Sein Gesicht war vielleicht ein wenig blaß, doch seine Augen strahlten. Und wenn das Fieber zweifellos seinen Anteil an der ungewöhnlichen Wärme seiner Hände hatte, die Cathérines Hände hielten, so war es sicherlich nicht die einzige Ursache.
»Ihr zögertet?« fragte er vorwurfsvoll und versuchte, sie zu sich zu ziehen. »Warum?«
Sie widerstand, plötzlich gehemmt. Das Ungewöhnliche ihrer Anwesenheit im Gemach eines Mannes wurde ihr auf einmal bewußt.
»Weil ich gar nicht hiersein dürfte. Bedenkt, was man sagen würde, wenn man mich hier überraschte! Nach allem, was gestern geschehen ist …«
»Nichts ist gestern geschehen. Ich bin eine Treppe hinuntergefallen und habe mir dabei die Schulter aufgeschlagen. Ich habe ein wenig Fieber und bin deshalb auf meinem Zimmer geblieben. Was gibt es Normaleres? Ihr habt mich besucht, barmherzig wie ein Engel, um Euch nach meinem Befinden zu erkundigen. Was gibt es Natürlicheres?«
»Und … Bernard?«
»Ist mit dem König seit heute morgen auf der Wildschweinjagd, wie Ihr zweifellos wißt. Und glaubt Ihr vielleicht, ich lasse mich durch ihn einschüchtern? Setzt Euch neben mich, Ihr seid zu weit weg … Und nehmt vor allem diesen Schleier ab, der Euer entzückendes Gesicht verbirgt.«
Sie gehorchte ihm lächelnd, gerührt über dieses Verlangen eines verwöhnten Kindes, das so sehr von seiner stolz zur Schau getragenen Männlichkeit abstach.
»Da«, sagte sie. »Aber ich bleibe nur einen Augenblick. Der König wird bald zurückkehren und Bernard mit ihm.«
»Ich möchte seinen Namen nicht mehr hören, Cathérine!« rief der junge Mann, rot vor Zorn. »Ihr seid wieder frei, und er hat nichts zwischen uns zu suchen. Er hat Euch unwürdig behandelt. Er wird mir noch Rechenschaft geben müssen! … Süße Freundin«, fügte er zärtlich hinzu, als er sah, wie Cathérines Gesicht sich verfinsterte, »gebt mir das Recht, über Euch zu wachen.«
»Aber … ich hindere Euch ja nicht!« entgegnete Cathérine seufzend. »Wacht über mich, mein Freund … Ich habe es dringend nötig!«
»Und ich ersehne es mit aller Kraft! Ihr habt noch nicht begriffen, wie sehr ich Euch liebe, Cathérine, sonst hättet Ihr mir schon Euer Jawort gegeben.«
Während er sprach, zog er sie unmerklich an sich und drückte ganz zart seine Lippen auf ihre gesenkten Lider. Seine Stimme klang einschläfernd, fast schnurrend.
»Warum warten? Seit Eurer Wiederaufnahme in Gnaden gibt es hier niemand, der nicht erwartet, daß wir unsere Verlobung bekanntgeben. Selbst der König …«
»Der König ist sehr gut. Aber ich könnte nicht, so bald …«
»So bald? Viele Frauen heiraten kaum einen Monat nach dem Tod ihres Gatten wieder. So könnt ihr nicht bleiben, allein der Welt gegenüber, vergebens schön. Ihr braucht einen Degen, einen Verteidiger und einen Vater für Euer Kind.«
Seine Lippen glitten in kleinen schnellen Küssen zu denen der jungen Frau hinunter. Er riß sie leidenschaftlich an sich, und sie schloß unter seinem Kuß die Augen, eingehüllt von einem köstlichen Wohlbefinden. All ihre Traurigkeit war verflogen.
»Sagt, was Ihr gern wollt, meine Liebe«, bat er zärtlich. »Laßt mich Euch zu der Meinen machen und allen die Stirn bieten! Sagt ja, Cathérine, meine Kleine …«
Das zärtliche Wort durchbrach den Zauberkreis, in dem Cathérine sich glücklich hatte gehenlassen. Meine Kleine! So hatte Arnaud sie genannt … und mit welcher Liebe! Sie glaubte noch, die Stimme ihres Gatten zu hören, wenn er ihr diese Worte ins Ohr flüsterte. Cathérine, meine Kleine! Niemand konnte es sagen wie er … Mit plötzlich feuchten Augen, aber trockenen Lippen stammelte sie.
»Nein, es ist unmöglich!«
Sie riß sich von ihm los, zwang ihn, seine Arme von ihr zu lösen, die sie einen Augenblick zuvor so fest gedrückt hatten. Er klagte mit einem Anflug von Gereiztheit:
»Aber warum unmöglich? Warum nicht? Es würde niemand überraschen, das habe ich Euch schon gesagt! Nicht einmal Eure Familie! Selbst die Dame de Montsalvy erwartet, daß Ihr meine Frau werdet. Sie versteht, daß Ihr nicht allein bleiben könnt …«
Brüsk war Cathérine auf gestanden! Blaß bis zu den Lippen, starrte sie Pierre mit ebenso ungläubigen wie entsetzten Augen an.
»Was habt Ihr da gesagt? Habe ich richtig gehört?«
Er begann zu lachen, streckte ihr von neuem die Hände entgegen:
»Wie außer Euch Ihr seid! Mein Herz, Ihr macht aus einer ganz natürlichen Sache ein Problem und …«
»Wiederholt, was Ihr gesagt habt!« sagte Cathérine hart und bestimmt. »Was hat meine Schwiegermutter mit alldem zu tun?«
Pierre antwortete nicht sofort. Das Lächeln war von seinen Lippen geschwunden, und er runzelte leicht die Stirn.
»Ich habe nichts Besonderes gesagt! Aber was für einen Ton Ihr anschlagt, meine Teure!«
»Laßt den Ton, und um der Liebe Gottes willen antwortet mir. Was hat das mit der Dame de Montsalvy zu tun?«
»Eine Kleinigkeit nur! Ich habe Euch lediglich gesagt, sie erwartet, daß Ihr meine Frau werdet. Anläßlich meiner Reise da hinunter habe ich ihr die große Liebe gestanden, die ich für Euch empfinde, habe ihr gesagt, daß es mein glühender Wunsch sei, Euch zu heiraten, und daß ich fest glaube, den Sieg bei Euch davonzutragen. Das war normal … Ich fürchtete so sehr, sie wolle Euch zwingen, in der Erinnerung und in dieser alten Auvergne zu leben. Aber sie hat mich sehr gut verstanden …«
»Sie hat verstanden«, wiederholte Cathérine schmerzlich. »Aber was dachtet Ihr Euch eigentlich, als Ihr es wagtet, ihr das zu sagen? Wer hat Euch erlaubt, so etwas anzukündigen?«
Das aufgelöste Gesicht der jungen Frau beeindruckte Pierre. In dem instinktiven Gefühl, sich gegen eine unvorhergesehene Gefahr verteidigen zu müssen, hüllte er sich in die Steppdecke und schwang sich auf den Bettrand. Cathérine hatte sich auf eine Fußbank sinken lassen, die Augen voll zurückgehaltener Tränen, die Finger kalt und zitternd.
Sie wiederholte: »Warum … warum habt Ihr das getan? Ihr hattet nicht das Recht dazu!«
Er kniete vor ihr nieder, nahm ihre kalten Hände in die seinen.
»Cathérine«, flüsterte er, »ich verstehe Eure Betrübnis nicht. Ich gebe zu, ich war etwas zu voreilig, aber ich wollte wissen, ob Ihr keine Hindernisse haben würdet im Falle, daß Ihr einwilligtet, mich zu heiraten. Und dann, etwas früher, etwas später …«
Er war wirklich untröstlich, sie spürte es und hatte fürs erste nicht den Mut, ihm böse zu sein. Jäh aus dem Traumzustand gerissen, in dem sie seit Wochen gelebt hatte, machte sie sich nur selbst Vorwürfe … Aber sie blickte ihn mit bekümmerten Augen an:
»Und was hat meine Schwiegermutter darauf gesagt?«
»Sie hoffe, wir würden sehr glücklich sein und daß ich Euch den Rang und das Leben werde geben können, das Euch gebührt.«
»Das hat sie zu Euch gesagt?« entgegnete Cathérine mit erstickter Stimme.
»Aber ja … Ihr seht also, daß Ihr Euch um nichts Kummer macht!«
Cathérine schob die Hände zurück, die sie halten wollten, und stand auf. Sie stieß ein trockenes Lachen aus.
»Um nichts? … Hört mir genau zu, Pierre: Ihr habt kein Recht gehabt, das zu sagen, weil ich Euch nie heiraten werde! Ihr habt dieser edlen Dame grundlos Leid zugefügt.«
Mit einem Sprung stand er auf. Diesmal war er wütend und packte sie an den Schultern.
»Laßt diesen schlafwandlerischen Ton! Seht mich an! Was Ihr sagt, ist dumm! Ich habe ihr kein Leid angetan, und Ihr habt kein Recht, uns beide deswegen zu bestrafen. Das ist Überheblichkeit von Euch, Cathérine! In Wahrheit fürchtet Ihr, falsch beurteilt zu werden! Aber Ihr habt unrecht: Ihr seid frei, das habe ich Euch schon hundertmal gesagt. Euer Gatte ist tot.«
»Nein!« sagte Cathérine leidenschaftlich.