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Hinter Cathérine stehend, vermochte Sara ihr Gesicht nicht zu sehen.

Doch während sie sprach, bemerkte sie, daß der Kopf mit dem zu kurzen blonden Haar sich senkte und die schmalen Schultern sich beugten. Das Echo ihrer Worte hallte in der Tiefe des Herzens der jungen Frau wider, die kaum vernarbte Wunde wieder aufreißend.

Schmerzlich murmelte Cathérine:

»Du bist grausam, Sara! Ich habe schließlich nichts anderes getan als an den Rosen gerochen …«

»Nein, mein Herz. Du warst immer offen und ehrlich dir und anderen gegenüber. Sei es auch jetzt. Du hast dich von der Dankbarkeit auf einen gefährlichen Weg führen lassen, der nicht der deine ist. Der deine wird dich zu den Bergen der Auvergne zurückführen, zu Michel und nach Montsalvy.«

Ganz sachte zog sie die junge Frau an sich, bettete deren Kopf in die Höhlung ihrer Schulter und streichelte zart die Wange, über die eine Träne rollte.

»Zürne deiner alten Sara nicht, Cathérine. Sie würde dir ihr Leben und ihren Anteil am Paradiese geben, um dich glücklich zu sehen. Sie liebt dich wie ihr eigenes Fleisch. Aber«, fügte sie mit bebender Stimme hinzu, »du mußt wissen, daß sie einen Teil ihres Herzens deinem Gatten geschenkt hat, diesem Arnaud, voller Dünkel, Leidenschaft und Schmerz, den sie eines Nachts wie ein Kind, dessen Leben zerstört und dessen Liebe verdammt war, hat weinen sehen … Erinnerst du dich?«

»Schweig«, schluchzte Cathérine. »Schweig … Du weißt genau, daß kein anderer Mann jemals seinen Platz einnehmen könnte … daß ich nie jemand so lieben könnte, wie ich ihn geliebt habe … wie ich ihn noch liebe!«

Gewiß war sie ehrlich. Und doch konnte sie aus ihren Gedanken den Widerschein eines Lächelns, das Blitzen blauer Augen nicht verbannen … Oben, auf dem Turm, schlug Marie Javelle Mitternacht. Sanft, aber fest führte Sara Cathérine zum Bett. Der Rosenstrauß blieb unbeachtet auf dem Tisch …

Am nächsten Abend spielte die Frage der Liebe keine Rolle mehr, und Cathérine dachte auch gar nicht mehr daran, denn die Stunde des Handelns rückte heran. Gegen Ende des Tages war Meister Agnelet bei Cathérine erschienen und hatte ihr respektvoll, doch ohne unnütze Umschweife mitgeteilt, daß er sie Schlag Mitternacht holen werde.

»Wohin werden wir gehen?« fragte die junge Frau.

»Nicht weit, gnädigste Dame. In meinen Hof, um es genau zu sagen, aber ich muß Euch bitten, sowenig Geräusch wie nur möglich zu machen. Es sind nicht alle Gäste dieser Herberge eingeweiht!«

»Ich weiß, Meister Agnelet. Darf ich Euch fragen, ob diejenigen, die Ihr erwartet habt, inzwischen eingetroffen sind?«

»Alle, Madame. Monseigneurs de Lore und de Coétivy spielen seit gestern morgen Schach, und der Seigneur de Bueil ist soeben in der Stadt angekommen. Aber er ist zum Schloß hinaufgegangen …«

»Warum das?«

»Er ist der Neffe des Großkämmerers, und obgleich er der Königin Yolande dient, wird er noch empfangen. Vergeßt es nicht, edle Dame! Um Mitternacht!«

Der Rest des Tages kam Cathérine weniger lang vor. In kurzem würde sie wissen, woran sie war. Entweder hatte der Anschlag Erfolg, dann wäre es zweifellos ein leichtes für den jungen Karl von Anjou, La Trémoille beim König zu ersetzen. Es würde außerdem die Rückkehr in Gnaden bedeuten und das Recht, endlich ohne Maske und am hellichten Tage zu leben. Oder der Anschlag mißlang … dann würde nichts die Verschwörer vor dem Zorn des Großkämmerers retten. Es würde den Tod aller bedeuten, ohne Ansehen des Geschlechts und des Ranges …

Nachdem das Abendläuten verklungen war, trat Cathérine mechanisch ans Fenster, öffnete es jedoch nicht, übrigens würde Pierre de Brézé in dieser Nacht nicht den Verliebten unter dem Fenster seiner Schönen spielen. Er hatte Besseres zu tun, und sie würde ihn im Kreise der anderen Ritter wiederfinden. Außerdem fühlte sich Cathérine zu angespannt, um noch Gedanken daran zu verschwenden.

Es schlug Mitternacht, als ein leises Kratzen an der Tür die völlig angekleidete Cathérine sich vom Fußende des Bettes erheben ließ, in das sich zu legen sie Sara gezwungen hatte. Rasch ging sie zur Tür, um zu öffnen, und gewahrte eine dunkle Gestalt auf der Schwelle. Im Hause war alles Licht gelöscht, die Küchenfeuer hatten, wie jeden Abend, mit Asche bedeckt werden müssen, doch in den Hof warf der Mond einen milchigen Schein, gegen den sich die Holzpfeiler der Galerie und die Silhouette des Wirtes schwarz abzeichneten. Der Wirt hatte für diese Gelegenheit seine makellos weiße Berufsgewandung mit einem dunklen Wollwams vertauscht. Man hörte keinerlei Geräusch.

Wortlos nahm Agnelet Cathérine an der Hand, führte sie in den Hof hinunter und dort an den Gebäuden entlang, um nicht die helle Fläche überqueren zu müssen, und gelangte so zum rückwärtigen Teil, dessen Begrenzung von dem Felshang gebildet wurde, über dem sich das Schloß erhob. Vereinzelt wuchsen hier Büsche, und ab und zu tauchten dunkle Löcher auf.

»Uralte Höhlenwohnungen«, flüsterte Agnelet, als er sah, daß Cathérine einen Augenblick stehenblieb, um sie zu betrachten. »Einige sind noch bewohnt, andere dienen als Keller, wie bei mir … oder als Zufluchtsort!«

Während er sprach, stieß er eine runde Pforte aus dickem, kreuzweise übereinandergezimmertem Kantholz auf, die einen Grotteneingang verschloß. Nachdem sie die Pforte hinter sich hatten, nahm Agnelet eine Öllampe aus einer Vertiefung des Felsens, schlug Feuer und zündete sie an. Eine große Höhle wurde sichtbar, in den Kreidefels gehauen und mit Gestellen und Fässern jeder Größe ausgestattet. Starker Weingeruch ging von ihnen aus. Böttcherwerkzeuge lagen auf einem Werktisch aufgereiht, neben einem Bottich, in dem sich leere Flaschen befanden. Das Ganze machte einen so gemütlichen Eindruck, daß Cathérine ihren Gastgeber fragend ansah. War das der Hintergrund für eine Verschwörung? Statt einer Antwort lächelte Agnelet, ging bis zur Wand, die den Keller abschloß, und schob ein Faß beiseite, das nicht allzu gewichtig aussah. Eine ovale Öffnung zeigte sich. Sie führte durch die Wand.

»Tretet durch, edle Dame!« sagte der Wirt. »Ich werde das Faß hinter uns wieder an seinen Platz rücken. Dieser Eingang muß verborgen bleiben. Wir befinden uns jetzt unter dem Mittelschloß. Der König schläft genau über unseren Köpfen!«

Ohne Zögern betrat Cathérine einen kleinen, von einer Fackel erleuchteten Gang, an dessen Ende sich ein Raum öffnen mußte. Dieser Gang war nur ein paar Schritte lang, die, einmal zurückgelegt, Cathérine und ihren Führer zum Eingang einer viel größeren Grotte brachten, an deren jenseitigem Ende eine rohe, aus dem kreidehaltigen Fels herausgehauene Treppe emporführte und sich im Schatten des Gewölbes verlor. Auch hier standen einige Fäßchen, aber sie waren umgestülpt, und vier Männer hatten auf ihnen Platz genommen. Sie sprachen kein Wort. Unbeweglich wie Statuen, schienen sie um eine Öllampe herum zu warten. Aber alle drehten sich gleichzeitig nach den Ankömmlingen um.