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Wortlos erhob sich das wartende junge Mädchen, das lässig auf einer mit Kissen belegten Bank gesessen hatte, nahm den Leuchter wieder auf und wandte sich der Treppe zu, wo die Wachen standen. Hinter ihr überquerte Cathérine den vom Lichtschein aus den Fenstern der königlichen Gemächer erhellten Hof. Beim überschreiten der Schwelle des Königslogis, die von zwei Eisenstatuen bewacht wurde, hatte Cathérine den Eindruck, in ein riesiges, hohles Schneckengehäuse zu treten, so sehr hallten die Geräusche des Festes in ihm wider. Trotz der Dicke der Mauern tobten die Violen, Hörner und Lauten, übertönten den Tumult der Stimmen, das lärmende Gelächter, die freudigen Rufe, überall waren Fackeln, riesige Kerzen, die ein warmes, goldenes Licht verströmten. Cathérine beruhigte sich. Wollte man sie mitten in die Festlichkeiten hineinwerfen wie einen Nachtvogel, den man plötzlich aus dem Dunkel riß und in die Sonne schleuderte? Nein … ihre Führerin ging am königlichen Stockwerk vorüber, das beinahe ganz von dem riesigen Festsaal eingenommen wurde, und hieß sie höher steigen, fast bis zum Dachstuhl des Schlosses hinauf. Dort stieß das junge Mädchen eine niedrige Tür auf, die sich plötzlich ins Dunkel eines Ganges öffnete, und Cathérine fand sich mitten in einem Zimmer von ziemlich beschränktem Ausmaß, das jedoch wie ein Reliquienschrein wirkte, so sehr verhüllte der samtene grüne Tapetenstoff die Wände, von denen nicht ein Stück mehr zu sehen war. Dicke, schillernde Teppiche bedeckten den Boden. Trotz der sehr milden Außentemperatur brannte ein riesiges Feuer im Kamin und schien sich seltsamerweise auf die Wandbehänge zu übertragen, auf die lange goldene Flammenzungen gestickt waren.

Inmitten dieses merkwürdigen, prunkvollen Raums, der mit Kostbarkeiten vollgestopft war, stand aufrecht Cathérine de La Trémoille im Kreis ihrer Damen, von denen einige lässig auf dem Boden saßen, Laute spielend oder Süßigkeiten knabbernd. Diesmal war die schöne Gräfin nur in blaue, sehr durchscheinende Seide gekleidet, über der sich die Masse ihres fahlroten Haares türmte. Der wolkige Stoff verbarg die üppigen Formen ihres Körpers nicht allzusehr, aber das schien sie nicht zu stören. Cathérine wurde sich beim ersten Blick bewußt, wie erregt sie war, denn sie biß sich auf die Lippen und schlang nervös die Finger ineinander, während sie auf und ab schritt.

»Hier ist das Mädchen, holde Dame!« sagte Cathérines Führerin von der Schwelle.

Die Dame de La Trémoille stieß einen Ruf der Befriedigung aus und deutete dann mit einer herrischen Bewegung auf die Tür.

»Alle hinaus! Geht schlafen! Und stört mich unter keinen Umständen!«

»Auch ich nicht?« fragte gekränkt das junge Mädchen, das Cathérine hergeführt hatte und das die Favoritin sein mußte.

»Auch du nicht, Violaine! Ich möchte mit diesem Mädchen allein sein. Wache draußen, daß niemand überraschend eintritt. Ich werde dich rufen, wenn ich dich brauche.«

Violaine ging widerwillig hinaus und schloß die Tür hinter sich. Die anderen hatten sich bereits verzogen. Die beiden Gegnerinnen, die große Dame und die falsche Zigeunerin, blieben in schweigendem Gegenüber allein zurück. Sie musterten sich … Mit wilder aber sehr femininer Freude entdeckte Cathérine, daß die Schönheit ihrer Rivalin schon verwelkte. Winzige Fältchen in Augen- und Mundwinkeln verrieten es, die Haut war sehr weiß und zart wie Samt, aber blaue Ringe umgaben die graugrünen Augen. Fett hatte sich an den Hüften und den langen Schenkeln angesetzt und machte die Brüste schwer, die ein wenig hingen. Die schöne Rothaarige lebte zu verweichlicht, zu luxuriös, zu ausschweifend. Ausschweifung und Wollust drückten ihr ein unauslöschliches Siegel auf … Aber Cathérine hütete sich wohl, die Genugtuung, die sie empfand, zu zeigen. Sie bemerkte sehr genau den Blick, der prüfend über sie hinglitt, sie ungeniert auszog. Sie errötete, als sie die trockene Stimme der Dame ausrufen hörte.

»Auf was wartest du, um vor mir niederzuknien? Ist dein Rückgrat so steif, daß es dich hindert, deine Herrin zu grüßen?«

Cathérine biß sich auf die Lippen und schalt sich im stillen eine dumme Gans. Wie hatte sie so sehr aus ihrer Rolle fallen können, daß sie die Gräfin um ein Haar als Gleichberechtigte angesprochen hätte? Sie beeilte sich zu gehorchen, neigte den Kopf und murmelte, ihre Verlegenheit mit einer Notlüge bemäntelnd:

»Verzeiht mir, edle Dame, aber ich hatte einen Augenblick vergessen, wo ich war. Meine Augen waren geblendet! Ich glaubte mich am Wohnsitz der Königin der Keshaiyi, der Feen unseres Volkes.«

Ein hochmütiges Lächeln der Befriedigung hellte das übellaunige Gesicht der Dame auf. Bei ihrer niederen Herkunft gefiel ihr jede Schmeichelei, und mochte sie noch so dick aufgetragen sein.

»Steh auf!« sagte sie zu ihr. »Oder setz dich auf dieses Kissen. Was ich dir zu sagen habe, kann lange dauern.«

Sie wies auf ein auf den Stufen ihres Bettes liegendes Kissen. Cathérine ließ sich darauf gleiten, während die Gräfin sich aufs Bett setzte. Ihr Blick lag unverwandt auf Cathérines Gesicht, es so eingehend betrachtend, daß es schon peinlich wurde. Nach einem Augenblick, welcher der jungen Frau eine ganze Ewigkeit schien, murmelte die schöne Gräfin:

»Du bist wirklich sehr schön … zu schön! Du wirst nicht zum Großkämmerer zurückgehen! Du könntest auf lange Sicht gefährlich werden, denn was die Frauen anlangt, ist er dumm. Und du, du machst mir einen intelligenten Eindruck.«

»Was soll ich dann tun?« wagte Cathérine zu fragen. »Wenn ich nicht zurückkehre, riskiere ich …«

»Nichts riskierst du! Wenn du mir angemessen dienst, werde ich dich vielleicht behalten, und du wirst nichts zu befürchten haben. Wenn nicht …«

Der in der Schwebe gelassene Satz klang so drohend, daß es Cathérine nicht danach verlangte, sein Ende wissen zu wollen. Sie mußte sehr aufpassen, geschickt manövrieren und keine Fehler begehen. Sie begnügte sich, demütig den Kopf zu senken und darauf zu warten, was folgte.

»Ich werde mein Bestes tun«, sagte sie nur.

Die Dame de La Trémoille nahm sich Zeit. Nachdenklich griff sie nach einem mit Wein gefüllten Pokal, der auf den Stufen ihres Bettes stand, und leerte ihn langsam bis auf den letzten Tropfen. Dann stellte sie den leeren Pokal wieder zurück, wandte ihr vom Wein leicht gerötetes Gesicht Cathérine zu, und ihre Augen funkelten.

»Es heißt, daß die Frauen deiner Rasse in der Zauberei, im Wahrsagen und im Zusammenstellen seltsamer Arzneitränke bewandert seien. Es heißt, ihr könntet in die Zukunft sehen, ihr könntet das Unglück und den Tod berufen … oder die Lieb. Stimmt das?«

»Vielleicht …«, antwortete Cathérine vorsichtig. Sie begann zu verstehen, worauf die andere hinauswollte, und dachte, daß da vielleicht eine Chance für sie läge. Wenn diese habsüchtige und perverse Frau an ihre Geschicklichkeit und Ergebenheit glaubte, konnte sie sie vielleicht dahin bringen, wohin sie sie haben wollte, und ihren Mann dazu.

»Kennst du«, nahm die Gräfin das Gespräch mit leiserer Stimme wieder auf, »den Zaubertrank, der die Liebe gibt, der das Feuer durch die Adern rinnen läßt, der den Verstand, die Scham, ja selbst den Widerwillen ausschaltet? Kennst du diese magische Mixtur, die ein Wesen einem anderen ausliefert?«

Cathérine hob den Kopf und zwang ihren Blick, sich mit dem ihrer Feindin zu kreuzen. Sie erinnerte sich an das glühende Erlebnis, das sie in den Armen Feros gehabt hatte, und brauchte kaum zu lügen, als sie bejahte.

»Ja, ich kenne sie. Das Liebesbedürfnis, das sie erweckt, wird zur Qual und verzehrt den ganzen Körper, wenn man es nicht befriedigt. Es gibt niemand, Mann oder Frau, der ihm widerstehen könnte.«

Ein triumphierendes Leuchten glitt über das gierige Gesicht, das sich ihr zuwandte. Plötzlich schnellte die Gräfin hoch, eilte zur anderen Seite des Zimmers, öffnete eine Truhe, wühlte darin und zog die mit Goldstücken gefüllten Hände wieder heraus.