»Jetzt den Krug«, sagte die Alte.
Man reichte ihr einen irdenen Krug, den sie mit Hilfe eines Steins über den Köpfen der beiden jungen Leute zerschlug. Einige Weizenkörner fielen heraus. Und alsbald kauerte sich die Alte nieder und zählte die Scherben.
»Es sind sieben Stück«, sagte sie, die Augen zu Cathérine erhebend. »Sieben Jahre, Tchalaï, wirst du Fero angehören!«
Mit einem Triumphgeschrei packte der Zigeunerführer Cathérine an den Schultern und zog sie an sich, um sie zu umarmen. Wie betäubt lehnte sie sich an seine Brust, während der Stamm in Freudenrufe ausbrach. Doch bevor Feros Lippen die der jungen Frau berührten, stürzte ein Mädchen mit nachtschwarzem Haar aus dem Dunkel und riß Cathérine mit brutaler Kraft aus den Armen, die sie umfingen.
»Einen Augenblick, Fero! Ich bin auch noch da, und du hast mir geschworen, daß ich deine einzige Frau sein würde!«
Um ein Haar hätte Cathérine vor Erleichterung aufgeschrien. Sie stand jetzt vier Schritte von Fero entfernt, durch dieses Mädchen von ihm getrennt, das sie wie eine Wundererscheinung anstarrte. Die Neue hatte ein kühnes Gesicht – kupferfarbenen Teint, kleine Adlernase, mandelförmige, leicht geschlitzte Augen, glatte Zöpfe – und trug ein rotes Seidenkleid, das seltsam elegant unter all diesen Lumpen wirkte. Eine Goldkette blitzte an ihrem Hals. Aber Feros Verblüffung war nicht gespielt.
»Dunicha! Du warst schon so viele Tage verschwunden! Ich glaubte dich tot!«
»Und das hat dich sicherlich tief bekümmert, nicht wahr? Wer ist die da?«
Sie deutete mit einer rachsüchtigen Bewegung, die nichts Gutes verhieß, auf Cathérine. Zweifellos war es eins der beiden Mädchen, die La Trémoille sich vor vierzehn Tagen aufs Schloß geholt hatte. Warum mußte die Zigeunerin sie auf Anhieb wie eine Feindin mustern, dachte Cathérine, jetzt, da sie darauf brannte, ihr eine Menge Fragen über die Gewohnheiten des Schlosses zu stellen?
Während sie darüber nachsann, nahm der Streit zwischen Dunicha und Fero an Schärfe zu. Der Zigeunerführer verteidigte sich barsch gegen den Vorwurf, ihr untreu gewesen zu sein. Da seine künftige Frau nicht auf dem Schloß getötet worden sei, hätte sie ihn wissen lassen müssen, daß sie noch lebte. Was ihn betreffe, so sei er jetzt regulär mit Tchalaï vereint, und er lasse nicht von ihr ab.
»Sag lieber, daß es dir ausgezeichnet in den Kram gepaßt hat, mich für tot zu halten!« rief das Mädchen. »Aber du bist trotzdem eidbrüchig, und ich, Dunicha, fechte die Gültigkeit deiner Heirat an. Du hattest nicht das Recht, das zu tun!«
»Aber ich hab's getan!« brüllte der Anführer. »Und daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern!«
»Meinst du?«
Die schrägen Augen Dunichas huschten von Cathérine zu Fero und kehrten wieder zu der jungen Frau zurück.
»Ich nehme an, du kennst unsere Gebräuche. Wenn zwei Frauen sich um denselben Mann streiten und alle beide ein Anrecht auf ihn haben, dann kämpfen sie um ihn bis zum Tod der einen oder anderen. Diesen Brauch nehme ich für mich in Anspruch. Morgen bei Sonnenuntergang werden wir kämpfen, du und ich.«
Und ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen, wandte Dunicha sich auf den Fersen um. Mit erhobenem Haupt durchbrach sie den Kreis der Zigeuner und tauchte wieder in der Dunkelheit unter, alsbald von vier Frauen gefolgt. Die alte Phuri Daï, die Fero und Cathérine vereint hatte, näherte sich der jungen Frau und trennte sie von Fero, der wieder ihre Hand ergriffen hatte.
»Ihr müßt euch trennen. Bis zum Kampf gehört Tchalaï dem Schicksal. Nach unseren Gesetzen werden vier Frauen unseres Stammes sie bewachen, während vier andere bei Dunicha bleiben werden. Ich habe gesprochen!«
Es herrschte Totenstille. Wie durch Zauberei war Sara neben Cathérine aufgetaucht, die Fero jetzt verzweifelt anblickte. Doch er hatte nicht einmal mehr das Recht, das Wort an sie zu richten … Das Fest wurde jäh abgebrochen. Die Trommeln schwiegen, und man hörte nichts mehr als das Knistern der Flammen unter den Kochkesseln. Es war, als wäre der Tod plötzlich über das Lager geflogen, und trotz ihres Mutes konnte Cathérine kaum ein Frösteln unterdrücken. Saras Hand legte sich auf ihren nackten Arm.
»Tchalaï ist meine Nichte«, sagte die Zigeunerin in gemessenem Ton. »Ich werde sie mit Orka bewachen. Du kannst noch zwei andere Frauen benennen …«
»Nein, nur eine!« rief Tereina, neben ihre Freundin springend. »Wenn sie die Nichte Saras der Schwarzen ist, dann ist sie für mich meine Schwester!«
Die Phuri Daï stimmte mit einem Kopfnicken zu. Ihr hagerer Finger wies befehlend auf eine andere, weißhaarige Frau neben ihr, die ihre Schwester war. Und so, eingekreist wie eine Gefangene, kehrte Cathérine in den Karren Orkas zurück, in dem sie mit ihren Wächterinnen bis zum Kampf bleiben sollte.
Die Erleichterung, die sie empfunden hatte, als Dunicha sie aus den Händen Feros riß, war völlig geschwunden. Eben hatte ihr lediglich eine Scheinheirat gedroht, jetzt jedoch war sie eine Art Todgeweihte mit Aufschub! Und die Bräuche dieser Leute waren wahrhaftig die wahnsinnigsten, barbarischsten, die sie je kennengelernt hatte! Man verfügte über sie, ohne sie überhaupt nach ihrer Meinung zu fragen. Die Zigeuner hatten beschlossen, daß sie Fero heiraten müsse, und nun beschlossen sie, daß sie sich mit dieser jungen Tigerin zu schlagen habe, und das um einen Mann, den sie nicht liebte!
»Ich sage dir gleich«, flüsterte sie Sara ins Ohr, »ich werde mich nicht schlagen! Ich weiß noch nicht einmal, was das ist. Ich habe noch nie in meinem Leben auf diese Weise gekämpft, und ich werd's auch jetzt nicht versuchen …«
Sara packte ihre Hand und drückte sie fest.
»Sei still! Um Himmels willen, schweig!«
»Warum soll ich schweigen? Wegen dieser Frauen? Nein, im Gegenteil, ich werde es ihnen sagen, ich werde es hinausschreien, daß …«
»Sei still!« wiederholte Sara, doch so befehlend, daß die junge Frau widerwillig gehorchte. »Begreif doch, daß du dein Leben riskierst, wenn sie merken, daß du dich weigerst zu kämpfen!«
»Und werde ich's morgen nicht riskieren?« murmelte Cathérine. »Du weißt genau, daß ich nicht fähig bin zu tun, was man von mir verlangt. Sie wird mich töten, ganz gewiß …«
»Das weiß ich auch, aber, um der Liebe Gottes willen, beruhige dich! Wenn die andern schlafen, schleiche ich mich aus dem Lager und laufe zur Herberge, um Messire Tristan zu benachrichtigen. Er wird schon wissen, wie er dich aus der Klemme herausholt. Aber ich flehe dich an, zeige nicht, daß du Angst hast! Meine Brüder verzeihen Feigheit nicht. Du würdest mit Peitschenhieben aus dem Lager gejagt werden, verdammt, Hungers zu sterben …«
Cathérines Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie hatte das Gefühl, eine furchtbare Falle habe sich um sie geschlossen, aus der sie sich mit eigener Kraft niemals würde befreien können. Sara fühlte ihre Angst und drückte sie an sich.
»Mut, meine Kleine. Maître Tristan und ich, wir werden dich schon hier herauskriegen!«
»Es wird langsam Zeit, daß der Herr sich zeigt«, sagte Cathérine grollend. »Er sollte doch aus der Nähe über mich wachen!«
»… aber nur im Fall der Gefahr einschreiten, wenn du dich erinnerst.« Sara blickte sich vorsichtig um. Die beiden Alten schliefen, nur Tereina war noch wach. Neben der Öllampe sitzend, in ihren roten Umhang gehüllt, starrte sie mit den irren Augen einer Somnambulen in die Flamme und rührte sich nicht. »Jetzt ist der Augenblick da«, flüsterte Sara. »Ich gehe!«