, die ihr als Wams oder Überhang bezeichnet. Wenn Ihr wollt, daß ich mich wie ein Mann anziehe, dann bringt mir eine Mönchskutte. Da drin habe ich wenigstens Platz!«

Tristan öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, besann sich aber eines Besseren, warf der majestätischen Dame Sara einen anerkennenden Blick zu und lächelte schließlich sein gedehntes Lächeln, das die Zähne nicht sehen ließ. Dann seufzte er und hob die Schultern.

»Im Grunde wäre das gar keine so schlechte Idee. Auf heute abend, Dame Cathérine. Erwartet mich etwa zur Stunde der Abendandacht!«

Das Abendläuten war schon lange vorüber, als Cathérine, Tristan und Sara das Schloß durch das Ausfalltor des großen Portals verließen und den Weg ins Viertel der Händler einschlugen, das die Kathedrale Saint-Maurice umgab. Der vorgeschrittenen Stunde wegen waren vor allen Geschäften schon die dicken, mit Eisen beschlagenen Läden angebracht worden, aber durch die Ritzen konnte man den Widerschein der brennenden Kerzen und Öllampen sehen. Die von den schlanken Türmen ihrer Kathedrale beherrschte Stadt würde sich bald zur Ruhe begeben. Hinter den stummen Fassaden konnte man sich die Hausfrauen mit dem Geschirr oder den letzten Aufräumungsarbeiten beschäftigt vorstellen, während der Gatte den Reinverdienst des Tages zählte oder mit einem Nachbarn die neuesten Nachrichten aus der Provinz besprach.

Die drei Spaziergänger hasteten eilig durch die schmalen Gassen. Die dicken dunklen Mäntel der Frauen, die ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten, so daß sie zwei flüchtigen Schatten glichen, hoben sich kaum von den schwärzlichen Mauern ab. Was Tristan betraf, so hatte er die Klappen seiner großen Kappe über die Augen heruntergeschlagen, denn ein feiner Regen, einer jener Nieselregen, die gut in die Erde dringen und die Saat zum Wachsen bringen, hatte gleichzeitig mit dem Einfall der Dunkelheit eingesetzt. Das Wasser des Himmels machte die großen, runden Kieselsteine schlüpfrig, mit denen die Gasse gepflastert war, durch die Cathérine und ihre Gefährten gingen, eine Gasse, in deren Mitte eine Abflußrinne verlief, der ein scharfer Geruch nach Fisch entstieg, und das so aufdringlich, daß Cathérine ihr mit Lilienparfüm betupftes Taschentuch herauszog und an die Nase hielt. Sara schimpfte lediglich:

»Ist es noch weit? Hier stinkt es wie die Pest!«

»Wir sind in der Fischhändlergasse. Da könnt Ihr nicht erwarten, daß es nach Ambra und Jasmin duftet«, gab Tristan zurück. »Außerdem sind wir bald da. Die Gasse der Pergamentmacher, wo wir hinwollen, ist die nächste.«

Statt einer Antwort begnügte sich Sara damit, sich bei Cathérine einzuhängen und ihre Schritte zu beschleunigen. Bald bogen sie in die Gasse der Pergamentmacher ein, in der es nicht mehr nach Fisch, doch sonderbar nach Tusche und Stärkemehlkleister duftete. Der schwache Wind ließ die Handwerkszeichen knarren, und die Beleuchtung war noch schlechter als in der Nachbargasse. In der ganzen Gasse war nur ein einziges Fenster erhellt, und dieses Fenster, schmal und dreiteilig, schien eine Feuersbrunst widerzuspiegeln.

Vor dem Fenster – oder eigentlich vor der direkt darunterliegenden Tür – blieb Tristan l'Hermite stehen. Cathérines Augen hatten sich nun genügend an die Dunkelheit gewöhnt, so daß sie ein kleines, ziemlich seltsames Haus wahrzunehmen vermochte, dessen schiefer Giebel ihm das Aussehen einer leicht betrunkenen Alten mit Haube gab. Aber im Gegensatz zu seinen Nachbarhäusern, die aus Fachwerk und Verputz bestanden, war dieses Haus, wie Cathérine feststellte, aus soliden Steinen errichtet. Und wenn die Tür auch niedrig war, so war sie mit blumenverzierten Eisenbändern versehen, und ein großes Zunftschild in Form eines Pergaments hing darüber. Ein großer, feingearbeiteter Ring hing an der Tür, der zum Anklopfen diente.