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Man ließ die Pferde im Schritt gehen. Der Weg stieg zu dem dichten schwarzen Waldgelände an. Solange man sich noch nicht im Schutz der Bäume befand, ritten sie schweigend dahin. Aber kaum hatte das dichte Unterholz sich hinter ihnen geschlossen, als Pierre de Brézé auch schon die Hand hob und sich vom Pferd schwang.

»Hier werden wir uns trennen«, sagte er. »Ihr werdet allein weiterreiten, denn Armenga und ich kehren ins Schloß zurück. Wir müssen an der Seite der Königin sein, wenn sie Amboise verläßt. Und was Euch betrifft …«

»Ich weiß«, unterbrach Tristan. »Wir reiten bis zum Kastell Mesvres, zwei Wegstunden von hier, wo wir erwartet werden.«

Im Wald herrschte Dunkelheit, doch ein fahler Schein der noch schmalen Mondsichel drang in die Schneise, auf der die Reisenden hielten. Er genügte Cathérine, um die blitzenden Zähne Brézés zu erkennen. Er lächelte.

»Ich hätte wissen müssen, Sire Tristan, daß Ihr niemals etwas vergeßt! Ich vertraue Euch also Dame Cathérine an. Ihr wißt, wie teuer sie mir ist und wie kostbar ihre Sicherheit. Das Kastell Mesvres gehört meinem Vetter Louis d'Amboise. Ihr habt nichts zu befürchten. Ihr könnt Euch dort ausruhen, erholen und diesen Damen die ihrem Rang zukommende Kleidung verschaffen.«

Um alles in der Welt hätte Cathérine nicht erklären können, welches Gefühl sie trieb, auf Pierre zuzugehen und ihn ängstlich zu fragen:

»Wohin reiten wir dann, Messire Pierre? Wo werden wir uns wiedersehen? Kann ich jetzt nach Chinon? Ich will das Ende La Trémoilles miterleben.«

Er beugte sich zu ihr hinunter, nahm ihr den schweren Helm ab, der sie drückte, und warf ihn in ein Dickicht:

»So sehe ich wenigstens Euer süßes Gesicht, bevor ich Euch verlassen muß! Sicher geht Ihr nach Chinon, wo Königin Yolande mit ihrem Schwiegersohn zusammentreffen wird. Nach Eurem Erfolg werdet Ihr sie, wenn alles vorbei ist, dort wiederfinden. Gewiß könntet Ihr auch zu ihr nach Angers gehen, aber Ihr werdet müde sein. In Chinon werdet Ihr Euch ausruhen. Geht in die Herberge ›Zum Kreuz des Großen Saint-Mexme‹ gleich neben dem Grand Carroi. Sagt, ich schicke Euch, und der Wirt wird Euch zu Füßen liegen. Er ist gut und ein treuer Untertan des Königs, und da er einst die Jungfrau von Orléans beherbergt hat, wird er sich im Andenken an sie besonders anstrengen. Bittet Meister Agnelet um Diskretion, und Ihr werdet keine Seele zu Gesicht bekommen. Eure Trauerkleidung übrigens wird Euch Achtung und Ungestörtheit verschaffen …«

Es folgte ein Schweigen, so tief, daß Cathérine und Pierre ihre Herzschläge hätten hören können … Die anderen hatten sich taktvoll ein wenig zurückgezogen. Sie warf ihm einen strahlenden, dankbaren Blick zu und reichte ihm ihre Hände, die er kniend ergriff wie vor kurzem in der Folterkammer.

»Danke, mein Ritter«, murmelte Cathérine, von ihrer Erregung erstickt. »Vielen Dank für alles! Wie kann ich Euch sagen, was ich in diesem Augenblick empfinde? Es würde so vieler Worte bedürfen, die mir jetzt fehlen.«

»Meine süße Dame, mich leitet nur meine Liebe zu Euch! … Wenn Ihr ums Leben gekommen wäret, hätte es meinen Tod bedeutet! Sucht nicht nach Worten …«

Er preßte die Lippen auf beide Hände, worauf Cathérine sich lebhaft niederbeugte und einen Kuß auf das kurze blonde Haar des jungen Mannes drückte. Dann zog sie sanft ihre Hände zurück.

»Auf bald, Messire! Und Gott schütze Euch! Steht mir bei, Herr Junker.«

Sie wandte sich zu Armenga, der ihr wieder in den Sattel half. Auch ihm sagte sie Dank, was er mit einem verbindlichen Lächeln quittierte. Sara und Tristan näherten sich. Sie hob die Hand, grüßte Pierre fröhlich, der sie nicht aus den Augen ließ.

»Wenn wir uns wiedersehen, bin ich wieder Cathérine geworden«, sagte sie freudig. »Vergeßt die Zigeunerin so schnell wie möglich … so schnell, wie ich sie vergessen will. Nochmals vielen Dank Euch beiden!«

Die Schneise öffnete sich in einen lichten Graben zwischen den schwarzen Mauern des Waldes. Er schien ins Unendliche zu führen. Tristan und Sara auf den Fersen, gab Cathérine ihrem Pferd die Sporen und jagte im Galopp dem Horizont zu.

Elftes Kapitel

Die Sonne ging in hochroter Pracht unter, die die hohen grauen Mauern Chinons, die Schieferdächer der Stadt und die sie umschließenden, scheinbar direkt aus der Vienne aufsteigenden Wälle mit ihrem Purpurschein überzog. Auf dem in rotem Feuer glühenden Fluß glitten die Barken der Schiffer unter den Schreien der Eisvögel und dem schnellen Flug der Schwalben geräuschlos auf die schwarzen Bogen der alten Brücken zu. Es war ein schöner Abend, sanft und mild, schon vom Duft des frischen Grases erfüllt, als Cathérine, von Sara und Tristan l'Hermite gefolgt, die erste Umwallung am Tor de Bessé durchquerte und an den Mauern der Stiftskirche von Saint-Mexme entlangritt. Etwas weiter zeigten sich ein neues Tor und eine neue Zugbrücke: das Tor von Verdun, das den eigentlichen Zugang zur Stadt bildete. Hoch oben, das Ganze krönend, erstreckte sich das Drillingsschloß in einer Perspektive, die unendlich schien: das Fort Saint-Georges, einst von den Plantagenets erbaut, das Mittelschloß und ganz hinten Coudray, das der fünfundzwanzig Meter dicke riesige, zylindrische Schloßturm beherrschte … Wahrhaftig, Chinon-la-Villeforte verdiente wohl seinen Beinamen, und Cathérine betrachtete mit tiefer Freude die majestätische Falle aus Stein, in die sich ihr Feind bald begeben würde.

Aber wie schnell die Zeit verging! Schon schien ihr das Abenteuer von Amboise mit seinen tragischen oder nur schmerzhaften Höhepunkten weit entfernt. Und dabei war es erst drei Tage her, drei Tage, seit Tristan und Pierre de Brézé sie dem Tod in den Kellern des königlichen Schlosses entrissen hatten. Nach der Trennung im Wald hatten Cathérine, Sara und Tristan, noch immer in Soldatenuniform, das kleine Schloß Mesvres erreicht, wo Cathérine endlich wieder sie selbst hatte werden können. Nach einem Bad, nach kräftigem Einseifen und Bürsten ihres Körpers hatte sie sich mit Weingeist abgerieben, dann mit einer Creme aus Schweinefett behandelt, wieder gewaschen und die Freude gehabt, ihre Haut wieder fast so hell werden zu sehen wie früher. Es blieb nur noch eine leichte goldene Bräune, viel mehr auf das Leben in frischer Luft zurückzuführen als auf die Künste des armen Malers Guillaume. Auch hatte sie die falschen Zöpfe abgelegt, die sie getragen hatte, sich das Haar gewaschen, das jetzt einen ziemlich breiten goldenen Streifen zeigte, nachdem es einmal von der schwarzen Paste befreit war, mit der sie die Wurzeln bestrichen hatte. Leider mußte es noch einmal geschnitten werden, und zwar sehr kurz, um seine normale Farbe wiederzuerhalten.

Cathérine hatte nicht gezögert. Sie hatte sich auf einen Schemel gesetzt und Sara eine Schere gereicht.

»Los, schneid alles heraus, was schwarz ist!«

Mit einer wahren Flut von Seufzern hatte sich Sara ans Werk gemacht. Als sie fertig war, trug Cathérines Kopf nur noch ein dichtes goldenes, an den Spitzen einen Hauch dunkler getöntes Stoppelfeld, das sie nach Knabenart frisierte. Sie sah mit dieser kurzen Haartracht wie ein junger Page aus, verlor jedoch seltsamerweise nichts von ihrer Weiblichkeit.

»In ein paar Monaten werde ich wieder präsentabel sein«, sagte sie, sich mit lustigem Lachen im Spiegel betrachtend. »Bis dahin wird niemand etwas merken. Dem Himmel sei Dank, daß die Kopfbedeckungen und Hauben, die man zur Zeit trägt, das Haar völlig verstecken. Gewisse Damen rasieren sich sogar über der Stirn und an den Schläfen.«

»Das ist abscheulich!« stellte Sara fest. »Und ich will dich nicht so sehen.«

»Hab keine Angst, ich mich auch nicht!«

Nun in eine schwarzseidene Robe unter einem Damastumhang von derselben Farbe gekleidet, war Cathérine mit ihrer hohen, halbmondförmigen Haube aus gestärktem schwarzem Musselin, die ihr Gesicht einrahmte, wieder eine Edeldame geworden, während Sara die bequemen Kleider einer Dienerin aus gutem Hause angelegt hatte und Tristan sein schwarzes Wildlederwams trug. Die Passanten und Klatschweiber unter den Türen drehten sich um, als die so schöne und strahlende Frau in ihrer strengen Trauerkleidung vorbeikam.