»Aber ich war doch mit allem einverstanden diese Nacht … Ich hatte ich weiß nicht was für ein verfluchtes Gebräu getrunken, das Tereina mir gegeben hatte«, rief Cathérine eigensinnig. »Und ich hab' Vergnügen in Feros Armen empfunden. Verstehst du? Vergnügen!«
»Na und?« meinte Sara kalt. »Das ist nicht deine Schuld. Du hast's nicht gewollt. Was dir in dieser Nacht passiert ist, ist nicht wichtiger als eine vorübergehende Verrücktheit … oder ein einfacher Katarrh.«
Aber Cathérine wollte sich nicht trösten lassen. Sie warf sich auf das harte Lager, das sie mit Sara teilte, und schluchzte bis zur Erschöpfung. Es erwies sich als heilsam. Die Tränen verscheuchten den letzten Dunst, den die Droge in ihrem Hirn zurückgelassen hatte, gleichzeitig mit der sie niederdrückenden widerlichen Scham. Schließlich war sie so müde, daß sie in friedlichen Schlaf sank, der bis zum Mittag anhielt. Sie erwachte mit klarem Kopf und ausgeruhtem Körper. Doch nur, um von der alten Orka zu hören, daß sie noch am selben Abend nach den sonderbaren Riten der Zigeuner mit Fero vereint werden sollte.
Glücklicherweise verschwand die alte Orka alsbald, nachdem sie ›die große Neuigkeit‹, wie sie es nannte, verkündet hatte, denn die junge Frau bekam einen regelrechten Wutanfall. Daß Fero, nicht zufrieden, sie zu seiner Geliebten gemacht zu haben, sie heiraten wollte, weigerte sie sich heftig zu akzeptieren, und sie erging sich in so beleidigenden Ausdrücken ihm gegenüber, daß Sara sie mit Gewalt zum Schweigen bringen mußte. Ihre Schreie wurden gefährlich. Sie verschloß ihr mit der Hand den Mund und herrschte sie an:
»Sei nicht dumm, Cathérine! Daß Fero dich heiraten will, ist für dich überhaupt nicht wichtig. Wenn er dich nicht an sich bindet, werden die anderen das Recht haben zu verlangen, daß du einem von ihnen zugewiesen wirst. Wenn du dich weigerst, müssen wir fliehen, und zwar sofort. Aber wohin? Nun?«
Von der rauhen Hand Saras halb erstickt, hatte Cathérine sich inzwischen einigermaßen beruhigt. Sie machte sich frei und fragte:
»Warum sagst du, es sei für mich nicht wichtig?«
»Weil es sich nicht um eine richtige Heirat handelt, zumindest nicht, wie du's verstehst. Die Zigeuner denken nicht daran, Gott mit einer so einfachen Angelegenheit wie der Paarung zweier Wesen zu verbinden, überdies ist es nicht Cathérine de Montsalvy, die Fero zur Frau nehmen wird, sondern eine Truggestalt, ein Phantom, das eines Tages verschwinden wird, eine Tochter Ägyptens namens Tchalaï …«
Cathérine schüttelte den Kopf und betrachtete Sara mit bangem Blick. Daß sie so gleichmütig blieb, kam ihr einfach ungeheuerlich vor! Sie schien das alles ziemlich natürlich zu finden, während ihr der Gedanke an diese Heirat Übelkeit und Entsetzen verursachte!
»Es ist stärker als ich«, sagte sie. »Mir ist, als beginge ich einen Vertrauensbruch … als verriete ich Arnaud zum zweitenmal!«
»In keinem Fall, da du ja nicht mehr du selbst bist! Andererseits wird dir diese Heirat eine gesicherte Position im Stamm einbringen. Niemand wird dir mehr mißtrauen!«
Trotz ihrer Aufmunterungen hatte Cathérine das Gefühl, eine Freveltat zu begehen, wenn sie an diesem Abend wieder zu Feros Feuer ging, um das sich der ganze Stamm zu der großen Festivität versammeln würde. Das Gewitter der Nacht hatte die Luft gereinigt und einen weiten dunkelblauen, samtweichen Himmel beschert. Die Männer waren mit vollen Netzen vom Fischfang zurückgekehrt, und das ganze Lager roch nach Fisch, den man überall briet. Die Tamburine und Klappern rasselten in den Händen der Männer. Die Kinder führten Freudentänze um die Kochkessel auf, und selbst die Säuglinge kreischten in ihren Körbchen.
All diese Vorbereitungen und stürmischen Äußerungen der Freude, die sich rings um sie erhoben, verstärkten nur noch Cathérines Widerwillen. Von ganzem Herzen lehnte sie diesen Scheinakt ab, zu dem man sie schleppte, um so mehr, als sie billigerweise fürchtete, daß auf die Heirat ein gemeinsames Leben, zahlreiche gemeinsam verbrachte Nächte folgen würden. Sie konnte sich schlecht in Feros Karren vorstellen, ihn bedienend, wie es die anderen Frauen taten, ihm mit Leib und Seele gehörend … wenn Gott selbst nicht eingriff! Sie verspürte die verrückte Lust, ein für allemal dieser unmöglichen Lage zu entfliehen, zumal sie Fero nun mißtraute. Sie kannte seinen Wert und hatte ihn für ihren Verbündeten gehalten. Jetzt aber schien er die Situation ausnützen zu wollen. Wer konnte sagen, ob er sie gehen ließe, wenn man von ihr verlangte, im Schloß zu tanzen? …
Angesichts der Befürchtungen, die sie quälten, war es paradoxerweise gerade der Gedanke an ihre Aufgabe, der Cathérine letzten Endes zurückhielt. Für den Augenblick war sie nicht in Todesgefahr und mußte das Abenteuer bis zum Ende durchstehen. Dies hinderte sie jedoch nicht, verzweifelt nach einem Mittel zu suchen, um dieser empörenden Zeremonie zu entgehen.
Die Frauen hatten Cathérine in den schreiendsten Plunder gekleidet, den man im Stamm hatte auftreiben können. Ein Stück grüne Seide, ein wenig zerfetzt, aber mit Silber besetzt, wurde ihr mehrere Male um den Leib gewickelt, den man zu dieser Gelegenheit von dem rauhen Hemd befreit hatte. An die Ohren hatte man ihr Silberreifen gehängt, während Halsbänder aus dicken, ziselierten Platten aus demselben Metall und andere aus kleinen, aufgefädelten Münzen ihr schwer bis zu den Schultern reichten, deren eine nackt blieb. Andere Ketten aus Silbermünzen bildeten eine Art Krone in ihrem Haar, und die Augen der Frauen hatten ihr deutlich gesagt, wie schön sie in diesem wilden Aufputz aussah.
Die Bestätigung ihrer Schönheit las Cathérine auch in dem strahlenden Gesicht Feros, in seinem stolzen Blick, als er zu ihr trat und sie bei der Hand nahm, um sie zu der Phuri Daï zu führen. Dies war die älteste Frau des Stammes; weil sie die Weiseste und Hüterin der uralten Traditionen war, hatte sie eine fast ebenso große Macht wie der Chef. Noch nie hatte Cathérine eine Frau gesehen, die so sehr einer Schleiereule glich, aber die runden Äuglein der Phuri Daï waren grün wie Gras im Frühling. Schwarze Tätowierungen bedeckten ihre hohlen, runzligen Wangen und verloren sich unter den langen grauen Haarsträhnen, die unter einem roten Tuchfetzen, der nach Art eines Turbans um den Kopf drapiert war, herausquollen. Wider ihren Willen betrachtete Cathérine sie mit Entsetzen, weil diese Frau für sie die Heirat verkörperte, zu der das Schicksal sie zwang.
Die Alte hielt sich aufrecht inmitten der Alten des Stammes, von den lodernden Flammen beleuchtet, die die scharfen Züge ihres Gesichts noch stärker hervortreten ließen. Die Tamburine und Ratschen verursachten einen wilden Lärm, in den sich die Schreie der Frauen und der Gesang der Männer mischten. Der Krach war ohrenbetäubend. Als das Paar vor ihr stehenblieb, streckte die Phuri Daï zwei zerbrechliche, wie Vogelklauen aussehende Hände aus ihren Lumpen und ergriff ein Stück Schwarzbrot, das ein großer, bärtiger Zigeuner ihr reichte. Plötzlich trat Stille ein, und Cathérine begriff, daß der entscheidende Augenblick gekommen war. Sie mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien, um sich gegen die aufquellende Panik zu wehren. Sollte denn wirklich nichts diese makabre Farce verhindern?
Die pergamentenen Hände brachen das Brot in zwei Stücke. Dann nahm die Alte etwas Salz, das man ihr in einer kleinen Silberschale reichte, denn Salz war etwas Seltenes und außerordentlich Kostbares. Sie streute etwas davon auf jedes der beiden Brotstücke, reichte eines Cathérine und das andere Fero.
»Wie ihr dieses Brots und dieses Salzes überdrüssig werdet«, sagte sie, »so werdet ihr auch einander überdrüssig werden. Jetzt tauscht eure Brotstücke.«
Trotz allem durch den feierlichen Ton der Alten beeindruckt, nahm Cathérine mechanisch das Brot, das Fero ihr reichte, und bot ihm das ihre. Beide bissen gleichzeitig in die harte Kruste. Die Augen des Anführers ruhten unverwandt in denen der jungen Frau, und sie mußte die ihren für einen Moment schließen, unfähig, die brutale, primitive Leidenschaft zu ertragen, die die seinen offenbarten … Gleich würde sie ihm wieder angehören, doch diesmal ohne die geringste Lust dazu. Nicht nur, daß sie Fero nicht begehrte, sondern ihr Körper lehnte sich schon im voraus gegen das auf, was folgen würde.