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»Was hast du mir da zu trinken gegeben?« fuhr sie sie an. »Ich befehle dir, mir zu antworten! Was habe ich getrunken?«

Das verzückte Lächeln Tereinas enthielt keine Spur von Furcht.

»Du hast die Liebe getrunken … Ich habe dir meinen kräftigsten Liebestrank gegeben, damit dein Herz sich am Feuer, das in dem meines Bruders brannte, erwärme, jetzt bist du sein … und ihr werdet zusammen glücklich sein! jetzt bist du wirklich meine Schwester.«

Mit einem Seufzer ließ Cathérine den Schal los. Sie unterdrückte die Vorwürfe, die ihr auf den Lippen lagen. Was hätten sie genützt? Tereina wußte nichts von ihrer wahren Persönlichkeit. Sie hatte in ihr nur eine Tochter ihrer Rasse gesehen, eine Vertriebene, die ihr Bruder begehrte, und sie hatte geglaubt, beiden Glück zu bringen, indem sie sie in Feros Arme warf. Sie wußte nicht, daß Liebe und Verlangen verfeindete Brüder sein können …

Die kleine Zigeunerin hatte ihre Hand ergriffen und legte sie mit einer liebevollen Geste an ihre Wange.

»Ich weiß, wie glücklich ihr beide wart!« flüsterte sie in vertraulichem Ton. »Die ganze Nacht habe ich zugehört … und auch ich war glücklich!«

Cathérine fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. In der Erinnerung an das, was sich in dieser teuflischen Nacht zugetragen hatte, überflutete sie eine Welle der Scham. Sie sah sich wieder, sie, Cathérine de Montsalvy, wie sie sich verzückt unter den Küssen eines Vagabunden wand, und dafür haßte sie sich jetzt. Natürlich hatte der Trank seine aufputschende Rolle gespielt, aber Cathérine war sich trotzdem einer Art unbekannter Spaltung ihres Wesens bewußt. Existierte das hemmungslose Geschöpf, das durch das Aphrodisiakum geweckt worden war, nicht irgendwie doch im Untergrund ihrer Seele? Das war sie, die gleiche, die schon in den Armen Philippes von Burgund Entzücken empfunden hatte; sie, die sich ohne die Einmischung Gauthiers dem Schotten MacLaren ausgeliefert hätte, die im Kontakt mit gewissen Männern vage Erregung in sich aufsteigen fühlte, die schließlich um der herrischen Forderungen ihres Körpers, um ihres Bedürfnisses nach physischer Liebe willen die Rufe ihres ganz dem Gatten gehörenden Herzens zum Schweigen brachte … Der Schmutz, in dem ihre Beine so tief staken, war nicht weniger dick, nicht weniger widerlich als der, aus dem sich die elende menschliche Natur bildete.

Sanft legte sie die Hand auf Tereinas Kopf, die immer noch demütig vor ihr stand.

»Geh schlafen«, sagte sie freundlich zu ihr. »Du bist durchnäßt und frierst.«

»Aber du bist glücklich, nicht wahr, Tchalaï? Du bist wirklich glücklich?«

Noch eine Anstrengung, die letzte, um das Herz dieser Unschuldigen nicht zu brechen!

»Ja …«, murmelte Cathérine, »… sehr glücklich!«

Die Tränen zurückdrängend, ging Cathérine schweren Herzens ihres Weges, in den Nebel tauchend, als wollte sie ihre Schande darin verbergen. Sie ging zum Fluß hinunter, und blieb erst stehen, als das Wasser ihre nackten Beine umspülte.

Die Loire war grau und verschmolz mit dem trüben Himmel, doch beinah unmerkliche Spuren goldenen Lichts huschten hier und dort über die Oberfläche. Das Wasser schäumte, angeschwollen durch den großen nächtlichen Regen, von neuer Kraft strotzend. Cathérine bekam plötzlich Lust, sich hineinzustürzen. Der königliche Strom war schon immer ihr Freund gewesen, und in dieser traurigen Morgendämmerung fand sie ganz natürlich zu ihm zurück, um von ihm ihr wundes Herz besänftigen zu lassen.

Mit mechanischen Bewegungen ließ sie ihre Kleider hinuntergleiten und trat in die Strömung hinaus. Sie war stark, und es machte Mühe, auf dem mit losen Steinen bedeckten Grund zu gehen. Das Wasser war frisch, und als es ihr bis zum Bauch reichte, fror Cathérine. Eine Gänsehaut überlief sie, aber sie ging trotzdem weiter. Bald reichte ihr das Wasser bis zu den Schultern, und sie schloß die Augen. Die Strömung massierte ihren Körper. Nur ihre in den Schlamm gebohrten Beine hielten sie noch. Plötzlich überkam sie eine große innere Ruhe. Wäre es nicht besser, wenn jetzt alles zu Ende ginge? Wenn sie endgültig mit ihrem hoffnungslosen Leben Schluß machte? Solange sie sich hatte rein halten können, war der Kampf noch leicht, und der Sieg konnte seine Reize haben. Jetzt aber? Sie hatte sich einem Unbekannten wie eine Bauerndirne hingegeben, und damit hatte sich zwischen ihr und der Erinnerung an ihren Gatten eine tiefe, unüberbrückbare Kluft aufgetan. Wenn Gott wollte, daß sie ihn noch einmal wiedersah, und sei es auch nur ein einziges Mal, würde sie es wagen, ihm ins Gesicht zu sehen, ohne vor Scham zu sterben? Ein tiefes Schluchzen stieg ihr in die Kehle, und zwei Tränen glitten unter ihren geschlossenen Lidern hervor.

»Arnaud!« murmelte sie. »Könntest du mir verzeihen, wenn du wüßtest … wenn du wüßtest …«

Nein, er könnte es nicht! Dessen war sie sicher. Allzu gut kannte sie seine heftige Eifersucht, seine starke Leidenschaft, um auch nur den geringsten Zweifel zu hegen. Er, der sich hatte foltern lassen, um ihr nicht untreu zu werden, wie könnte er verstehen, wie könnte er vergeben? … Was hatte es also noch für einen Sinn zu kämpfen? Selbst ihr kleiner Michel brauchte sie nicht mehr so dringend. Er hatte die Liebe seiner Großmutter und könnte, einmal zum Mann herangewachsen, Montsalvy sehr wohl wieder aufbauen. Und für Cathérine wäre es so wohltuend, sich endlich diesem großen, gebieterischen Fluß zu überlassen, für immer in ihm unterzutauchen! So gut … und so leicht! Es genügte, ihre Beine gleiten zu lassen … o ja, es war leicht … es war …

Schon gaben ihre Beine nach. Die Strömung würde ihre leichte Gestalt schnell davontragen bis zu dem geheimnisvollen dunklen Tor, hinter dem es nichts mehr gab als Vergessen und Tod. Aber eine angsterfüllte Stimme gellte vom Ufer herüber:

»Cathérine! Cathérine! Wo bist du? … Cathérine!«

Es war Saras Stimme, von Entsetzen halb erstickt. Sie drang durch den Nebel, ein verzweifelter Anruf dieses Lebens, das Cathérine aufgeben wollte, und mit so vielen Erinnerungen geladen, daß die junge Frau sich ganz instinktiv mit den Zehen im Grund festklammerte. Die Spanne eines Augenblicks lang sah sie ihre alte Sara vor sich, wie sie auf dem feuchten Sand kniete und den Körper, den der Fluß ihr übergeben würde, in ein Leichentuch hüllte. Sie glaubte, sie weinen zu hören … und plötzlich packte sie der Selbsterhaltungstrieb. Sie riß sich zusammen, kämpfte gegen die Strömung, die sie davontragen wollte, fand die Energie wieder, die sie verloren geglaubt hatte, und schwamm halb, schritt halb der Uferböschung zu. Wieder ins Leben zurückkehrend, konnte sie in den ziehenden Nebelschwaden schließlich die Umrisse Saras erkennen, die am Ufer stand und immer wieder rief.

Bleich vor Unruhe und Besorgnis, fest in ihren grauen Umhang gehüllt, drückte die Zigeunerin Cathérines Kleider an sich, und große Tränen rollten ihr über die Wangen. Als die triefende Gestalt der jungen Frau vor ihr aus dem Nebel auftauchte, stieß sie einen rauhen Schrei aus, und als sie sie straucheln sah, warf sie sich ihr entgegen, um sie zu stützen, doch Cathérine sprang zur Seite und wich ihren Händen aus.

»Rühr mich nicht an!« sagte sie überdrüssig. »Du weißt nicht, wie sehr mir vor mir selbst schaudert. Ich bin schmutzig … Ich ekle mich!«

Das breite Gesicht Saras verriet ihr Mitleid. Obgleich Cathérine sich wehrte, schlossen sich ihre Arme um ihre frierenden Schultern, und nachdem sie sie mit ihrem eigenen Umhang kräftig abgetrocknet hatte, half sie ihr beim Anziehen und führte sie ins Lager zurück.

»Und deswegen wolltest du sterben, armes Ding? Weil ein Mann in dieser Nacht deinen Körper besessen hat? Nur wegen einer mit Fero verbrachten Nacht bist du so außer Fassung? Muß ich dich daran erinnern, daß das nur ein Anfang ist … daß du übersiehst, was dich auf dem Schloß erwartet? Warst du nicht, um ans Ziel dieses verrückten Abenteuers zu gelangen, zu allem bereit?«