»Ich habe meine alte Sara verloren! Ich weiß nicht, wo sie ist. Seit heute morgen ist sie verschwunden.«
»Ich weiß es. Einer meiner Männer hat sie sofort erkannt, als sie auf der Suche nach diesem Tristan l'Hermite durch die Stadt lief. Sie befindet sich jetzt in guter Hut … Aber beruhige dich, sie hat nichts zu befürchten! Jedenfalls nicht im Augenblick. Ihr Schicksal wird von deiner Fügsamkeit abhängen.«
»Ich wäre Euch verbunden, wenn Ihr mich nicht duzen würdet!« sagte Cathérine scharf. »Und wenn Ihr mir außerdem sagen wolltet, was aus Maître Tristan geworden ist.«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Gilles und fuhr fort, ohne im geringsten auf ihr Ersuchen einzugehen:
»Als meine Leute deinen Komplicen in der Herberge ›Zum königlichen Kelterhaus‹ verhaften wollten, ist es ihm gelungen – ich weiß nicht, durch welche Hexerei –, ihnen durch ein Fenster zu entwischen. Seitdem hat ihn niemand mehr gesehen!«
Cathérine bemühte sich energisch, sich dem Zugriff der nervösen Hände, die ihre Schultern umspannten, zu entziehen, aber vergebens. Er hielt sie fest und näherte sein Gesicht dem der jungen Frau so weit, daß er es fast berührte. Der Weindunst, mit dem sein Atem geladen war, ließ sie angeekelt das Gesicht verziehen.
»Laßt mich los, Messire!« sagte sie mit zusammengepreßten Zähnen. »Und bemühen wir uns, uns klar auszudrücken, denn zwischen uns herrscht ohne Zweifel ein Mißverständnis. Ich bin nicht, wie Ihr glaubt, wegen des schwarzen Diamanten hierhergekommen. Tatsächlich wußte ich nicht einmal, daß er sich in den Händen Eures Vetters befindet.«
Von der Klarheit ihres Tons beeindruckt, ließ Gilles de Rais die junge Frau los, die sich ruhig in den großen Ebenholzsessel setzte, den er vor kurzem noch eingenommen hatte. Er betrachtete sie mit einer Art Verblüffung, als verstünde er nicht so recht, was sie ihm nun sagen wollte, und verharrte noch einen Augenblick in Schweigen.
Dann schüttelte er den Kopf.
»Ihr sucht den Diamanten nicht?« murmelte er ungläubig. »Was sucht Ihr dann?«
»Denkt nach, Monseigneur. Ich bin Witwe, und ich habe einen Sohn. Andererseits sind wir, die Montsalvys, geächtet, ruiniert, in Todesgefahr, wenn man unserer habhaft wird. Und von wem hängt unser Schicksal ab? Von Eurem Vetter La Trémoille. Aus diesem Grunde wollte ich hier eindringen: um mich ihm zu nähern, ihn zu verfuhren, wenn ich kann, und es schließlich zu erreichen, daß ich und die Meinen begnadigt und die Ländereien freigegeben werden, die meinem Sohn ein Leibgedinge abgeben sollen. Scheint Euch das nicht ein ausreichender Grund?«
»Warum dann diese Verkleidung?«
Cathérine hob die Schultern.
»Hätte ich auch nur den ersten Wallgraben des Schlosses überschreiten können, ohne verhaftet zu werden, wenn ich mich in meinem normalen Aussehen gezeigt hätte?« Und als Gilles, ohne zu antworten, nickte, fuhr sie fort: »Der Zufall hat es gefügt, daß ich von dem Geschmack Eures Vetters für die Lieder und Tänze der Zigeuner erfuhr. Mit Saras Hilfe war es mir leicht, mich unter sie zu mischen. Das folgende kennt ihr … Jetzt möchte ich meinerseits gern wissen, was ihr mit mir zu tun gedenkt.«
Gilles antwortete nicht sofort. Mit düsterer Miene spielte er nervös mit einem Dolch mit Goldgriff, den er von einer der Truhen genommen hatte.
Die junge Frau wagte kaum zu atmen, fürchtete sich, die von Bedrohungen geladene Stille zu brechen. Doch plötzlich fuhr sie auf. Gilles stieß den Dolch in das kostbare Holz der Truhe und sagte, ohne Cathérine anzusehen, klipp und klar:
»Ich will, daß Ihr den schwarzen Diamanten stehlt und ihn mir dann sofort übergebt …«
»Ihr vergeßt, daß er mir gehört! In der Tat würde ich gern wissen, wie er in die Hände Eures Vetters gelangte!«
»Ein Schankwirt aus was weiß ich welcher Stadt soll den Mann, dem Ihr ihn anvertraut hattet, einen gewissen Pelzhändler aus Bourges, haben sagen hören, daß er den Diamanten bei dem Juden Abrabanel in Beaucaire verpfänden würde. In der Hoffnung auf eine gute Belohnung ist der Schankwirt zum Großkämmerer gegangen und hat ihm davon berichtet. Von da an war die Sache leicht …«
»Er hat Maître Coeur töten lassen?« rief Cathérine schmerzerfüllt aus.
»Aber nein! Euer Mann hatte sein Geld schon erhalten und das Weite gesucht. Der Jude besaß den Diamanten. Er wollte ihn den Sendboten meines Vetters nicht aushändigen … und ist dabei gestorben!«
Cathérine stieß einen entsetzten Schrei aus, der in ein Gelächter überging, das gleichermaßen schmerzlich und ironisch war.
»Der Tod! … Wieder der Tod! Und Ihr wollt diesen verfluchten Stein! Denn er ist verflucht! Er bringt Unglück und Blut über die, die ihn besitzen, oder sie sterben ganz einfach daran! Und ich hoffe, daß es mit Eurem schönen Vetter ebenso gehen wird. Wenn Ihr diesen Diamanten haben wollt, der direkt aus der Hölle kommt, braucht Ihr ihn nur zu nehmen!«
Im höchsten Grade erbittert, erhob sich ihre Stimme zum Kreischen, aber schon hatte Gilles sie brutal gepackt und preßte erbarmungslos ihre Schultern, während das von Zorn und Furcht verzerrte Gesicht sich dem ihren näherte.
»Ich habe weniger Angst vor Satan als vor deiner Zauberei, verfluchte Hexe! Und du hast keine Wahl. Morgen wirst du La Trémoille ausgeliefert. Entweder stiehlst du mir den Diamanten, oder du wirst in der Folter sterben und deine Zigeunerin mit dir! Hier bist du nichts als eine Vagabundin ohne Bedeutung, die man nach Belieben verschwinden lassen kann. Die guten Bürger der Stadt sind nie so glücklich, als wenn sie die Leiche eines deiner Brüder am Galgen baumeln sehen!«
»Dann wird man mir die Zunge herausschneiden müssen!« erwiderte Cathérine eiskalt. »Denn in der Folter werde ich sprechen, werde sagen, wer ich bin und warum Ihr mich hierhergeschleppt habt. Auf jeden Fall«, schloß sie bitter, »werde ich umkommen. Ihr werdet mich hier nicht lebend herauslassen. Ich habe also kein Interesse, für Euch diesen Stein zu stehlen!«
»Doch! Gegen den Stein ist dein Leben gerettet! Nachts mußt du zu Werke gehen. La Trémoille bewohnt diesen Turm hier. Wenn du den Diamanten hast, brauchst du ihn mir nur zu bringen, und ich werde dich ungesehen hinausschaffen. Es bleibt dir überlassen, dafür zu sorgen, daß dein Stamm so schnell wie möglich das Lager abbricht, denn euer Wohl wird von der Geschwindigkeit eurer Beine abhängen. Der Rest der Nacht wird Euch zur Flucht bleiben … denn, wohlverstanden, du wirst angeklagt werden und die Deinen mit dir!«
»Die Soldaten werden uns schnell eingeholt haben!« entgegnete Cathérine. »Euer ›gerettetes Leben‹ ist nichts als ein schlecht bemäntelter Aufschub. Danach wird das Blut einer Menge wackerer Leute in Strömen fließen.«
»Das geht mich nichts mehr an! An dir liegt's, dich nicht erwischen zu lassen. Wenn sie dich erwischen, würde es dir übrigens nicht das mindeste nützen, wenn du die Wahrheit sagtest. Zwischen dem Wort einer Zigeunerin und dem eines Marschalls des Königs wird niemand zögern. Man würde dich nur auslachen!«
»Und … wenn ich mich weigere?«
»Deine Sara würde sofort in die Folterkammer geführt werden. Du könntest dem Schauspiel beiwohnen, bevor du selbst an ihm teilnähmst!«
Cathérine wandte angewidert den Kopf ab! Gilles' Gesicht hatte sich zu einer diabolischen, abstoßenden Maske verzerrt. Sie hob die Schultern und seufzte:
»Gut, ich werde gehorchen! … Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl!«
»Du wirst den Diamanten stehlen und mir übergeben?«
»Ja …«, sagte sie überdrüssig. »Ich werde ihn Euch geben und hoffe, daß er Euch dasselbe Unglück bringt wie den anderen. Ich habe wahrhaftig keine Lust, ihn zu behalten.«
Die Ohrfeige, die Gilles ihr versetzte, entriß ihr einen Schmerzensschrei. Sie war so heftig gewesen, daß sie taumelte.