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Sie schlängelte sich hinaus, ohne mehr Geräusch als eine Natter zu machen, und Cathérine streckte sich mit schwerem Herzen, aber ihrer alten Freundin vertrauend auf dem Boden aus, um zu versuchen, ein wenig zu schlafen. Doch der Schlaf floh sie. Ihre Augen starrten weit geöffnet auf die schmutzige, filzige Plane des Karrens, während sie versuchte, die ungebärdigen Schläge ihres Herzens zu beruhigen … Die Stille erdrückte sie, und als sie es nicht mehr aushielt, rief sie leise:

»Tereina!«

Die kleine Zigeunerin wandte langsam den Kopf zu ihr hin und kuschelte sich dann neben sie.

»Was willst du, Schwester?«

»Ich muß etwas wissen! Meine Rivalin, Dunicha – ist sie an diese Art Zweikampf gewöhnt? Womit müssen wir gegeneinander kämpfen?«

»Mit dem Messer! Und leider ist es für Dunicha nicht das erstemal. Sie ist wie eine Tigerkatze, wenn sie kämpft. Schon zwei Frauen, die Fero gefielen, hat sie getötet!«

Diese Enthüllung ließ Cathérine einen eiskalten Schauer über den Rücken hinunterrieseln. Sie war wütend, daß sie sich in diese Sackgasse hatte manövrieren lassen. Wenn Tristan nicht eingriff, würde sie von der Zigeunerin regelrecht ermordet werden, ohne daß jemand auch nur eine Hand zu ihrer Verteidigung rührte. Fero selbst, der so heftig in sie verliebt zu sein schien, hatte keinen Finger gehoben, um diese Narrheit zu verhindern. Er hatte sich dem Gesetz der Seinen respektvoll gebeugt. Und zweifellos, dachte Cathérine empört, würde er sich noch am selben Abend mit der siegreichen Dunicha über den Tod der unglücklichen Tchalaï hinwegtrösten.

»Nur eins könnte ich für dich tun«, fuhr Tereina niedergeschlagen fort. »Ich könnte dir einen Trank geben, der deinen Mut und deine Kraft verzehnfachte! Jetzt mußt du aber ruhen!«

Cathérine schnitt im Dunkel eine Grimasse. Sie war des Arzneibuchs der Zigeuner reichlich überdrüssig und hatte außerdem nicht die geringste Lust zu schlafen. Das einzige, wozu sie Lust hatte, war zu fliehen, so schnell wie möglich zu fliehen, Hals über Kopf davonzurennen, fort von diesen blutdürstigen Leuten, mit denen sie sich so unvorsichtigerweise eingelassen hatte. Sie steckte bis zum Hals in einem Korb voll Vipern und wußte nicht, wie sie da wieder herauskommen sollte. Sie erstickte noch in diesem verfluchten Karren, und die regelmäßigen, friedlichen Atemzüge der schlafenden Frauen weckten in ihr das Verlangen, laut loszuschreien.

Dann dachte sie, daß ihr Leben den Verschworenen von Angers zu kostbar sei, folglich auch Tristan L'Hermite, als daß dieser sie einfach so dumm hinmorden lassen würde! Auf ihn mußte sie ihre feste Hoffnung setzen.

Obwohl sie sich nach Kräften um beruhigende Gedanken bemühte, schloß Cathérine in dieser Nacht kein Auge. Mit trockener Kehle und pochenden Schläfen hörte sie jede einzelne Stunde der Nacht verrinnen, angezeigt durch die Rufe der Wächter auf den Schloßtürmen. Es war zwar recht gut und schön zu wissen, daß Sara sich um sie kümmerte, aber ihre Abwesenheit war einfach unerträglich. Sie fühlte sich entsetzlich einsam und schien das Gefühl, in einem absurden Traum zu leben, nicht abwehren zu können. Die Morgendämmerung verringerte ihre Bangigkeit nicht. Warum kam Sara denn nicht zurück? Was konnte sie so lange bei Tristan zurückhalten? War sie beim Verlassen des Lagers oder bei der Rückkehr überrascht worden?

Als ein Hahn irgendwo in der Nähe krähte, hielt es Cathérine nicht mehr auf ihrem Lager. Die anderen schliefen tief. Sie schlich sich zur Öffnung des Karrens, aber genau in diesem Augenblick tauchte Sara auf.

Mit einem Seufzer der Erleichterung machte die junge Frau ihrem bedrängten Herzen Luft.

»Endlich!« flüsterte sie. »Ich konnte nicht schlafen.«

»Ich dachte mir gleich, daß du dich beunruhigen würdest, deswegen bin ich zurückgekommen. Aber ich muß wieder fort!«

»Warum?«

»Weil Tristan L'Hermite verschwunden ist!«

Cathérine war wie vom Schlag gerührt. Einen Augenblick mußte sie nach Atem ringen, und ihre Stimme war nur ein Flüstern, als sie fragte:

»Verschwunden? Aber wann? Wie?«

»Vor zwei Tagen. Er hat die Herberge verlassen und ist nicht zurückgekehrt. Ich bin schon drüben im Städtchen gewesen, weil ich hoffte, dort etwas zu erfahren. Ich muß ihn unbedingt noch vor Sonnenuntergang finden.«

»Und«, fragte Cathérine, »wenn du ihn nicht findest …«

»Daran will ich lieber gar nicht denken. Vielleicht müßte man deine wahre Identität zugeben, aber das hieße mit deinem Leben spielen und natürlich auch mit dem Feros, der schuldig befunden würde, eine Fremde, eine Gadji, in den Stamm eingeführt zu haben«, erwiderte Sara.

»Was interessiert mich Fero? Ich will nicht für ihn sterben. Wär's nicht viel einfacher, Dunicha zu sagen, daß ich nicht die geringste Lust habe, ihr ihren Platz streitig zu machen, und daß ich gern auf Fero verzichte?«

»Damit würdest du Fero tödlich beleidigen, der sich's nicht erlauben kann, mißachtet zu werden. Dein Los wäre alles andere als beneidenswert, denn du dürftest kaum lange genug leben, um dich daran zu erinnern. Und außerdem würden es die anderen nicht verstehen. Man würde dich der Feigheit bezichtigen. Das hieße die Peitsche … und die Folgen!«

Ein Zornesschrei entrang sich den Lippen Cathérines. Wohin immer sie sich wandte, stieß sie auf Mauern. Alles wies sie auf diesen Tod zurück, den sie nicht mehr wünschte. Ihr war völlig entfallen, daß sie vor gar nicht langer Zeit noch hatte sterben wollen. Jetzt wollte sie leben, mit aller Kraft, mit aller Gier ihrer Jugend. Dieses Leben war ihr kostbar geworden, da man es ihr rauben wollte …

»Laß mich jetzt gehen«, bat Sara. »Ich muß Tristan um jeden Preis finden. Sei ruhig, ich werde dasein, wenn …«

Sie fügte nichts hinzu. Cathérine leicht auf die Stirn küssend, verschwand Sara von neuem im Dunst des Morgens und ließ die junge Frau mit schwererem Herzen als je zurück. Sie war versucht, ihrer alten Freundin zu folgen, hielt sich jedoch mit aller Kraft zurück. Wenn sie fliehen würde, wäre ihr ganzer Plan verraten, sie müßte nach Angers zurückkehren und eingestehen, daß sie kurz vor ihrem Ziel gescheitert war. Überdies war ihr, als sie ihre Rolle übernommen hatte, durchaus klar gewesen, daß sie damit ihr Leben mehr als einmal aufs Spie! setzen würde … Sie hatte jetzt also ins Auge zu fassen, daß die Zeit gekommen war, es zum erstenmal zu riskieren. Ihr Stolz ließ Cathérine wieder zu ihrer Haltung finden. Wenn sie Dunicha mit dem Messer in der Hand entgegentreten mußte, würde sie es gegen jede Gewinnchance tun, weil es ihr nicht gegeben war zurückzuweichen. Sie schämte sich jetzt sogar dieser verächtlichen Furcht, die ihr einen Augenblick durch die Eingeweide gefahren war.

Um jeden Preis mußte sie nur vermeiden, an ihren kleinen Michel zu denken, auf daß ihr Herz nicht schwach würde bei dem Gedanken, ihn niemals wiederzusehen. Arnauds wollte sie sich erinnern, um dessentwillen La Trémoille sterben mußte, damit der Tod wenigstens seinen bitteren Beigeschmack verlöre.

Als Cathérine jedoch am Ende eines endlos scheinenden Tages sah, daß die Sonne sich nach Westen neigte, ohne daß Sara zurückgekehrt war, mußte sie sich zusammennehmen, um sich nicht von Panik überwältigen zu lassen. Die anderen Frauen, die sie bewachten, schienen sich über das Verschwinden Saras keine besonderen Gedanken gemacht zu haben. Tereina war wieder in ihre Träumereien versunken und murmelte, Tränen in den Augen:

»Schlechtes Zeichen! Sara die Schwarze hat ihre Nichte nicht sterben sehen wollen!«

Und Cathérine fragte sich beklommen, ob daran nicht etwas Wahres sei! Trotzdem biß sie die Zähne zusammen, als die verhängnisvolle Stunde kam und die drei Frauen sie hinausführten, und blickte hocherhobenen Hauptes dem ins Antlitz, was sie erwartete. Ihre ganze Hoffnung, ihr ganzes Vertrauen lagen in ihr selbst; seltsamerweise schöpfte sie aus dieser Gewißheit eine Art fatalistische Ruhe. Und dann hatte sie dem Tod zu oft ins Auge gesehen, um ihm diesmal den Rücken zu kehren!