Выбрать главу

Sie war bedächtig und beruhigend, hielt die desorganisierte Praxis zusammen. Um sie herum drängten sich diverse

Verwaltungsangestellte - einer stellte hörbar eine Liste der Sachen zusammen, die am schnellsten wiederbeschafft werden mußten, ein anderer verlangte mit leidgeprüfter Miene alle möglichen und unmöglichen Einzelheiten über den entstandenen Sachschaden für die Versicherung.

Belinda war dort, aber nicht Ken. Sie bemerkte meine Anwesenheit nach einer Weile, und eine Aufwallung von Ärger huschte über ihr schmales hübsches Gesicht. Ihr Haar war wieder straff zurückgekämmt. Kein Lippenstift.

»Was machen Sie hier?« wollte sie wissen. »Sehen Sie nicht, daß wir zu tun haben?«

»Wo ist Ken?« fragte ich.

»Er schläft. Lassen Sie ihn.«

Ich wanderte aus dem Büro und den Gang hinunter in Richtung OP. Die Tür des Röntgenraums war angelehnt: Ich schaute hinein, aber da lag kein schlafender Ken auf dem Bett.

Die Eingangstür zu den Operationsräumen war verschlossen. Statt dessen bog ich zum Hintereingang mit den Anoraks und Gummistiefeln ab und trat hinaus in den Stallbereich, und dort fand ich Ken, wie er, an die Tür der ersten Box gelehnt, zu seiner Patientin hineinschaute.

Er ließ den Kopf hängen vor Müdigkeit; die Linie des Halses und der Schultern zeigte, daß er am Ende seiner Kräfte war, und ich fragte mich, ab welchem Moment ein Körper einfach streikte.

»Wie geht’s ihr?« fragte ich, als ich bei ihm anlangte.

Er erkannte mich an der Stimme, ohne den Kopf zu drehen.

»Ach, hallo. Danke, daß Sie gekommen sind. Gott sei Dank geht’s ihr gut.«

Danach sah sie für mich nun überhaupt nicht aus. Die Tropfinfusion lief von einem Beutel an der Decke in ihren

Hals, ein weiterer Schlauch kam aus der einen Nüster, und sie trug einen Maulkorb über der Nase (damit sie nicht alles andere abriß).

»Ihr Besitzer kommt«, sagte Ken. »Carey sagt, er ist sauer.«

»Verständlich.«

Ken schüttelte müde den Kopf. »Nicht wegen ihrer Kolik. Die Gerüchte sind ihm zu Ohren gekommen. Anscheinend hat er Carey gesagt, er hätte einen anderen Chirurgen damit betrauen sollen.«

»Er wird seine Einstellung ändern müssen.«

»Er will sie sich ansehen, und er wird sie in diesem Zustand sehen. Er will, daß ich dabei bin, weil er mit mir reden muß, deshalb habe ich Sie zur Unterstützung hergebeten. Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus?«

»Sie wollten einen Zeugen, und Sie haben einen Zeugen.«

Endlich drehte er sich doch um und musterte unverhohlen mein Gesicht.

»Sie sind zu nichts verpflichtet«, sagte er.

»Es interessiert mich«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Wie alt sind Sie?«

»Gerade vierunddreißig«, antwortete er erstaunt. »Wieso?«

Ich hatte ihn erheblich älter geschätzt, aber es schien taktlos, das zu sagen. Der längliche Knochenbau und das sich lichtende Haar ließen ihn älter erscheinen; bei mir war es genau umgekehrt - mein fortgeschrittenes Dienstalter wurde regelmäßig angezweifelt.

»Ich bin knapp dreiunddreißig«, sagte ich im Gegenzug, und nach einem Moment, in dem er die unausgesprochene wie die faktische Information zur Kenntnis nahm, hielt er mir plötzlich die Hand hin. Die Gleichaltrigkeit war ein seltsames Band, aber ein eindeutig vorhandenes. Von da an waren Ken und ich zwar noch nicht enge Freunde, aber immerhin ein Team.

Hinter uns, auf der anderen Seite des Parkplatzes, hielt das geschäftige Treiben an. Der Bürocontainer war endlich zu jedermanns Zufriedenheit aufgestellt, und der Schlepper hatte sich entfernt. Leute brachten zusammengeklappte Klappstühle von einem Transporter zu dem Container, danach lange Klapptische und einen tragbaren Gasofen.

»Sofortbüro«, meinte Ken, doch es war eher eine Sofortklinik, denn was jetzt vom Spital dort hinüberzuckelte, waren die Tiere mit ihren Besitzern, nicht die Sekretärinnen und Verwaltungsangestellten.

»Oliver Quincy und Jay Jardine sind auf Hausbesuch«, sagte Ken. »Scott ist daheim und ruht sich aus. Lucy ist bei irgendwelchen Schafen. Ich bin stehend k.o. Bleiben vom ganzen Verein nur Carey und Yvonne Floyd, und eigentlich müßte ihnen eine Pflegerin zur Hand gehen, aber die ist vor einer Woche wutschnaubend abgedampft.« Er seufzte. »Ich sollte ja nicht klagen, aber wir haben einfach zuviel Arbeit.«

»Was ist mit Belinda?« fragte ich. »Die ist hier, ich habe sie gesehen.«

Er nickte. »Sie hat die drei anderen Pferde heute morgen wieder hergebracht.« Er deutete an der Boxenreihe entlang.

»Zwei von ihnen sollen heute sowieso nach Hause. Belinda kümmert sich hauptsächlich um die Stute hier, aber Carey wird sie bei sich haben wollen.«

Genau in diesem Moment erschien Belinda, um nach ihrem Schützling zu sehen, und warf mir einen gereizten Blick zu, der Ken die Stirn runzeln ließ.

»Peter hat hier nichts zu suchen«, sagte Belinda, »und wir brauchen ihn nicht.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Jedenfalls habe ich ihn hergebeten.«

Belinda verkniff sich eine bissige Antwort, öffnete mit zusammengepreßten Lippen die Tür zu der Stute und ging hinein. Über ihre Schulter sagte sie, als wäre es ihr gerade erst eingefallen: »Carey möchte, daß du quasi seit fünf Minuten vorne am Empfang bist.«

Ken schenkte ihr ein Lächeln, das ich so zärtlich nie hinbekommen hätte, und machte sich auf den Weg um das Gebäude herum, wobei er es für selbstverständlich hielt, daß ich ihn begleitete.

Statt Katzen, Hunden, dem Papagei und den diversen Besitzern waren in der Eingangshalle jetzt nur noch Carey Hewett selbst, der streitbare Feuerwehrmann, die Ärztin, die Empfangsdame und der massige Mann im Tweedanzug. Carey Hewett in seinem weißen Kittel schien mehrere Gespräche gleichzeitig zu führen, indem er nacheinander an jeden einen Satz richtete, ein grauhaariger ruhender Pol, umgeben von Hysterie.

»Yvonne, tun Sie Ihr Bestes. Nehmen Sie die Medikamente aus meinem Wagen. Ergänzen Sie sie aus der Klinikapotheke. Heute nachmittag kommt Nachschub. Nein, natürlich wissen wir nicht, wieso es abgebrannt ist. Ihre Stute hat die Operation sehr gut überstanden. Yvonne, legen Sie am besten mal los, sonst werkeln wir hier noch bis Mitternacht ... Ah, Ken, da sind Sie ja.«

Sein Blick glitt an Ken vorbei und ruhte einen Moment lang auf mir, während er sich besann. Dann nickte er mir zu und ließ meine Anwesenheit unkommentiert, wahrscheinlich wegen der anderen Stimmen, die auf ihn einredeten.

Der Feuerwehrmann gab es auf und ging. Die beiden Frauen schritten mit der tapfer ergebenen Miene derer, die den Löwen vorgeworfen werden sollen, hinaus zu dem

Container, und schließlich behauptete der aufdringliche dicke Mann das Feld allein, wandte sich rasch um und blickte Ken scharf an.

»Sind Sie Ken McClure?«

Ken bejahte.

Carey Hewett kam dem dicken Mann zuvor, als dieser gerade Luft holte und zu einer Tirade ansetzen wollte, und stellte ihn Ken vor: »Das ist der Besitzer der Stute, Wynn Lees.«

Wynn Lees.

Wieder wurden ferne Erinnerungen in mir wach. Ich wußte eine Menge über Wynn Lees, wenn es sich um den gleichen handelte. Den Wynn Lees von vor fünfundzwanzig Jahren hatte meine Mutter oft und gern als abschreckendes Beispiel herangezogen, um zu erreichen, daß ich mich besser benahm.

»Wenn du dich weiter mit dieser Gribble-Bande herumtreibst, wirst du mir noch so wie Wynn Lees.«

»Wenn du so jung schon rauchst . wenn du Insekten quälst ... wenn du klaust ... wenn du die Schule schwänzt ... wenn du Züge mit Steinen bewirfst [denn all das hatte ich getan] ... wirst du mal so werden wie Wynn Lees.«