Sara zögerte einen Augenblick. Sie hatte große Lust, sich zu weigern, aber sie wußte nur zu gut, daß Cathérine imstande war, selbst zu gehen.
»Warum nicht?« erwiderte sie endlich. »Schließlich ist es deine Angelegenheit! Es betrifft dich!«
Voller Würde begab sie sich hinaus, was der jungen Frau ein neues Lächeln entlockte. Ihre alte Sara beherrschte die wunderbare Kunst der Haltungen und kultivierte die Tragödie mit seltenem Geschick. Es war ihre Methode, sich gegen sie aufzulehnen.
Einige Augenblicke später kehrte die Zigeunerin mit einem vor Freude blassen Pierre de Brézé zurück, der, kaum über die Schwelle getreten, sich Cathérine zu Füßen warf, ihre Hände ergriff und sie mit Küssen bedeckte.
»Meine süße Dame! Der Wunsch, Euch zu sehen, hat mich verzehrt. Ihr habt es gefühlt und mich gerufen! Wie glücklich ich bin!«
Er brannte vor Leidenschaft, von neuem zu allen Verrücktheiten bereit, und Cathérine genoß einen Augenblick das Vergnügen, diesen jungen Löwen, dessen Kraft sich mit Schönheit paarte, so innig unterworfen zu ihren Füßen zu sehen. Welcher Frau würde es nicht schmeicheln, einen solchen Mann zur Liebe zu inspirieren? … Dabei entging ihr keineswegs, daß Sara sich trotz ihrer Bereitschaft, sich zu fügen, die sie beim Hinausgehen hatte erkennen lassen, im Hintergrund des Zimmers im Schatten der Bettvorhänge verborgen hielt, die Hände über dem Bauch gefaltet, fast unsichtbar, aber dennoch anwesend, und das in einer zu allem entschlossenen Haltung, die nichts Gutes ahnen ließ.
Es war besser, nicht ihren Zorn zu erregen.
»Steht auf, Messire«, sagte sie sanft, »und setzt Euch neben mich auf diese Bank. Ich wollte Euch ohne Zeugen sprechen … zuerst, um Euch zu danken, daß Ihr nach Montsalvy geritten seid, denn Ihr hättet auch einen Reiter des Großen Marstalls schicken können. Das war sehr liebenswürdig von Euch, und ich weiß Euch Dank dafür.«
Pierre de Brézé schüttelte den blonden Kopf und lächelte.
»Ihr hättet sicher nicht gewollt, daß ich einen Fremden beauftragt hätte, sich mit etwas zu beschäftigen, was Euch so unmittelbar betrifft. Ich wollte, daß Ihr außer dieser Pergamentrolle aus meinem Munde Nachrichten von Eurer Familie empfangt, nach denen Ihr Euch sicherlich gesehnt habt.«
Ein glückliches Lächeln öffnete halb die Lippen Cathérines.
»Das ist wahr!« sagte sie freundlich. »Erzählt mir von meinem Sohn! Wie geht es ihm?«
»Wunderbar! Er ist schön, kräftig, fröhlich … Er spricht schon ganz gut, alle gehorchen ihm … angefangen mit einem rothaarigen Riesen, der sich Gauthier nennt und ihm überallhin folgt! Euer Sohn ist das schönste Kind, das ich je gesehen habe. Er ähnelt Euch!«
Aber Cathérine schüttelte den Kopf.
»Haltet Euch nicht zu lügen verpflichtet, wie sie Eltern immer zu verlangen scheinen, mein Freund. Michel ist Montsalvy von Kopf bis Fuß!«
»Er hat Euren Charme … das ist das Wichtige!«
»Um ein wahrer Ritter zu sein, wäre es für ihn besser, wenn er den seines Vaters hätte!« brummte Sara hinter ihren Bettvorhängen. »Hübsches Kompliment für eine Frau, ihr zu sagen, ihr Sohn sei ihr lebendes Ebenbild!«
Verdutzt warf Pierre einen Blick zum Bett hinüber. Cathérine lachte – nicht ganz ungezwungen, um die Wahrheit zu sagen. Sie sah das Gewitter heraufziehen. Sara war nicht die Frau, ihre Gefühle für sich zu behalten.
»Sara, nörgle hier nicht herum! Messire de Brézé hat mir nur zu Gefallen sein wollen. Komm her!«
Die Zigeunerin trat unwillig näher. Sie gab sich sichtlich große Mühe, die Aversion, die sie gegen den jungen Mann hegte, zu verbergen.
»Für mich wäre das kein Gefallen! Wie es mir auch nicht gefallen wird, wenn man morgen darüber klatscht, daß Messire de Brézé in diesem Zimmer gewesen ist.«
»Ich werde schon wissen, wie ich die bösen Zungen zum Schweigen bringe!« rief der junge Mann. »Ich werde die Urheber zur Zurücknahme ihrer Verleumdungen zwingen, mit dem Degen, wenn's sein muß!«
»Von einer Verleumdung bleibt immer etwas zurück! Wenn Ihr Dame Cathérine wirklich liebt, bleibt nicht hier, Messire. Es ist die erste Nacht, die sie in diesem Schloß verbringt, und sie ist Witwe! Ihr hättet gar nicht hierherkommen dürfen!«
»Aber Ihr habt mich doch geholt! Und welcher Mann würde auch nur einen Augenblick ein Glück ablehnen, das man ihm anbietet?« fügte er hinzu, Cathérine mit Bewunderung anblickend. »Jedesmal, wenn ich Euch sehe, seid Ihr schöner, Cathérine … Warum weigert Ihr Euch, mich für immer für Euch sorgen zu lassen?«
»Weil«, rief Sara, endlich die Geduld verlierend, als sie sah, daß Pierre sich nicht von der Stelle rührte, »meine Herrin erwachsen genug ist, für sich selbst zu sorgen. Außerdem bin ich noch da!«
»Sara!« rief Cathérine, rot vor Zorn. »Du gehst zu weit. Ich bitte dich, uns allein zu lassen!«
»Und ich lasse es nicht zu, daß du deinen Ruf ruinierst. Wenn dieser Herr so viel von dir hält, wie er behauptet, wird er mich verstehen.«
»Du vergißt, daß er uns gerettet hat!«
»Wenn es nur geschehen ist, um dich um so tiefer ins Unglück zu stürzen, kann ich ihm nicht dankbar sein!«
Pierre de Brézé hatte einen Augenblick geschwankt, was er tun sollte. Er schwankte zwischen der Lust, dieser dicken Frau, in der er nur eine unverschämte Dienerin sah, barsch Schweigen zu gebieten, und der Furcht, Cathérine zu mißfallen. Indes, er zog es vor, die Waffen zu strecken.
»Sie hat recht, Cathérine. Es ist besser, wenn ich Euch verlasse, wenn ich auch nicht genau verstehe, wessen sie mich bezichtigt. Ich habe nichts anderes getan, als Euch von ganzem Herzen, mit allem, was ich bin, zu lieben …«
»Das ist genau das, was ich Euch vorwerfe«, sagte Sara ernst. »Aber Ihr könnt nicht begreifen! Gute Nacht, Seigneur. Ich werde Euch hinausgeleiten!«
Cathérine ergriff die Hand des jungen Mannes.
»Verzeiht ihr dieses Übermaß an Ergebenheit, Pierre! Sie wacht ein wenig zu eifersüchtig über mich. Aber Ihr habt mir noch nichts von meiner Schwiegermutter erzählt? Wie geht es ihr?«
Brézé runzelte die Stirn. Er antwortete nicht sofort, und sein Zögern fiel Cathérine auf und beunruhigte sie.
»Sie ist doch nicht etwa krank? Was ist?«
»Nichts, auf Ehre! Gewiß, sie wirkte nicht sehr rüstig, jedoch ihre Gesundheit schien mir gut! Aber welche Schwermut! Es scheint, daß ein inneres Leid an ihrem Herzen nagt … Oh!« beeilte er sich hinzuzufügen, als er sah, daß Cathérines Augen sich mit Tränen füllten. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht.«
»Nein«, entgegnete Cathérine traurig. »Ihr habt Euch nicht getäuscht. Ein Leid nagt an ihr … und ich kenne dieses Leid. Gute Nacht, Pierre … und vielen Dank! Wir werden uns morgen wiedersehen.«
Die Lippen des jungen Mannes preßten sich auf ihre Hände, aber sie blieb kalt unter ihrer Liebkosung. Es war, als wäre die Dame de Montsalvy plötzlich ins Zimmer getreten, als sähe sie ihr Antlitz vor sich, jenen schmerzerfüllten Ausdruck, den es seit dem Tage, an dem Arnaud fortgegangen war, nicht mehr verloren hatte. Sara, die dem Gang der Gedanken auf dem wandelbaren Gesicht Cathérines folgte, zog Brézé mit sich fort.
Er ging ohne ein Wort, doch schweren Herzens, suchte noch einen Blick von ihr zu erhaschen, aber ohne Erfolg. Cathérine merkte nicht einmal, daß er gegangen war. Erst als Sara zurückkam, begriff sie, daß er nicht mehr da war, und warf der alten Freundin einen schlafwandlerischen Blick zu.
»Ist er gegangen?« Und als Sara nickte, fügte sie bissig hinzu: »Bist du jetzt zufrieden?«
»Jawohl, ich bin zufrieden! Vor allem, weil schon der bloße Name Dame Isabelles genügte, um dich abzulenken. Ich flehe dich an, Cathérine, um deinet- und unser aller willen, laß dir durch diesen jungen und verführerischen Burschen nicht den Kopf verdrehen. Glaubst du vielleicht, du könntest dich am Feuer dieser Liebe wärmen? Du wirst daran verbrennen, wenn du nicht aufpaßt …«