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Jetzt war es an Pierre, unter dem Schock zusammenzuzucken. Seine Hände fielen kraftlos herunter, während er die junge Frau vor ihm mit zusammengepreßten Zähnen und geballten Fäusten ansah.

»Nein? Was wollt Ihr damit sagen?«

»Nichts anderes als das, was ich sage. Wenn mein Gatte auch nach dem menschlichen Gesetz für alle Menschen dieser Welt tot ist, ist er es nicht in Gottes Augen.«

»Ich verstehe nicht … Erklärt Euch!«

Wieder einmal erzählte sie die traurige Geschichte, gestand die fürchterliche Wahrheit ein, aber je weiter sie sprach, desto mehr empfand sie eine Art von Befreiung. Es war, als streifte sie den Rausch der letzten Zeit von sich ab, den gleichermaßen romantischen wie sinnlichen Reiz, der sie für wenige Augenblicke in die Arme dieses Jungen getrieben hatte. Indem sie die lebende Wirklichkeit Arnauds bestätigte, wurde sie sich auch wieder ihrer Liebe zu ihm bewußt. Sie hatte geglaubt, sich von ihm abwenden, ihn vergessen zu können, aber nun stellte er sich von neuem, unglaublich gegenwärtig, zwischen sie und den Mann, den zu lieben sie sich eingebildet hatte. Als alles gesagt war, bohrte sie ihren veilchenblauen Blick in den Pierres.

»Das ist es! Jetzt wißt Ihr alles … Ihr wißt außerdem, daß Ihr einen großen Fehler begangen habt, als Ihr zu dieser armen Frau von Heirat spracht … aber daran bin ich ganz allein schuld. Ich hätte Euch nicht die geringsten Hoffnungen machen dürfen!«

Er wandte sich ab, zog mechanisch die rote Decke um die Lenden zusammen, die ihm wie zum Hohn hinunterzugleiten drohte, was ihm etwas Rührendes gab. Plötzlich schien er um zehn Jahre gealtert zu sein.

»Es ist mir zu spät klargeworden, Cathérine, und ich bedaure es … Das ist eine abscheuliche Geschichte! Aber ich wage, Euch zu sagen, daß dies nichts an meinem Entschluß ändert, Euch früher oder später zu heiraten … Meine Kleine … Ich werde so lange, wie es sein muß, auf Euch warten!«

»Meine Kleine!« murmelte sie. »So hat er mich genannt … Und er hat es so gut gesagt!«

Er richtete sich trotzig auf bei diesem Vergleich, der ihm zu seinem Nachteil auszufallen schien.

»Ich sage es von ganzem Herzen, Cathérine«, erklärte er in beleidigtem Ton. »Wacht auf! Ihr habt entsetzlich gelitten, aber Ihr seid jung und lebenslustig. Ihr habt Euren Gatten geliebt, wie man nur lieben kann. Aber Ihr könnt nichts mehr für ihn tun … und Ihr liebt mich!«

Worauf Cathérine zum zweitenmal mit derselben Bestimmtheit antwortete:

»Nein!«

Und als er mit verzerrtem Gesicht und einem leisen Zornesfunkeln in den Augen einen Schritt zurücktrat, wiederholte sie: »Nein, Pierre, ich liebte Euch nicht wirklich … Ich habe es einen Augenblick geglaubt, ich gebe es zu, und noch vor einer Stunde glaubte ich's. Aber ohne es zu wollen, habt Ihr mir die Augen geöffnet. Ich habe geglaubt, Euch lieben zu können, ich täuschte mich … Niemals werde ich einen anderen Mann lieben als ihn!«

»Cathérine!« murmelte er schmerzlich.

»Ihr könnt mich nicht verstehen, Pierre. Ich habe immer nur ihn geliebt, nur für ihn und durch ihn geatmet … Ich bin Fleisch von seinem Fleisch, und was immer ihm zustoßen wird, wie sehr die verfluchte Krankheit ihn auch verwüsten mag, er wird für mich stets der Unvergleichliche bleiben … der einzige Mann auf der Welt! Meine alte Sara, die mich heute morgen Euretwegen verlassen hat, hatte sich nicht getäuscht. Ich gehöre Arnaud, ihm allein … Solange noch ein Atemzug in mir lebt, wird es so sein.«

Es folgte Stille. Pierre hatte sich von ihr entfernt und trat ans Fenster. Die Sonne ging jetzt unter, das goldene Licht wurde allmählich violett. Von jenseits des Flusses erklang ein Jagdhorn, dann ein zweites, denen das Gebell einer Meute antwortete.

»Der König!« sagte Pierre mechanisch. »Er kommt zurück …«

Seine Stimme hatte einen brüchigen Klang, der Cathérine zusammenfahren ließ. Sie wandte sich ihm zu. Er sah sie nicht an … Aufrecht vor dem Fenster stehend, gegen dessen Helligkeit sich seine kräftige Gestalt scharf umrissen abhob, rührte er sich nicht. Den Kopf gesenkt, schien er nachzudenken, doch plötzlich sah Cathérine seine Schultern beben. Sie begriff, daß er weinte.

Tiefes Mitleid bemächtigte sich ihrer. Zögernd näherte sie sich ihm und hob die Hand, um sie dem jungen Mann auf die Schulter zu legen, wagte es aber nicht.

»Pierre«, murmelte sie, »ich möchte Euch keinen Schmerz zufügen.«

»Ihr könnt nichts dafür!« erwiderte er hart. Wieder breitete sich Stille über sie, dann, immer noch ohne sich umzuwenden, fragte er:

»Was werdet Ihr tun?«

»Nach Hause reisen!« antwortete sie ohne Zögern. »Nach Hause und ihnen allen sagen, daß ich mich nicht geändert habe, daß ich immer noch ›seine‹ Frau bin …«

»Und dann?« fragte er bitter. »Werdet Ihr Euch in Eure Berge einschließen, um auf den Tod zu warten?«

»Nein … Dann werde ich Arnaud aus dieser grauenhaften Leprastation herausholen, in die ich ihn habe gehen lassen müssen, werde ihn an einen zurückgezogenen, ruhigen Ort bringen und bei ihm bleiben, bis …«

Ein kalter Schauer schüttelte Brézé. Er drehte sich brüsk um und zeigte der jungen Frau sein verwüstetes Gesicht:

»Das könnt Ihr nicht tun! … Ihr habt einen Sohn, Ihr habt nicht das Recht, Selbstmord zu begehen, besonders nicht auf diese entsetzliche Art!«

»Das Leben ohne ihn ist Selbstmord … Ich habe meine Aufgabe hier erfüllt. Die Montsalvys haben sich wieder den Platz erobert, den sie nie hätten verlieren dürfen. La Trémoille ist geschlagen … Jetzt kann ich an mich denken … an ihn!«

Lautlos ging sie zur Tür und öffnete sie. Draußen wartete der Page, doch auf der Schwelle drehte sie sich um. Immer noch vor dem Fenster stehend, hob Pierre noch einmal die Arme, als wolle er sie halten.

»Cathérine«, flehte er. »Kommt zu mir zurück!«

Aber sie schüttelte den Kopf und lächelte ihm mit einer Art Zärtlichkeit zu.

»Nein, Pierre … Vergeßt mich! Es ist besser so.«

Und als fürchte sie trotz allem, sich durch diese Stimme, die sie so gefährlich aufzuwühlen vermochte, noch einmal erweichen zu lassen, wandte sie sich auf den Fersen um und lief eilends die Treppe hinunter. Als sie auf den Hof hinaustrat, kamen die Jäger eben mit schmetterndem Hörnerklang durchs Torgewölbe geritten. Mitten unter ihnen gewahrte sie den König und neben ihm die sehnige, schmale Gestalt Bernard d'Armagnacs. Er lachte. Mit einem Schlage wimmelte der weite Platz von heißem, pittoreskem Leben. Einige Damen liefen herzu, andere lehnten sich aus den Fenstern und wechselten Scherze mit den Jägern. Rufe ertönten, Gelächter erscholl. Doch diesmal hatte Cathérine kein Verlangen, sich unter sie zu mischen. Arnaud hatte sie wiedergewonnen. Zwischen ihr und diesen Leuten hatte sich eine Kluft aufgetan, zu tief, als daß sie sie überschreiten konnte. Eine einzige Hand hätte sie in diese Welt zurückführen können, von der sie sich schon gelöst fühlte. Und diese Hand hatte weder das Recht noch die Möglichkeit dazu. Aber im Grunde war dies ohne Bedeutung! Sie mußte dorthin, wo ihr Schicksal lag, und sie hatte jetzt Eile, zu den Ihren zurückzukehren.

Am nächsten Morgen verabschiedete sie sich vom König, nachdem sie nicht ohne Mühe von der Königin Maria die Erlaubnis zum Aufbruch erhalten hatte, da diese ihre Eile, den Hof zu verlassen, nicht begriff.

»Ihr seid eben erst angekommen, meine Teure!« sagte sie zu ihr. »Seid Ihr unserer schon überdrüssig?«

»Nein, Madame … aber ich sehne mich nach meinem Sohn, und ich gehöre nach Montsalvy.«

»Gut, dann geht! Aber kommt zurück, sobald es Euch mit dem Kind möglich sein wird. Ihr gehört zu meinen Ehrendamen, und der Dauphin wird bald Pagen brauchen.«

Karl VII. sagte ungefähr dasselbe zu der jungen Frau, fügte aber hinzu:

»So hübsche Frauen wie Ihr sind selten, und jetzt wollt Ihr abreisen? Was gibt es denn so Anziehendes in dieser Auvergne, daß Ihr den sehnlichen Wunsch habt, dorthin zurückzukehren?«