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Clavigo bewegt sich in höchster Verwirrung auf seinem Sessel.

Beaumarchais.

Die jüngste schlägt verschiedene ansehnliche Partien aus; ihre Neigung gegen den Menschen nimmt zu und hilft ihr die Sorge einer ungewissen Erwartung tragen; sie interessiert sich für sein Glück wie für ihr eigenes, und ermuntert ihn, das erste Blatt seiner Wochenschrift zu geben, das unter einem vielversprechenden Titel erscheint.

Clavigo ist in der entsetzlichsten Verlegenheit.

Beaumarchais ganz kalt.

Das Werk macht ein erstaunendes Glück; der König selbst, durch diese liebenswürdige Produktion ergetzt, gab dem Autor öffentliche Zeichen seiner Gnade. Man versprach ihm das erste ansehnliche Amt, das sich auftun würde. Von dem Augenblicke an entfernt er alle Nebenbuhler von seiner Geliebten, indem er ganz öffentlich sich um sie bemühte. Die Heirat verzog sich nur in Erwartung der zugesagten Versorgung. — Endlich, nach sechs Jahren Harrens, ununterbrochener Freundschaft, Beistand und Liebe von seiten des Mädchens, nach sechs Jahren Ergebenheit, Dankbarkeit, Bemühungen, heilige Versicherungen von seiten des Mannes, erscheint das Amt — und er verschwindet.

Clavigo. Es entfährt ihm ein tiefer Seufzer, den er zu verbergen sucht, und ganz außer sich ist.

Beaumarchais.

Die Sache hatte zu großes Aufsehn gemacht, als daß man die Entwicklung sollte gleichgültig angesehen haben. Ein Haus für zwei Familien war gemietet. Die ganze Stadt sprach davon. Alle Freunde waren aufs höchste aufgebracht und suchten Rache. Man wendete sich an mächtige Gönner; allein der Nichtswürdige, der nun schon in den Kabalen des Hofs initiieret war, weiß alle Bemühungen fruchtlos zu machen und geht in seiner Insolenz so weit, daß er es wagt, den Unglücklichen zu drohen, wagt, denen Freunden, die sich zu ihm begeben, ins Gesicht zu sagen: die Französinnen sollten sich in acht nehmen, er biete sie auf, ihm zu schaden, und wenn sie sich unterständen, etwas gegen ihn zu unternehmen, so wär's ihm ein leichtes, sie in einem fremden Lande zu verderben, wo sie ohne Schutz und Hülfe seien.

Das arme Mädchen fiel auf die Nachricht in Konvulsionen, die ihr den Tod drohten. In der Tiefe ihres Jammers schreibt die Ältste nach Frankreich die offenbare Beschimpfung, die ihnen angetan worden. Die Nachricht bewegt ihren Bruder aufs schrecklichste, er verlangt seinen Abschied, um in so einer verwirrten Sache selbst Rat und Hülfe zu schaffen, er ist im Fluge von Paris zu Madrid, und der Bruder — bin ich! der alles verlassen hat, Vaterland, Pflichten, Familie, Stand, Vergnügen, um in Spanien eine unschuldige, unglückliche Schwester zu rächen.

Ich komme, bewaffnet mit der besten Sache und aller Entschlossenheit, einen Verräter zu entlarven, mit blutigen Zügen seine Seele auf sein Gesicht zu zeichnen, und der Verräter — bist du!

Clavigo.

Hören Sie mich, mein Herr — Ich bin — Ich habe — Ich zweifle nicht —

Beaumarchais.

Unterbrechen Sie mich nicht. Sie haben mir nichts zu sagen und viel von mir zu hören.

Nun um einen Anfang zu machen, sein Sie so gütig, vor diesem Herrn, der expreß mit mir aus Frankreich gekommen ist, zu erklären: ob meine Schwester durch irgend eine Treulosigkeit, Leichtsinn, Schwachheit, Unart oder sonst einen Fehler diese öffentliche Beschimpfung um Sie verdient habe.

Clavigo.

Nein, mein Herr. Ihre Schwester, Donna Maria, ist ein Frauenzimmer voll Geist, Liebenswürdigkeit und Tugend.

Beaumarchais.

Hat sie Ihnen jemals seit Ihrem Umgange eine Gelegenheit gegeben, sich über sie zu beklagen, oder sie geringer zu achten?

Clavigo.

Nie! Niemals!

Beaumarchais aufstehend.

Und warum, Ungeheuer! hattest du die Grausamkeit, das Mädchen zu Tode zu quälen? Nur weil dich ihr Herz zehn andern vorzog, die alle rechtschaffner und reicher waren als du.

Clavigo.

Oh mein Herr! Wenn Sie wüßten, wie ich verhetzt worden bin, wie ich durch mancherlei Ratgeber und Umstände —

Beaumarchais.

Genug!

Zu Saint George.

Sie haben die Rechtfertigung meiner Schwester gehört; gehn Sie und breiten Sie es aus! Was ich dem Herrn weiter zu sagen habe, braucht keine Zeugen.

Clavigo steht auf. Saint George geht.

Beaumarchais.

Bleiben Sie! Bleiben Sie!

Beide setzen sich wieder.

Da wir nun so weit sind, will ich Ihnen einen Vorschlag tun, den Sie hoffentlich billigen werden.

Es ist Ihre Konvenienz und meine, daß Sie Marien nicht heiraten, und Sie fühlen wohl, daß ich nicht gekommen bin, den Komödienbruder zu machen, der den Roman entwikeln und seiner Schwester einen Mann schaffen will. Sie haben ein ehrliches Mädchen mit kaltem Blute beschimpft, weil Sie glauben, in einem fremden Lande sei sie ohne Beistand und Rächer. So handelt ein Niederträchtiger, ein Nichtswürdiger. Und also, zuvörderst erklären Sie eigenhändig, freiwillig, bei offenen Türen, in Gegenwart Ihrer Bedienten: daß Sie ein abscheulicher Mensch sind, der meine Schwester betrogen, verraten, ohne die mindeste Ursache erniedrigt hat; und mit dieser Erklärung geh ich nach Aranjuez, wo sich unser Gesandte aufhält, ich zeige sie, ich lasse sie drucken, und übermorgen ist der Hof und die Stadt davon überschwemmt. Ich habe mächtige Freunde hier, Zeit und Geld, und das alles wend' ich an, um Sie auf alle Weise aufs grausamste zu verfolgen, bis der Zorn meiner Schwester sich legt, befriedigt ist, und mir Einhalt tut.

Clavigo.

Ich tue diese Erklärung nicht.

Beaumarchais.

Das glaub ich, denn vielleicht tät ich sie an Ihrer Stelle ebensowenig. Aber hier ist das andere: Schreiben Sie nicht, so bleib ich von diesem Augenblicke bei Ihnen, ich verlasse Sie nicht, ich folge Ihnen überallhin, bis Sie, einer solchen Gesellschaft überdrüssig, hinter Buenretiro meiner loszuwerden gesucht haben. Bin ich glücklicher als Sie: ohne den Gesandten zu sehn, ohne mit einem Menschen hier gesprochen zu haben, fass' ich meine sterbende Schwester in meine Arme, hebe sie in meinen Wagen und kehre mit ihr nach Frankreich zurück. Begünstigt Sie so das Schicksal, so hab ich das Meine getan, und so lachen Sie denn auf unsere Kosten. Unterdessen das Frühstück!

Beaumarchais zieht die Schelle. Ein Bedienter bringt die Schokolade, Beaumarchais nimmt seine Tasse und geht in der anstoßenden Galerie spazieren, die Gemälde betrachtend.

Clavigo.

Luft! Luft! — Das hat dich überrascht, angepackt wie einen Knaben. — Wo bist du, Clavigo? Wie willst du das enden? — Wie kannst du das enden? — Ein schrecklicher Zustand, in den dich deine Torheit, deine Verräterei gestürzt hat!

Er greift nach dem Degen auf dem Tisch.

Ha! Kurz und gut! —

Er läßt ihn liegen. —

Und da wäre kein Weg, kein Mittel, als Tod — oder Mord, abscheulicher Mord! — Das unglückliche Mädchen ihres letzten Trostes, ihres einzigen Beistandes zu berauben, ihres Bruders! — Des edlen, braven Menschen Blut zu sehen! — Und so den doppelten unerträglichen Fluch einer vernichteten Familie auf dich zu laden! — O, das war die Aussicht nicht, als das liebenswürdige Geschöpf dich die erste Stunden ihrer Bekanntschaft mit so viel Reizen anzog! Und da du sie verließest, sahst du nicht die gräßlichen Folgen deiner Schandtat! — Welche Seligkeit wartete dein in ihren Armen! in der Freundschaft solch eines Bruders! — Marie! Marie! O daß du vergeben könntest! daß ich zu deinen Füßen das alles abweinen dürfte! — Und warum nicht? — Mein Herz geht mir über; meine Seele geht mir auf in Hoffnung! — Mein Herr!

Beaumarchais.

Was beschließen Sie?

Clavigo.

Hören Sie mich! Mein Betragen gegen Ihre Schwester ist nicht zu entschuldigen. Die Eitelkeit hat mich verführt. Ich fürchtete, meine Plane, meine Aussichten auf ein ruhmvolles Leben durch diese Heirat zugrunde zu richten. Hätte ich wissen können, daß sie so einen Bruder habe, sie würde in meinen Augen keine unbedeutende Fremde gewesen sein; ich würde die ansehnlichsten Vorteile von dieser Verbindung gehofft haben. Sie erfüllen mich, mein Herr, mit der größten Hochachtung für Sie; und indem Sie mir auf diese Weise mein Unrecht lebhaft empfinden machen, flößen Sie mir eine Begierde ein, eine Kraft, alles wieder gutzumachen.Ich werfe mich zu Ihren Füßen! Helfen Sie! Helfen Sie, wenn's möglich ist, meine Schuld austilgen und das Unglück endigen! Geben Sie mir Ihre Schwester wieder, mein Herr, geben Sie mich ihr! Wie glücklich wär ich, von Ihrer Hand eine Gattin und die Vergebung aller meiner Fehler zu erhalten!