»Wegschaffen?« wandte Cathérine ein. »Hängen wir ihn!«
»Dazu haben wir nicht die Zeit«, sagte der Gouverneur. »Auch keinen festen Strick. Bringen wir ihn nach Montrésor, ich habe draußen für jeden Fall Pferde bereitstellen lassen. Jemand muß Bueil unterrichten. Er soll Gilles de Rais fesseln und knebeln und unten zu uns stoßen!«
Im nächsten Augenblick war La Trémoille nur noch ein unförmiges, stöhnendes Bündel, über dem Knebel schienen seine Augen vor Angst aus ihren Höhlen zu quellen. In diesem Moment tauchte Olivier Frétard, der unten geblieben war, im Türrahmen auf:
»Der König ist erwacht! Er verlangt zu wissen, was dieser Lärm bedeutet. Er schickt seine Wachen!«
»Schnell, tragt ihn weg!« rief Gaucourt. »Ich gehe zum König …«
In wenigen Sekunden war unter Cathérines verblüfften Augen alles erledigt. Sechs Männern gelang es, den leblosen, blutenden Körper des dicken Mannes anzuheben und die Treppe hinunterzuschaffen. Im Nu wurde der Hof überquert, die Pforte erreicht. Pierre de Brézé hatte Cathérine hinter den anderen herziehen wollen, aber das wütende Gemetzel, der Geruch des vergossenen Blutes hatten ihre Widerstandskraft erschöpft. Ganz sanft sank sie neben dem großen Bett in Ohnmacht. Der junge Mann fing sie eben noch zur rechten Zeit auf und trug sie eiligst davon.
Die frische Nachtluft im Hof belebte sie wieder. Sie schlug die Augen auf, sah Brézés Gesicht ganz nahe dem ihren und blickte ihn verständnislos an. Doch alsbald kehrte ihre Erinnerung wieder, und mit einer geschmeidigen Bewegung der Hüften ließ sie sich aus den Armen gleiten, die sie hielten.
»Laßt mich los!« rief sie. »Dank, Messire … Wo ist La Trémoille? Was hat man mit ihm gemacht?«
Mit einer Geste wies Pierre auf den Trupp, der sich wie ein riesiger Tausendfüßler den Pfad zur Stadt hinunterbewegte.
»Da! Man trägt ihn weg! Nach Montrésor. Dort wird er gerichtet!«
Eine Blutwelle stieg der jungen Frau ins Gesicht.
»Und sie?« fragte sie zornig. »Seine Frau? Wollt ihr sie hier in Frieden lassen? Sie ist schlimmer als er, und ich hasse sie mehr, als ich ihren Mann gehaßt habe.«
»Man kann nicht zu ihr, Cathérine. Sie hat ihre Gemächer im Mittelschloß, neben denen des Königs … Wir müssen jetzt gehen.«
»Ah, wirklich?« schrie Cathérine wütend. »Nun, geht, wenn Ihr wollt! Ich bleibe hier! Es wird mir keine Ruhe lassen, bevor ich nicht mit ihr Schluß gemacht habe … Ich habe noch eine Rechnung zu begleichen!«
Während sie sprach, tastete sie nach der Scheide ihres Dolchs und war erstaunt, sie leer zu finden. Dann erinnerte sie sich, daß Rosnivinen ihn ihr entrissen hatte. Die Waffe war im Fett des dicken Kämmerers steckengeblieben. Der Bretone hatte sie wieder herausgezogen und weggeworfen. Sie mußte noch auf dem Steinboden des Zimmers liegen.
»Ich muß wieder hinauf«, sagte sie. »Ich habe meinen Dolch verloren.«
»Was bedeutet schon ein Dolch, Cathérine?! Ihr seid verrückt! Die Wachen werden Euch festnehmen.«
»Na und? Sollen sie mich nur festnehmen, wenn sie wollen! Auf jeden Fall habe ich nicht mehr die Absicht, mich zu verstecken. Laut und in aller Öffentlichkeit werde ich vom König unsere Rehabilitierung verlangen. Königin Yolande hat sie mir versprochen. Benachrichtigt sie, wenn ich ergriffen werde. Und was den Dolch betrifft, so ist es der, der meinen Gatten nie verlassen hat … Ich hänge an ihm und werde in holen!«
Sie stürmte von neuem dem Schloßturm zu, vor dessen Pforte sich ein Häuflein unentschlossener Bewaffneter drängte, die nicht wußten, was sie tun sollten. Sie warf sich in ihre Mitte, Pierre de Brézé auf den Fersen, und wäre ohne Zweifel verhaftet worden, wenn nicht in eben diesem Moment Raoul de Gaueort vom königlichen Quartier zurückgekehrt wäre. Brézé rief ihn an und erklärte ihm mit einigen Worten, was sich zutrug. Er trieb seine Soldaten mit einer Bewegung seines blanken Degens auseinander.
»Laßt diese … diesen Jungen in Ruhe«, sagte er rauh. »Ich kenne ihn … Geht in eure Quartiere zurück!«
Gehorsam, wenn auch zögernd, setzten sich die Bewaffneten in Bewegung wie Leute, die jäh aus tiefem Schlaf gerissen wurden. Am Fuß des Schloßturms blieben nur noch Brézé, Cathérine und Gaucourt zurück.
Das Gesicht des Gouverneurs wirkte ernst und verschlossen. Pierre schloß daraus, daß es nicht gut stand, und fragte:
»Der König? Weiß er's jetzt? Was tut er?«
Gaucourt hob mit einem dürren Lächeln die Schultern.
»Der König? Er ist wieder eingeschlafen! Die Königin hat ihm versichert, daß der Tumult, der ihn geweckt habe, nur zu seinem Besten gewesen sei, und er hat ihr ohne weitere Erklärungen geglaubt. Er hat nur gefragt, ob der Konnetabel da sei. Man hat es verneint. Das gibt uns für die Erklärungen Zeit bis zum Tagesanbruch … Er reagierte genau, wie er auf den Tod Giacs reagiert hat.«
»Der seltsame König!« murmelte Pierre. »Die Männer, die seine besondere Gunst genießen, seine unentbehrlichen Favoriten, vergißt er in einer Minute …«
Aber Cathérine war nicht da, um zu philosophieren. Sie fand, daß sie noch einiges zu tun habe, ließ die beiden Männer bei ihrem Gespräch und wandte sich der Turmpforte zu. Gaucourt hielt sie zurück.
»Augenblick! Wohin geht Ihr?«
»Nach oben, den Dolch meines Gemahls suchen.«
»Das überlaßt mir. Ich habe ohnehin noch einiges bei La Trémoille zu tun«, warf der Gouverneur trocken ein.
»Dann gehe ich mit Euch. Was hätte ich zu fürchten? La Trémoille ist schon auf dem Weg nach Montrésor. Wenn man mich verhaftet, werdet Ihr mich befreien!«
»La Trémoille ist weg, das stimmt! Aber seine Frau ist noch hier. Sie ist durch den Lärm geweckt worden. Wer übrigens nicht? Als ich aus den Gemächern des Königs kam, sah ich sie wie eine Verrückte halbnackt durch die Korridore des Schlosses rennen. Ich wollte hinter ihr her, aber sie hatte zuviel Vorsprung. Ich habe sie auf der kleinen Brücke die Wassergräben des Schloßturms überqueren sehen. Sie ist da oben …«
»Und Ihr wollt mich hindern hinaufzugehen?« rief Cathérine. »Verrechnet Euch nicht, Herr Gouverneur!«
Ihren Arm gewaltsam aus Gaucourts Griff lösend, lief sie der schmalen Steintreppe zu. Mehrere Stufen auf einmal nehmend, sprang sie mit der Wendigkeit einer Katze hinauf. Ihr Haß gab ihr Flügel. In ihrer Freude, ihrer Feindin endlich mit gleichen Chancen gegenübertreten zu können, dachte sie kaum daran, daß sie waffenlos war. Auch die andere würde zweifellos keine Waffe haben … Die Glocken des Triumphes läuteten in ihren Ohren und hoben sie über sich selbst hinaus. Sie hörte nur noch den Gesang des Sieges.
Auf der Schwelle des Zimmers blieb sie außer Atem und von dem Bild gepackt stehen, das sich ihren Augen bot. Spärlich in ein Hemd gekleidet, das Schultern und Brust großenteils frei ließ, durchwühlte die Dame de La Trémoille ein Kästchen und nahm Juwelen heraus, die sie in ein neben ihr liegendes Seidentuch häufte. Nach der unbeschreiblichen Unordnung zu schließen, die im Zimmer herrschte und nicht nur auf das Attentat zurückzuführen sein konnte, hatte sie schon andere Kasten und Truhen durchsucht. Ein verächtliches Lächeln trat auf Cathérines Lippen … Diese Frau würde sich nie ändern! Man mochte ihren Mann töten, und doch würde sie sich stets und vor allem erst um ihr Erbe kümmern, danach erst um sein Schicksal …
Ganz in ihre Plünderung versunken, sah die andere sie nicht. Cathérine trat leise ein und ergriff den einige Schritte von ihr entfernt auf dem Boden liegenden Dolch, eine Grimasse des Ekels unterdrückend. Er war noch blutbeschmiert …
Plötzlich fuhr sie auf. Die Gräfin war reglos stehengeblieben und keuchte leise, als sei ihr plötzlich die Luft ausgegangen. Cathérine sah, wie sie etwas, das wie tausend dunkle Feuer funkelte, dicht an das noch immer brennende Nachtlicht hielt. Den schwarzen Diamanten! ihren schwarzen Diamanten, der ihr, Cathérine, gehörte! … Noch nie hatte sie auf einem menschlichen Gesicht einen Ausdruck von solcher Habsucht gesehen. Die Augen der Frau waren weit aufgerissen, die Lippen trocken: Das war es, was sie vor allem gesucht hatte! Sie zitterte vor Erregung … Die eisige Stimme Cathérines ließ sie zusammenzucken.