»Mein Vetter«, rief der Besucher. »Ich komme, mit dir zu Abend zu speisen! Beim König stirbt man geradezu vor Langeweile!«
Unwillkürlich war Cathérine zurückgezuckt, als sie Georges de La Trémoille erkannte! Eine Blutwelle stieg ihr ins Gesicht, freudige Genugtuung, Zorn und Haß zugleich. Sie hatte nicht erwartet, dem Mann, den zu finden sie unter so vielen Beschwerlichkeiten gekommen war, so schnell zu begegnen. Mit wilder Freude stellte sie fest, daß er dicker war als je, daß seine Haut, von ungesundem Fett aufgeschwemmt, gelblich war und daß sein kurzer Atem genügend über seine von Exzessen zerrüttete Gesundheit aussagte. Doch bei weiterer Musterung ihres Feindes sperrte sie, vor Verblüffung stumm, Mund und Nase auf, als sie den bizarren Kopfputz gewahrte, den der Großkämmerer trug. Es war eine Art Goldturban, der seine Allüren eines orientalischen Satrapen noch unterstrich, und in den Falten des Turbans funkelte ein schwarzer Diamant in seinem ganzen Feuer … einzigartig, unnachahmlich und sofort zu erkennen: der schwarze Diamant Garin de Brazeys!
Boden und Wände begannen, sich um Cathérine zu drehen. Sie glaubte, wahnsinnig zu werden. In der dunklen Ecke, in die sie sich zurückgezogen hatte, als sie La Trémoille eintreten sah, suchte sie aufs Geratewohl nach einem Schemel und ließ sich auf ihn sinken, ohne auf einige Sätze zu achten, die die beiden Männer austauschten. Sie fragte sich verzweifelt, wie der fabelhafte Diamant in die Hände des Kämmerers gelangt sein konnte. Sie sah sich noch, wie sie den einzigartigen Stein in der Herberge von Aubusson Jacques Coeur übergab. Was hatte er ihr damals gesagt? Daß er ihn bei einem Juden in Beaucaire verpfänden werde, dessen Namen sie sogar noch behalten hatte: Isaac Abrabanel! Wie konnte dann der Diamant am Turban La Trémoilles funkeln? War Jacques auf dem Weg von Aubusson nach Clermont abgefangen worden? War er in eine Falle geraten? Und wenn er …
Sie wagte nicht einmal, den Gedanken, das verhängnisvolle Wort zu formulieren, aber ein plötzliches Verlangen zu weinen drückte ihr das Herz zusammen. Kein Zweifel – damit der Großkämmerer sich mit dem Juwel schmücken konnte, hatte Jacques Coeur sein Leben opfern müssen. Niemals hätte er aus freien Stücken das ihm von Cathérine anvertraute Gut preisgegeben. Besonders nicht diesem Mann, den er ebenso haßte wie sie …
Einen Augenblick schloß sie die Augen und bemerkte daher nicht, daß La Trémoille, nachdem er sie einen Moment prüfend betrachtet hatte, auf sie zuging. Erschrocken fuhr sie auf, als ein dicker, weicher, mit Ringen überladener Finger ihr Kinn hob.
»Gott! Was für ein schönes Mädchen! Wo hast du dieses Wunder gefunden, Vetter?«
»Im Zigeunerlager!« antwortete Gilles, wenig zuvorkommend. »Sie schlug sich mit einer anderen schwarzen Ziege. Ich habe sie auseinandergerissen und die da behalten, weil sie schön ist.«
La Trémoille geruhte zu lächeln, was seine ungesunden Zähne entblößte, deren Färbung zwischen Schwarz und Grün schwankte. Seine Hand hatte sich in einer besitzergreifenden Geste, die sie vor Ekel zittern ließ, auf Cathérines Kopf gelegt.
»Das hast du wirklich gut gemacht, Vetter! Es war ein vernünftiger Einfall von dir, diese wilde Hindin zu behalten! Steh auf, Kleine, daß ich dich besser sehen kann.«
Cathérine gehorchte, beunruhigt, was noch folgen würde. Wenn Gilles de Rais ihre wahre Identität preisgab, war sie verloren. La Trémoille und er waren nicht nur Vettern, sondern auch durch einen echten, gebührend unterzeichneten Vertrag vereinte Verbündete … Gilles selbst hatte ihr in Champtocé von diesem Vertrag erzählt. Trotzdem ging sie einige Schritte im Raum umher, von dem genießerischen Blick des dicken Kämmerers verfolgt, der seinen Kommentar abgab, als wäre sie ein lebloser Kunstgegenstand.
»Sehr schön, wirklich! Ein wahres Juwel, würdig des Bettes eines Fürsten! Der Hals ist rund und fest, die Schultern sind herrlich … Die Beine scheinen lang … und das Gesicht ist exquisit! Diese großen dunklen Augen … diese schönen Lippen!«
La Trémoilles asthmatisches Schnaufen verkürzte sich noch mehr, und er fuhr sich unablässig mit der Zunge über die trockenen Lippen. In dem Gefühl, daß sie alles auf eine Karte setzen mußte und daß allzu zurückhaltendes Benehmen sich nicht mit ihrer Rolle als Zigeunerin vereinbaren ließ, zwang sie sich, wenngleich es sie heftige Überwindung kostete, ihren Feind kokett anzulächeln. Sie wiegte sich in den Hüften und warf ihm sogar einen zärtlichen Blick zu, der das Gesicht des Kämmerers dunkelrot anlaufen ließ.
»Vorzüglich!« schnaufte er. »Wie kommt es, daß ich sie nie bemerkt habe?«
»Sie ist ein Flüchtling«, brummte Gilles de Rais. »Sie ist erst vor ein paar Tagen bei Fero angekommen, zusammen mit ihrer Tante. Es sind entlaufene Sklavinnen …«
Unwillkürlich stieß Cathérine einen Seufzer der Erleichterung aus. Gilles schien also nicht geneigt, ihre wahre Identität zu enthüllen! … Mit einem Schlage fühlte sie sich in ihrer Maske wohler! Indessen gebot La Trémoille seinem Vetter Schweigen.
»Laß sie doch selbst antworten, damit ich wenigstens ihre Stimme höre! Wie heißt du, Kleine?«
»Tchalaï, Seigneur! Das heißt Stern in meiner Sprache …«
»Und das paßt wunderbar zu dir! Komm mit, schöner Stern, ich habe Eile, dich besser kennenzulernen!« Schon ergriff er die Hand Cathérines, und sich zu Rais umwendend: »Hab Dank für das Geschenk, Vetter! Du weißt immer, wie du mir Vergnügen bereiten kannst!«
Aber Gilles de Rais schob sich zwischen das Paar und die Tür. Die tief eingekerbten Furchen um seinen Mund ließen nichts Gutes ahnen, und seine dunklen Augen funkelten in einem gefährlichen Feuer.
»Einen Augenblick, Vetter! Allerdings habe ich dieses Mädchen für dich entführt, aber es lag nicht in meiner Absicht, es dir schon heute abend zu überlassen!«
Unwillkürlich warf Cathérine Gilles einen erstaunten Blick zu. Sie hatte geglaubt, er sei seinem unangenehmen Vetter völlig ergeben, und nun mußte sie entdecken, daß die beiden nicht so einig waren, wie sie dachte. Weit mehr! Gilles' Stolz machte aus ihm, um die Wahrheit zu sagen, einen kümmerlichen Vasallen. Man konnte es sich schlecht vorstellen, daß es so war, doch in dieser Minute, ja … jetzt loderte eine mörderische Flamme in seinem Blick auf. Wie würde dieses Duell zwischen Tiger und Schakal enden?
Die kleinen Augen La Trémoilles verengten sich in ihren Speckfalten, während ein böser Flunsch seine dicken Lippen verzog. Aber er ließ Cathérine nicht los. Die junge Frau merkte nur, daß die dicke Hand auf ihrem Gelenk feucht wurde. La Trémoille mußte vor seinem gefährlichen Vetter Angst haben. Doch seine Stimme verriet keinerlei Zorn, als er fragte:
»Und warum nicht heute abend?«
»Weil sie heute abend mir gehört! Ich habe sie gefunden, ich habe sie aus den Krallen der anderen Zigeunerin gerettet, die sie töten wollte, und schließlich war ich es auch, der sie, von ihrem Dreck befreit, hierhergebracht hat. Morgen werde ich sie dir geben, aber diese Nacht ist es wohl nur recht und billig, daß ich sie behalte!«
»Hier gehorcht jeder mir«, entgegnete La Trémoille mit beunruhigender Sanftmut. »Eine einzige Bewegung meiner Hand würde genügen, und zwanzig Mann …«
»Aber diese Bewegung wirst du nicht machen, mein schöner Vetter, weil du dieses Mädchen dann überhaupt nicht bekämst! Eher würde ich sie vorher töten. Und dann weiß ich zuviel, als daß du dich mit mir anlegen würdest. Was würde zum Beispiel deine Gemahlin, meine schöne Kusine Cathérine, sagen, wenn sie erführe, daß das prächtige Halsband aus Gold und Schmelzglas, das sie sich wünschte, von dir der sehr hübschen Frau eines Schöffen dieser Stadt für eine Liebesnacht geschenkt wurde?«