Beim Verlassen des Karrens hatte Tereina ihr erneut einen Becher gereicht, den sie ohne Zögern sofort ausgetrunken hatte. Sogar ein leises Lächeln hatte um ihre Lippen gespielt. Wenn diese Flüssigkeit, die dazu bestimmt war, ihr Mut einzuflößen, sich als ebenso wirksam erweisen sollte wie das Gebräu jener anderen Nacht, dann würde sie wie eine Löwin kämpfen!
Draußen sah sie, daß ein weiter Platz in der Mitte des Lagers frei gemacht worden war, indem man den sonst von den Schmieden beanspruchten Bereich geräumt und abgesperrt hatte. Der schweigend ringsherum versammelte Stamm glich in den roten Strahlen der untergehenden Sonne einem Volk von Kupferstatuen. Fero und die alte Phuri Daï saßen innerhalb dieses Kreises auf einem gefällten Baumstamm, der mit einer Tierhaut bedeckt war. Als Cathérine durch den Ring der Zuschauer schritt, kam Dunicha ebenfalls von der anderen Seite, immer noch von ihren vier Gefährtinnen begleitet. Ein alter Zigeuner namens Takalï, der der Hauptratgeber des Anführers zu sein schien, stand in der Mitte des frei gemachten Platzes. Er trug eine Art weiten Talar, aus einer Unzahl bunter Stoffreste zusammengesetzt, der ihm bis auf die Füße fiel und ihm den vagen Anstrich eines Priesters verlieh. Auf seinem Kopf, der wie aus altem Eichenholz geschnitzt schien, trug eine von Motten zerfressene Pelzkappe eine lange schwarze Feder, und in jeder Hand hielt er einen Dolch.
Als die beiden Kämpferinnen bei ihm angelangt waren, schälten ihre Begleiterinnen sie aus ihrem Plunder und beließen ihnen nur die Hemden, die sie mit Lederschlingen um ihre Taillen befestigten. Dann reichte Takali wortlos jeder von ihnen ein Messer und zog sich darauf in den Kreis zurück. Cathérine stand jetzt allein Dunicha gegenüber. Sie sah mit einer Art Abscheu auf das Messer in ihrer Hand. Wie ging man damit um? War es nicht besser, sich eher töten zu lassen, als diese Klinge in den Körper des Mädchens zu stoßen? Die bloße Vorstellung, Blut vergießen zu müssen, drehte ihr den Magen um.
Die Augen der Zigeunerin glühten wie Kohlen in ihrem gebräunten Gesicht, doch zur großen Überraschung Cathérines lag keinerlei Haß in ihrem Ausdruck, nichts als eine Art wilder Freude, als ob Dunicha schon in vollen Zügen genösse, was kommen würde. Mit Bitterkeit dachte die junge Frau, daß ihre Nebenbuhlerin ihren Sieg schon für sicher hielt und sich im voraus an ihrem Ende ergötzte.
Sie ihrerseits warf einen raschen Rundblick auf das lautlos verharrende Publikum, noch immer in der Hoffnung, wenn nicht Tristan, so doch mindestens Sara, deren Abwesenheit sie sich nicht erklären konnte, auftauchen zu sehen. Denn daß sie in diesem verhängnisvollen Augenblick ganz allein war, konnte nur darauf zurückzuführen sein, daß ihrer treuen Gefährtin etwas zugestoßen war … etwas Ernstes! Nichts anderes könnte sie hindern, dem Zweikampf beizuwohnen.
Die Augen fest auf die ihrer Gegnerin gerichtet, murmelte Cathérine noch ein schnelles Gebet und beugte sich dann mit dem Mut der Verzweiflung leicht vor, den Angriff erwartend. Fero auf seinem Baumstamm drüben hob die Hand, und Dunicha setzte sich in Bewegung. Langsam, sehr langsam schob sie sich seitwärts, umkreiste Schritt für Schritt Cathérine. Sie lächelte … Cathérine spürte einen Augenblick, wie ihre Beine zitterten, dann ließ ihre Angst etwas nach. Ein heißer Strom lief durch ihre straffen Muskeln, und sie begriff, daß Tereinas Trank seine Wirkung tat. Aber sie verlor keine einzige Bewegung Dunichas aus den Augen.
Und plötzlich kam der Stoß. Mit hoch geschwungenem Dolch schnellte sich die Zigeunerin jäh auf ihre abwartend lauernde Gegnerin. Cathérine duckte sich und wich der tödlichen Klinge aus, die nur einen Fetzen aus ihrem Hemd riß. Aus dem Gleichgewicht gebracht, rollte Dunicha über den Boden, und ohne eine Sekunde zu verlieren, warf sich Cathérine über sie, ihren eigenen Dolch, mit dem sie nichts anzufangen wußte, weit von sich schleudernd. In diesem Nahkampf waren zwei Klingen gefährlicher als eine; es kam nun darauf an, ihre Gegnerin zu entwaffnen. Mit Glück erwischte sie Dunichas Handgelenk und drückte es mit aller Kraft zu Boden. Das beifällige Gemurmel der Menge drang wie von fern an ihr Ohr.
Doch die größere und stärkere Zigeunerin war schwer niederzuhalten. Ganz nahe sah Cathérine ihr braunes, von der Anstrengung verzerrtes Gesicht. Sie fletschte die Zähne, und ihre Nasenflügel blähten sich wie die eines wilden Tiers, das Blut riecht. Mit einer blitzartigen Bewegung stieß sie Cathérine zurück. Ein Schmerzensschrei gellte auf. Dunicha hatte sie in den Arm gebissen und so gezwungen, ihren Griff zu lockern. Sie fand sich auf der Erde liegend wieder, über sich die Zigeunerin. Unwillkürlich packte sie von neuem den bewaffneten Arm, der im Begriff war zuzustoßen, aber sie wußte nur allzu gut, daß die andere ihr überlegen war, daß sie umsonst kämpfte, daß der Tod in weniger als einer Minute kommen würde. Sie konnte ihn klar in dem schon triumphierenden Blick der anderen lesen. Langsam, lachend machte sich die Zigeunerin daran, ihr den Arm umzudrehen, indem sie ihre bewaffnete Hand verlagerte, während sie mit der anderen Cathérine an der Kehle packte und schon die Stelle suchte, wo sie zustoßen würde …
Todespein erfüllte das verwirrte Herz der Unglücklichen. Alles war für sie zu Ende; ihre Kraft war erschöpft, sie konnte nicht mehr. Aus diesem gleichgültigen Kreis der Zuschauer, das wußte sie, würde keine Hilfe kommen. Keine Stimme würde sich erheben, um die Hand Dunichas zurückzuhalten. Sie schloß die Augen.
»Arnaud …«, murmelte sie, »… mein Liebster!«
Ihr Arm krümmte sich schon unter dem Schmerz, als eine herrische Stimme an ihr Ohr drang:
»Trennt diese Frauen! Sofort!«
Cathérine glaubte, die Osterglocken zur Auferstehung läuten zu hören. Ihrer Brust entrang sich ein Seufzer des Dankes, dem gewissermaßen als Echo ein Wutschrei Dunichas folgte, die von zwei Bogenschützen grob von ihrer Gegnerin weggerissen wurde. Zwei andere stellten nicht viel sanfter Cathérine auf die Füße, die kaum an ihr Glück zu glauben vermochte. Die beiden Frauen standen sich nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber, diesmal jedoch von den kräftigen Fäusten der Bewaffneten gehalten. Zwischen ihnen, ein verächtliches Lächeln auf den Lippen, stand ein großer, schlanker Mann, prächtig in grünen Samt und schwarzen Brokat gekleidet. Und die Freude erlosch in Cathérines Herzen, während die Sonne, so schien es ihr jedenfalls, sich verdunkelte. Kaltes Grauen lähmte sie, denn die Rettung war noch schlimmer als die Gefahr! Der Mann, der sie gerettet hatte, war Gilles de Rais!
In einer blitzschnellen Vision beschwor ihre Erinnerung die Türme von Champtocé herauf, die düsteren Schrecknisse dieses verfluchten Schlosses, die furchtbare Menschenjagd, der Gauthier um ein Haar zum Opfer gefallen war, den riesigen Scheiterhaufen, den Sara auf Geheiß Gilles de Rais' hatte besteigen sollen, und endlich das in stummer Verzweiflung erstarrte Gesicht des alten Jean de Craon, die herzzerreißende Klage seines Stolzes, seines gedemütigten Herzens, als es offenkundig wurde, was für ein Ungeheuer sein Enkel war …
Cathérine glaubte sich in ihrer miserablen Verkleidung unkenntlich, doch als die schwarzen Augen des Marschalls sich frech und ironisch auf ihr vom Staub beschmutztes Gesicht hefteten, senkte sie den Kopf, als schämte sie sich ihrer halben Nacktheit. Tatsächlich hatte das grobe Hemd bei dem Zweikampf stark gelitten … Indessen wand sich Dunicha unter den Händen der Bogenschützen, und Gilles' Stimme rief:
»Laßt die da gehen, und jagt das Zigeunergesindel mit Peitschenhieben in seine Höhlen zurück!«
»Und diese Frau, Monseigneur?« fragte einer der Männer, die Cathérine hielten. Ihr Herzschlag setzte aus, als die verächtliche Stimme befahclass="underline"