»Wo sind wir?« flüsterte Cathérine, von der Stille leicht beeindruckt.
»Bei dem Mann, der uns am meisten nützlich sein kann, holde Dame. Beunruhigt Euch nicht.«
»Ich jedenfalls beunruhige mich nicht, ich friere. Meine Füße sind vollkommen naß!« murrte Sara.
»Ihr hättet festere Stiefel anziehen sollen! Ah, es kommt jemand!«
Tatsächlich hörte man hinter der Tür leises Getrippel. Die Tür öffnete sich, drehte sich geräuschlos in ihren wohlgeölten Angeln, und eine kleine Alte in grauem Kleid, in Schürze und Häubchen aus weißem Leinen erschien und verneigte sich, so tief es ihr vom Rheumatismus geplagter Rücken erlaubte.
»Meister Guillaume erwartet Euch, Messire, und Euch auch, edle Damen!«
»Gut, gehen wir hinauf!«
Am Ende eines schmalen Ganges, von dem eine einzige, halbgeöffnete Tür abging, die zweifellos in eine Küche führte, strebte eine steile, von einem brennenden Docht kläglich beleuchtete Treppe nach oben. Vom Kopf der Treppe klang eine sonore Stimme:
»Kommt herauf, Messire. Es ist alles bereit!«
Der Umfang dieser Stimme ließ Cathérine zusammenzucken. Sie erinnerte sie an die Gauthiers, aber der Mann, dem sie eignete, war das genaue Gegenstück des Normannen. Er war klein, verwachsen, bucklig, und über das runzlige Gesicht liefen unablässig nervöse Zuckungen. Er schien weder Haare noch einen Bart, nicht einmal Augenbrauen zu haben, und rote, leuchtende Flecken zeichneten Wangen, Kinn und Stirn. Eine bis zu den Augen heruntergezogene schwarze Mütze verbarg seinen Schädel und hob die rotgeränderten, müden Augen hervor. Cathérine unterdrückte eine Bewegung des Widerwillens angesichts dieses zwitterhaften, abstoßenden Wesens, das sie beharrlich betrachtete, sich dabei mechanisch die Hände rieb und unaufhörlich über die Lippen leckte. Die furchterregende Stimme dröhnte wieder:
»Das ist also die Dame, die wir bräunen müssen! Zuerst werden wir ihr ein Bad bereiten, und dann werden wir uns mit dem Haar beschäftigen!«
Cathérine trat einen Schritt zurück, und Sara runzelte die Stirn.
»Ein Bad?« fragte die junge Frau mit matter Stimme. »Aber ich …«
»Das ist unbedingt nötig«, sagte Meister Guillaume salbungsvoll. »Eure Haut muß ganz farbecht werden.«
Tristan, der bis jetzt nichts gesagt hatte, begriff den Widerwillen Cathérines und war sich der schroffen Ablehnung Saras bewußt. Er griff vermittelnd ein.
»Es ist ein Kräuterbad, Dame Cathérine, das Euch keinen Schaden zufügen kann. Sara wird Euch dabei assistieren. Aber ich glaube, ich muß Euch zuerst Meister Guillaume vorstellen. Von Beruf ist er Maler, und einer der besten Frankreichs. Vor allem ist er aber lange eines der hervorragendsten Mitglieder der Brüderschaft der Passion gewesen, die in Paris so schöne Mysterienspiele aufführte. Die Kunst des Schminkens und der Veränderung des Aussehens hat für ihn keine Geheimnisse. Und mehr als eine Edeldame aus Angers hat sich, als sie entdeckte, daß ihr Haar weiß wurde, diskret seiner Fertigkeiten bedient.«
Der Biedermann rieb sich weiter die Hände und schnurrte wie eine Katze mit halb zugekniffenen Augen, als er die kleine Lobeshymne des Flamen hörte. Wieder etwas beruhigt, weil sie einen Augenblick gefürchtet hatte, in die Höhle eines Zauberers geraten zu sein, atmete Cathérine auf und wollte sich liebenswürdig zeigen.
»Spielt Ihr keine Mysterien mehr?« fragte sie.
»Der Krieg, edle Dame, und das große Elend, das in Paris herrscht, haben unsere Compagnie zerstreut. Außerdem kann ich in meinem Zustand nicht mehr auf einer Bühne auftreten.«
»Hattet Ihr einen Unfall?«
Guillaume stieß ein kleines, meckerndes Lachen aus, das in seltsamem Gegensatz zu seiner normalen Stimme stand:
»Oje! Eines Tages, als ich die Ehre hatte, den Herrn Teufel zu spielen, und mich zwischen den Harzfackeln bewegte, die die Hölle darstellen sollten, fing mein Kostüm Feuer. Ich glaubte, sterben zu müssen, aber ich habe es überlebt … in dem Zustand, in dem Ihr mich hier seht! Es bleiben mir meine Malkunst und die Ratschläge, die ich geben kann, wenn man, selten genug in unseren Tagen, ein Schauspiel aufführt. Aber wenn Ihr mir folgen wollt … Das Bad ist bereit, wir dürfen es nicht kalt werden lassen.«
Sara folgte Cathérine auf dem Fuß, während diese, von Guillaume geführt, den großen Raum durchschritt, in dem der Maler gewöhnlich arbeitete, übrigens ein sehr freundlicher Raum, voll von Pergamentrollen, kleinen Töpfen mit verschiedenen Farben und zahlreichen Pinseln aus Dachshaar oder Schweinsborsten. Auf einem Pult lag eine große Seite aus dem Evangelium, auf die Guillaume vollendet schön auf Goldgrund eine bewundernswerte Miniatur malte, die die Kreuzigung darstellte. Im Vorbeigehen blieb Cathérines Blick auf dem begonnenen Werk haften.
»Ihr seid ein großer Künstler«, sagte sie mit instinktiver Achtung.
Die müden Augen Guillaumes blitzten stolz auf, und er schnitt eine Grimasse, die als Lächeln gelten konnte.
»Ein ehrliches Lob macht immer Vergnügen, edle Dame. Hier entlang, wenn ich bitten darf.«
Das kleine Gemach, in das er Cathérine geleitete, nachdem er einen Vorhang aus geblümtem Stoff zurückgeschlagen hatte, ähnelte diesmal haargenau der Höhle eines Zauberers. Eine unendliche Zahl von Porzellangefäßen, Retorten, Schmelztiegeln und ausgestopften Tieren füllte ihn, alles um einen Ziegelofen und einen großen Waschbottich auf dem Boden gruppiert, der mit dampfendem dunklem Wasser gefüllt war.
Cathérine betrachtete mit Widerwillen die dunkelbraune Flüssigkeit, in die man sie stecken wollte. Was Sara betraf, so hatte sie schon zu lange mit ihrer Meinung zurückgehalten!
»Was ist da drin?« fragte sie in mißtrauischem Ton.
»Einzig und allein Kräuter und Pflanzen«, erwiderte der Maler gelassen. »Ihr werdet mir gestatten, das Geheimnis ihrer Zusammenstellung für mich zu behalten. Ich bin nur bereit zu verraten, daß unter anderem auch Nußschalen darin sind. Diese schöne Dame muß vollständig in den Bottich tauchen, Gesicht und Hals inbegriffen. Eine Viertelstunde, mit so oftmaligem Untertauchen des Gesichtes, wie Ihr könnt, dürfte genügen.«
»Und wie werde ich dann aussehen?« fragte Cathérine.
»Ihr werdet einen ebenso braunen Teint haben wie diese stattliche Person Eurer Begleitung.«
»Und … werde ich so bleiben?« fragte die junge Frau weiter, über den Gedanken beunruhigt, was wohl ihr kleiner Michel und seine Großmutter sagen würden, wenn sie sie zur Zigeunerin verwandelt wiederfänden.
»Nein. Es wird zunehmend verblassen. Zwei Monate sind, denke ich, alles, womit Ihr rechnen müßt. Darauf müßt Ihr ein neues Bad nehmen, wofern Ihr Euch nicht lange der Sonne aussetzt. Beeilt Euch, das Bad wird kalt!«
Er ging zögernd hinaus, als bedauerte er, nicht dabeibleiben zu können, von Sara begleitet, die sorgfältig den Vorhang wieder hinter sich schloß und mit ihrem breiten Rücken einen immer möglichen Spalt verdeckte.
Währenddessen zog Cathérine sich schnell aus und stieg, ohne Atem zu holen, ins Wasser. Ein süßlicher, leicht pfeffriger Geruch stieg ihr sofort in die Nase. Das Wasser war nicht übertrieben warm, und einmal drinnen, verflog Cathérines Widerstreben. Den Atem anhaltend und die Augen schließend, tauchte sie mit dem Kopf einmal, zweimal, zehnmal unter.
Als die neben dem Bottich aufgestellte Sanduhr um eine Viertelstunde gefallen war, stand Cathérine auf und ließ die dunklen Tropfen an ihrer Haut herunterrinnen, die einen warmen, goldenen Braunton angenommen hatte.