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Dennoch verfolgte sie das Neigen des Tages im Kellerfenster mit einiger Bangigkeit. Wenn die Nacht erst angebrochen wäre, säße sie hier in völliger Finsternis … Tatsächlich verschwammen schon die Einzelheiten ihrer düsteren Umgebung. Das Dunkel verschlang die schwarzen, feucht beschlagenen Mauern, und es kam der Augenblick, in dem Cathérine nicht einmal mehr den hellen Fleck ihrer Hand zu sehen vermochte. Ihr war, als überflutete sie tiefes und gefährliches Gewässer …

Doch als hätte sie Cathérines Angst in der Tiefe ihres Kerkers erraten, durchdrang die Stimme Saras die Schwärze der Nacht.

»Schlafe! Die Nächte sind jetzt kurz …«

Es stimmte. Der Sommer brach an, und der Tag war unendlich länger als die Nacht. Angestrengt nach oben starrend, gelang es Cathérine sogar, das kleine, blassere Viereck des Fensters dicht unter der Decke zu unterscheiden. Ein wenig entspannt, ließ sie sich auf ihr Stroh sinken und schloß die Augen …

Hatte sie schon geschlafen, als ein ganz leises Geräusch sie auffahren ließ? Sie war es so gewohnt, mit der Gefahr zu leben, daß ihr Schlaf nie mehr tief war … Sie verhielt sich unbeweglich, spitzte die Ohren und hielt den Atem an. Es war das kaum vernehmbare Knarren ihrer Tür, das sie geweckt hatte. Jemand trat ein oder war schon eingetreten … Sie nahm das hauchzarte Geräusch unterdrückten Atmens wahr, ein leises Knirschen gegen den Stein der Wand, und ihre Herzschläge stockten … Wer war da?

Der Gedanke kam ihr, daß es vielleicht Ratten seien, und dabei standen ihr die Haare zu Berge; aber das Geräusch vorhin war von der Tür hergekommen, dessen war sie sicher. Und dann, einen Augenblick später, hörte sie wieder das leise Atmen, näher jetzt … noch näher! In kalten Schweiß gebadet, hob sie vorsichtig die Hand, sorgfältig darauf bedacht, daß ihre Ketten nicht klirrten, schob zwei Finger in ihr Kleid, zog den Dolch heraus, faßte ihn fest und nahm die Hand ebenso vorsichtig wieder herunter. Entsetzliche Angst bohrte in ihren Eingeweiden. Unversehens sah sie sich wieder, Jahre zurückliegend, im alten Schloßturm von Malaien, wo sie sich jede Nacht gegen die Attacken des Rohlings hatte verteidigen müssen, den man ihr als Kerkermeister gegeben hatte. Alles fing von neuem an … Aber diesmal, wer konnte es sein … und in welcher Absicht?

Ihre Angst bedrängte sie so, daß sie die Zähne zusammenpressen mußte, um ihre Fassung zu bewahren. Jetzt war der Mann ganz nahe … denn es war ein Mann, sie merkte es am Geruch.

Plötzlich warf sich etwas Massiges über sie, und sie stieß einen Schrei aus, der bis in die hintersten Höfe zu hören sein mußte. Das Gewicht, das sie zu Boden drückte, schien ihr ungeheuer, und sie begriff schnell, daß der Unbekannte versuchte, sie zu erdrosseln. Zwei rauhe Hände griffen ihr an die Kehle, umspannten ihren Hals. Saurer, widerlicher Atem strich über ihr Gesicht. Sie wand sich unter dem Mann, um ihren Hals freizubekommen, aber es gelang nicht. Die Hände drückten zu, drückten … Vom Instinkt der Selbsterhaltung, von wildem Lebensdrang getrieben, hob sie schließlich den bewaffneten Arm und stieß ihn mit aller Kraft hinunter. Die Klinge bohrte sich bis zum Heft in einen Rücken. Der auf ihr liegende Körper zuckte jäh zusammen, während ein kurzer Schrei dem Mann entfuhr. Ihrer Kraft beraubt, glitten seine Hände langsam an den Seiten herunter. Etwas Warmes und Klebriges sickerte auf sie … Der Dolch hatte richtig getroffen. Der Mann war mit einem einzigen Stoß getötet worden … Vor Angst mit den Zähnen klappernd, gelang es Cathérine mit einiger Mühe, die Leiche auf die Seite zu schieben. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür der Zelle. Zwei Männer, einer mit einer Fackel, stürzten herein und blieben wie versteinert stehen, als sie Cathérine blutüberströmt und in Ketten neben einer Leiche fanden. Sie hob die Augen wie eine Schlafwandlerin, erkannte ohne jede Reaktion Tristan l'Hermite und den Henkersknecht Aycelin.

»Er hat versucht, mich zu erdrosseln«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Ich habe ihn getötet …«

»Gott sei Dank!« murmelte Tristan totenblaß. »Ich fürchtete schon, zu spät zu kommen!« Dann wandte er sich lauter an seinen Kameraden, der Cathérine mit stumpfsinnigem Entsetzen anstarrte:

»Du erinnerst dich der Befehle Monseigneurs? Du haftest mit deinem Leben für das dieser Frau …«

Der Mann verfärbte sich und hob die verwirrten Augen zu Tristan:

»Ja, Messire! Ich … ich erinnere mich!«

»Ein Glück für dich, daß ich gekommen bin. Schaff diesen Kadaver weg und sieh zu, daß du dich seiner diskret entledigen kannst. Da keiner außer dir, mir … und ihr darüber Bescheid weiß, braucht niemand etwas davon zu erfahren. Dir ist nichts geschehen, Frau?«

Cathérine gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, daß mit ihr alles in Ordnung sei. Aycelin hatte sich gebückt, hob den leblosen Körper des Mordgesellen trotz seiner Kräfte nur mit Mühe an und legte ihn sich über die Schultern.

»Ich werd' ihn ins tiefste Verlies werfen«, sagte er. »Es ist ganz in der Nähe!«

»Beeil dich, ich warte!«

Er schlurfte mit seiner Last hinaus, dem Flamen dabei einen dankbaren Blick zuwerfend, und unterließ es sogar, die Tür wieder zu schließen. Sobald er verschwunden war, beugte Tristan sich zu Cathérine hinunter.

»Schnell, wir haben nicht viel Zeit! Ich kam, um mit Sara zu sprechen, wie ich's fast jeden Abend durchs Kellerfenster tue, als ich sah, wie sich dieser Mann, einer der Diener der Dame de La Trémoille, ins Gefängnis schlich. Ich fühlte instinktiv, was geschehen würde, und bin ihm nach. Diese Livree ist geradezu ein Geleitbrief … Und dann hörte ich Euch schreien und rannte her …«

»Wolltet Ihr mich holen?«

Er schüttelte traurig den Kopf, bekümmert, als er sah, wie die großen Augen der jungen Frau sich mit Tränen füllten.

»Noch nicht. Ich kann's nicht. In einer Stunde wird der Großkämmerer herunterkommen, um Euch zu besuchen.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich habe gehört, wie er einer der Stummen den Befehl gab, nach Mitternacht in einen Beutel ein Hühnchen und eine Flasche Wein zu packen. Offensichtlich ist er Euch noch wohlgesinnt. Man muß herausbekommen, was er von Euch will. Ich glaube nicht, daß ihn dieses finstere Loch zu erotischen Unternehmungen anregen wird. Und außerdem ist er krank …«

»Auf jeden Fall werde ich ihm nichts erlauben. Mein Dolch hat schon einmal zugestoßen, er kann's auch ein zweites Mal.«

»Überstürzt nichts! Ihr dürft Euch nicht hinreißen lassen wie vorhin im Folterkeller. Ihr könntet alles verlieren. Jetzt muß ich gehen. Messire de Brézé erwartet mich im Obstgarten …«

Er richtete sich wieder auf, bereit zu gehen. Cathérine hielt ihn am Arm zurück.

»Wann werde ich Euch wiedersehen?«

»Vielleicht morgen nacht … Vorher schon, wenn nötig. Seid nicht allzu ängstlich. Wir wachen, und ich bin sicher, daß Brézé bereit ist, für Euch La Trémoille die Gurgel durchzuschneiden, und sei es zu Füßen des Königs! Mut!«

Aycelin kam wieder zurück. Tristan erwartete ihn an der Tür, Cathérine den Rücken zukehrend. Die junge Frau fuhr plötzlich auf.

»Messire! Das Blut, das ich an mir habe … Wie soll ich das erklären?«

»Du wirst sagen, was passiert ist, und außerdem … daß Aycelin dich gerettet und den Mörder getötet hat. Er wird sich damit eine Beförderung verdienen, und du, du hast durch diese Notlüge nichts zu verlieren!«

Der Folterknecht grinste breit.

»Ihr seid sehr gütig, Messire! Wenn ich etwas für Euch tun kann …«