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»Seigneur«, bat sie, »könntet Ihr nicht eine Dienerin schicken, die meine Schulter pflegen würde? Sie schmerzt ganz abscheulich und …«

»Ich werde nicht nur Kammerfrauen, sondern auch Diener schicken. Man wird dich noch in dieser Stunde zu mir bringen, schöne Tchalaï … so heißt du doch, nicht wahr? Du wirst gepflegt und wieder gestärkt werden, und ich werde bis zu deiner völligen Wiederherstellung über dich wachen.«

»Und … Monseigneur de Rais?«

Eine bösartige Furche bildete sich im Winkel der dicken, feuchten Lippen.

»Von ihm wirst du nichts mehr hören! Bei mir wagt keiner, ohne meine Erlaubnis einzutreten, er ebensowenig wie die anderen! Er weiß zu gut, daß ich ihn auf schnellstem Wege in sein Schloß nach Anjou zurückschicken würde, wenn er sich das herausnähme. Warte auf mich … ich bin gleich wieder da!«

Er wandte sich zum Gehen, doch von einer Begehrlichkeit getrieben, die er nicht ganz unterdrücken konnte, legte er seine Hand auf die Decke über Cathérines Schenkel und liebkoste ihn.

»Je schneller du wieder gesund wirst, meine Kleine, desto eher werde ich glücklich sein! Dann wirst du sehr zärtlich zu mir sein, nicht wahr?«

»Ich bin Eure Dienerin, Seigneur …«, stammelte Cathérine, beunruhigt über seinen kürzer werdenden Atem, »aber zur Stunde fühle ich mich so schlecht, so schlecht …«

Schweren Herzens zog er seine Hand zurück und begann dann, ihr die Wange zu tätscheln.

»Ganz recht, wir müssen vernünftig sein! Dafür wird es später um so schöner werden!«

Diesmal verschwand er wirklich, und zwar mit einer Flinkheit, die Cathérine bei einer solchen Fleischmasse für unmöglich gehalten hätte. Krachend schlug die Tür hinter ihm zu. Unfähig, noch länger zu denken, schloß die junge Frau die Augen und wartete darauf, daß jemand sich um sie kümmern würde. Der Gedanke, zu La Trémoille zu gehen, jagte ihr keine Furcht ein. Nichts konnte schlimmer sein als die entsetzliche Nacht, die sie soeben durchgemacht hatte … und dann, war sie nicht genau aus diesem Grunde hierhergekommen: um bei ihrem Feinde einzudringen?

Einige Augenblicke später kamen zwei alte Dienerinnen herein, so häßlich und verhutzelt, daß sie Cathérine an die alte Phuri Daï erinnerten. Ihre Wunden wurden gewaschen, mit Heilsalbe bestrichen und verbunden, ohne daß die beiden Alten ein Wort geäußert hätten. Sie sahen sich außerordentlich ähnlich und gemahnten in ihren schwarzen Kleidern an Grabstatuen, aber ihre Hände erwiesen sich als ungemein gewandt und geschmeidig. Als sie fertig waren, fühlte Cathérine sich schon besser. Sie dankte ihnen, worauf sich beide wortlos verneigten und sich reglos wie Baumstümpfe am Fußende des Bettes niederließen. Gleich darauf klatschte eine der beiden in die Hände. Diener erschienen mit einer Art Trage, auf die Cathérine von den beiden Alten gebettet wurde, nachdem sie ihr das Hemd und ihren dalmatinischen Umhang übergestreift hatten.

Der Zug wand sich die schmale Treppe des Schloßturms zum oberen Stockwerk hinauf, an dessen Eingang zwei Fackelträger warteten. Der eine von ihnen beugte sich vor, als die Trage an ihm vorüberkam, und Cathérine unterdrückte einen Ausruf der Überraschung. In der Livree mit den kleinen azurnen Adlern La Trémoilles erkannte sie, bärtig und langhaarig, Tristan l'Hermite in Person!

Sie versuchte sich nicht einmal zu erklären, wie er da hingekommen war. Eine wahre Flut der Erleichterung überspülte sie, und sie ließ sich mit geschlossenen Augen in ihr neues Gefängnis tragen.

Neuntes Kapitel

Die Art, wie man sie unterbrachte, gab Cathérine eine ungefähre Vorstellung von dem Wert, den der Großkämmerer ihrer Person beimaß. In eins der Türmchen gebracht, die den großen Schloßturm flankierten, sah sie zunächst nur ein riesiges, mit Vorhängen aus roter Serge versehenes Bett, das den größten Teil des kleinen Raums einnahm, der durch ein schmales Fenster Licht bekam. Cathérine wurde äußerst vorsichtig auf die weichen Matratzen gelegt und sodann in der Obhut der beiden Alten gelassen, was ihr keineswegs Vergnügen bereitete. Immer war eine von ihnen im Zimmer, zu Füßen des Bettes kauernd, unbeweglich und stumm wie ein Stein.

Bald entdeckte die junge Frau auch den Grund ihrer Schweigsamkeit. Die beiden Frauen, offensichtlich Zwillinge, waren stumm. Man hatte ihnen vor langer Zeit die Zunge herausgeschnitten, um sie ein für allemal ihrer Verschwiegenheit zu versichern. Sie waren griechischer Herkunft, wie La Trémoille Cathérine berichtete, ohne sich jedoch darüber auszulassen, auf welchen dunklen Wegen diese Frauen vom Sklavenmarkt Alexandriens an den Hof Karls VII. gekommen waren. Der Großkämmerer hatte sie beim Schachspiel vor vielen Jahren vom Prinzen von Oranien gewonnen. Seitdem dienten Chryssoula und Nitsa ihm treu und folgten ihm selbst auf den verwickeltsten Pfaden seines Lebens. Sie waren immer die Wächterinnen der Frauen, die La Trémoille zu sich nahm oder sich reservierte. Sie ähnelten sich derart, daß Cathérine sie nach fünf Tagen immer noch nicht auseinanderzuhalten vermochte.

Die unablässige Anwesenheit dieser Frauen wurde ihr lästig. Sie hätte diesen schweigenden Schatten mit ihren verschlossenen Gesichtern, in denen nur die Augen Leben zeigten, hundertmal völlige Einsamkeit vorgezogen. Außerdem fühlte sich Cathérine unbehaglich, wenn sich der Blick ihrer jeweiligen Wächterin auf sie richtete, und die Freude, die sie beim Anblick Tristans im Plunderstaat eines Lakaien empfunden hatte, war längst gewichen. Sie hatte gehofft, daß er in den folgenden Stunden zu ihr kommen würde, aber abgesehen von La Trémoille hatte kein Mann die Schwelle ihrer winzigen Kammer überschritten. Einzig die beiden alten Griechinnen schienen die Erlaubnis dazu zu haben.

Die zweimal täglichen Besuche des Großkämmerers waren für die junge Frau ebenso lästig. Er war zu ihr von einer Liebenswürdigkeit, die sie um so mehr anekelte, als sie gezwungen war, mit gleicher Liebenswürdigkeit zu antworten, höchstens noch demütiger, wie es einem armen Vagabundenmädchen zustand. Sie zwang sich, im Bett liegenzubleiben und sich viel schwächer und kränker zu geben, als sie in Wirklichkeit war, weil sie Angst hatte, daß er sie daran erinnern könnte, »zärtlich« zu ihm zu sein. Die bloße Vorstellung eines intimen Kontakts mit diesem Fettkloß verursachte ihr Übelkeit. Sie wollte sein Verderben, sie wollte mit aller Macht ihres Hasses Arnaud, die ihren und sich selbst an diesem Tyrannen ohne Größe rächen, der sie ins Elend gebracht hatte und das Königreich nach seinem Gefallen lenkte. Die Überwindung, zu der sie sich jeden Tag zwingen mußte, um nichts von ihren wahren Gefühlen zu zeigen und zu lächeln, war übermenschlich. Um es zuwege zu bringen, mußte sie den Augenblick beschwören, für den sie diese vielen Monate gelebt hatte, den Moment, in dem ihr Feind ihr endlich ausgeliefert wäre. Und so kam es, daß sie in sich neue Energiequellen entdeckte. Aber eins hatte sie sich am Morgen nach jener höllischen Nacht mit Gilles de Rais geschworen: Selbst um ihren Auftrag zum guten Ende zu führen, selbst um La Trémoille nach Chinon zu locken, würde sie sich nicht so weit erniedrigen, sich diesem zutiefst korrupten Wesen hinzugeben, dessen Körperlichkeit sie abstieß. Wenn es ihr nicht gelänge, ihn sich fernzuhalten, bevor sie ihn überredet hätte, Amboise zu verlassen und nach Chinon zu gehen, hatte Cathérine beschlossen, La Trémoille zu töten, auch auf die Gefahr hin, dafür hingerichtet zu werden. Zumindest würde man sie nicht dem Henker übergeben, ohne sie zuvor anzuhören.

Doch um zu töten, brauchte man eine Waffe, und Waffen besaß sie nicht. Insgeheim hoffte sie darauf, daß Tristan ihr eine zustecken würde, aber dazu müßte er die Möglichkeit finden, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.

Alle diese Gedanken plagten die junge Frau in den langen Stunden der Unbeweglichkeit hinter den roten Bettvorhängen. Die Geräusche des Schlosses – die Rufe der Posten, die Ablösung der Wachen, die Stimmen der Dienerinnen, militärische Befehle, galoppierende Pferde, Widerhall von Musik – waren die einzigen Ablenkungen Cathérines, die sich zu Tode langweilte. Die ganze übrige Zeit starrte sie auf eine Statue des Erzengels Michael, die auf einem kleinen Tisch gegenüber ihrem Bett stand, und wunderte sich, eine so fromme Statue in dem Zimmer vorzufinden, das La Trémoille seinen kurzlebigen Liebschaften vorbehielt.