Diesmal ließ La Trémoille Cathérine los, und die junge Frau, deren funkelnde Augen mit Leidenschaft dieses Turnier verfolgten, dessen Einsatz sie war, schloß daraus, daß der allmächtige La Trémoille, die Geißel des Königreichs, seine Frau wie das Feuer fürchtete. Gut, daß sie es wußte. Und für diesen Abend wenigstens hatte Rais gewonnen. Aber sie war sich nicht ganz sicher, ob sie sich darüber freuen sollte. Der dicke Kämmerer wandte sich zur Tür, nicht ohne der jungen Frau einen bedauernden Blick zuzuwerfen.
»Es ist gut«, murmelte er, die Schultern hebend. »Behalte sie heute abend, aber morgen hole ich sie mir. Und paß gut auf, daß du sie nicht zugrunde richtest, Vetter, sonst könnte ich mein zärtliches Wohlwollen für dich … äh … leicht vergessen!«
Ein letzter Blick, eine Grimasse, die als ein Cathérine zugedachtes Lächeln gelten konnte, und er war verschwunden. Die Soldaten schlossen im Hinausgehen gleichmütig die Tür hinter sich. Cathérine und Gilles de Rais waren wieder allein.
Cathérine fühlte erneut, wie sich ihre Kehle zusammenzog, ihre Lage war furchtbar, und sie entdeckte, daß sie sich in ihrem Wunsch, La Trémoille aus diesem Schloß herauszulocken, wo er zu gut bewacht wurde, zwischen Hammer und Amboß begeben hatte. Sie hatte gehofft, zur Unterhaltung des dicken Kämmerers zum Tanzen gerufen zu werden und ihn bei dieser Gelegenheit zu einem Aufenthalt in Chinon überreden zu können, einem Köder zuliebe, an den sie gedacht hatte. Nun aber, zwischen dem fürchterlichen Gilles de Rais und dem dicken Kämmerer gefangen, gab sie nicht mehr viel für ihr Leben. Gilles wollte sich mit ihr amüsieren, danach würde er sie ohne weitere Umstände La Trémoille ins Bett werfen. Was würde aus ihr werden, wenn sie nicht mehr gefiele? Hätte sie dann noch Zeit, ihren Plan auszuführen? Gilles war nicht der Mann, seiner Gefangenen die Freiheit zu schenken!
Mit schnellen Schritten hatte sich der Herr Blaubart zur Tür begeben und die starken Riegel vorgeschoben. Dann ging er zum Fenster und atmete, sich leicht hinauslehnend, zwei- oder dreimal tief die kühle Nachtluft ein, ohne Zweifel, um seinen Zorn zu besänftigen. Gedämpfte Klänge von Lauten und Violen stiegen in die Nacht, zart und melancholisch.
»Man konzertiert im Zimmer des Königs«, murmelte er mit einer Stimme, der keine Spur von Zorn mehr innewohnte und die Cathérine völlig verändert schien. »Wie schön diese Musik ist! Es gibt nichts Göttlicheres als die Musik … besonders, wenn sie von Kinderstimmen vorgetragen wird! Aber der König liebt Kinderstimmen nicht …«
Er sprach zu sich, hatte Cathérine vielleicht vergessen, doch die junge Frau überlief ein Schauder bei der Erinnerung an die schrecklichen Nächte von Champtocé, an das erschütterte Vertrauen des alten Jean de Craon. Sie verschränkte die Hände und drückte sie mit aller Kraft. Sie durfte ihren Kerkermeister nicht sehen lassen, welche Furcht er ihr einjagte. Wenn sie die gefährliche Partie, in die sie sich eingelassen hatte, gewinnen wollte, mußte sie unbedingt kaltes Blut bewahren und die Schreckbilder energisch verjagen.
Sie näherte sich um einen Schritt der schwarzen, noch immer am Fenster lehnenden Gestalt.
»Warum habt Ihr Eurem Vetter meine wahre Identität nicht enthüllt?« fragte sie behutsam.
Er antwortete, ohne sie anzusehen:
»Weil mir nichts daran gelegen ist, daß Dame Cathérine de Brazey in der Tiefe eines Kerkers verfault! Andererseits besitzt die Zigeunerin Tchalaï viel Wert in meinen Augen!«
Cathérine beschloß, Gilles klaren Wein einzuschenken, und sei es auch nur, um zu sehen, wie er darauf reagierte.
»Ich heiße nicht mehr Cathérine de Brazey«, sagte sie. »Vor Gott und den Menschen bin ich die Frau Arnaud de Montsalvys.«
Gilles de Rais fuhr bei der Erwähnung dieses Namens wie von der Tarantel gestochen auf. Er drehte sich zu Cathérine um und sah sie verblüfft an.
»Wie habt Ihr das gemacht? Montsalvy ist in den Gefängnissen von Sully-sur-Loire vor beinahe zwei Jahren gestorben! La Trémoille ist ein guter Kerkermeister, seine Gefängnisse von Sully-sur-Loire lassen ihre Häftlinge niemals frei.«
»Gut, dann muß ich annehmen, daß Ihr schlecht informiert seid, denn ich habe Arnaud de Montsalvy in Bourges in der Kirche Saint-Pierre-le-Guillard in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1431 geheiratet. Pater Jean Pasquerel hat uns getraut. Erinnert Ihr Euch an ihn, Messire de Rais? Er war der Kaplan von …«
Mit einer entsetzten Bewegung gebot Gilles ihr Schweigen.
»Sprecht diesen Namen nicht aus!« fauchte er, sich bestürzt bekreuzigend. »Nicht vor mir! Niemals vor mir! … Wenn sie Euch hörte!«
»Sie ist tot!« sagte Cathérine verächtlich angesichts der gemeinen Furcht, die er plötzlich verriet. »Was habt Ihr zu fürchten?«
»Sie ist tot, aber ihre Seele lebt, und die Seele der Hexen ist fürchterlich. Um sie zu beschwören, genügt es schon, ihren Namen auszusprechen. Diesen Namen will ich nie mehr hören!«
»Wie Ihr wollt!« entgegnete Cathérine, die Schultern zuckend. »Aber das ändert nichts daran, daß ich Dame de Montsalvy bin und daß ich sogar einen Sohn habe!«
In dem Augenblick, als Cathérine darauf verzichtete, die Jungfrau von Orléans zu beschwören, beruhigte sich Gilles. Sein leichenblaß gewordenes Gesicht bekam wieder etwas Farbe.
»Wie kommt es dann, daß Ihr allein hier seid? Wo ist Montsalvy?«
Das Gesicht Cathérines versteinerte. Sie senkte die Lider, damit er den Schmerz nicht sähe, der sie jedesmal heimsuchte, wenn sie diese grausamen Worte aussprechen mußte.
»Mein Gemahl ist tot. Deswegen bin ich allein.«
Es folgte eine Stille, die schnell unerträglich wurde. Um ihn abzulenken und um die gespannte Atmosphäre etwas aufzulockern, fragte Cathérine fast in gesellschaftlich-plauderndem Ton:
»Darf ich fragen, wie es Messire de Craon, Eurem Großvater, und der Dame Anne, seiner Gemahlin, geht, die gut zu mir war, als ich mich bei Euch aufhielt?«
Sofort bereute sie ihre Worte. Ein schrecklicher Zorn verzerrte das dämonische Gesicht Gilles'.
Er starrte sie wie ein Irrer an.
»Mein Großvater ist im vergangenen Herbst gestorben … mich verfluchend! Meinem Bruder, dieser bleichen Mißgeburt René, hat er seinen Degen vermacht! Und Ihr wagt es, mich nach ihm zu fragen! Ich hoffe, daß seine verdammte Seele zu dieser Stunde in der Hölle brennt! Ich hoffe, daß …«
Ein Aufschrei Cathérines brachte ihn zum Schweigen. Sie konnte die Angst, die sie vor ihm empfand, nicht mehr ertragen.
»Hören wir damit auf, Monseigneur!« sagte sie fest. »Vergeßt die Euren und die Klagen, die Ihr gegen sie zu haben glaubt, und … sagt mir lieber, warum Ihr die Zigeunerin Tchalaï braucht?«
»Weil ich den Gegenstand haben will, den zu finden Ihr hierher, ins Schloß, gekommen seid: Ich will den schwarzen Diamanten! Eine Zigeunerin, das bedeutet betrügen, das bedeutet stehlen, das bedeutet behexen!«
»Ich bin keine echte Zigeunerin …«
Unversehens gab Gilles den höflichen Ton auf, zu dem er sich ihr gegenüber gezwungen hatte. Ein habsüchtiges Funkeln glomm in seinem Blick auf. Er ging auf Cathérine zu und packte sie so heftig an den Schultern, daß sie wimmerte.
»Nein, aber du kannst es schon ebenso gut wie diese schwarzen Ziegen! Du bist keine Zigeunerin, aber du bist eine Teufelin! Auch du bist eine Hexe! Du verzauberst die Männer, Adlige oder Leibeigene, sie fressen dir aus der Hand wie furchtsame Vögel. Du entwischst den schlimmsten Gefahren, und jedesmal kommst du stärker und schöner wieder heraus! Du bist besser als eine Zigeunerin! Bist du nicht von diesem Weibsteufel aufgezogen worden, den ich verbrennen wollte?«
Sara! Cathérine machte sich sofort die heftigsten Vorwürfe. Wie hatte sie während dieser ganzen Zeit Sara vergessen können? … Und dieser Mann hatte vor kurzem gesagt, daß sie mit ihrer Tante bei den Zigeunern angekommen sei.