Ich hätte ihn so nicht wiedererkannt: Sein Name allein war auf einer entlegenen Nervenbahn erhalten geblieben, um beim Druck auf den richtigen Knopf aufzuleuchten; ein Name, der nicht mit einem Gesicht verknüpft war, sondern mit Macht und Bedrohung.
Nur die Pferde selbst waren völlig unbekannt, einschließlich ihrer Abstammung; zu viele
Pferdegenerationen lagen dazwischen wie überschlagene Seiten in einem Buch. Viele Besitzer waren jedoch erkennbar dieselben, Pferdenarren und Züchter aus Leidenschaft.
Ich suchte im Programmheft nach Ronnie Upjohn, dem Besitzer, der Ken einen Prozeß angedroht hatte, weil der es gewagt hatte, mit einem ausrangierten Upjohn-Pferd zu siegen, aber er mischte heute nicht mit.
Upjohn ... und Travers. Upjohn und Travers.
Sie gingen in meinem Kopf zusammen wie Abbott und Costello, aber eindeutig ohne das Gelächter.
Ich wandte mich vom Führring ab und schlängelte mich langsam durch das Gedränge zu einem guten Beobachtungspunkt auf der Tribüne vor. Die Rennplatzbesucher hatten sich überhaupt nicht verändert: Es gab vielleicht weniger Hüte und mehr Hemden mit offenem Kragen, aber die Hersteller ihrer Mäntel und Daunenjacken waren offensichtlich weiterhin gut im Geschäft. In den Gesichtern der Wettbegierigen stand die gleiche zahlenwälzende Unruhe zu lesen, die Buchmacher schrien unter den gleichen Phantasienamensschildern ihre Offerten, die Gesprächsfetzen, die ich aufschnappte, waren ein genaues Echo der Stimmen von vor fünfundzwanzig Jahren.
». eingangs der Zielgeraden schlappgemacht .«
»... der muß das noch mal auf dem Schaukelpferd üben .«
»... als könnte er kein Wässerlein trüben ...«
»... ist doch eine verfluchte Schande ...«
». der Handikapper hat ihn umgebracht .«
Ich lächelte still in mich hinein und kam mir vor wie ein Außerirdischer, der zu einem geliebten, langvermißten
Planeten zurückgekehrt war, und weil ich nicht aufpaßte, wohin ich ging, prallte ich fast mit zwei kleinen Männern zusammen, die sich als Japaner entpuppten.
Ich bat auf englisch um Entschuldigung. Sie verbeugten sich wortlos vor mir, und ich ging weiter zur Tribüne.
Die beiden Japaner, die links unterhalb von mir auf dem Platz vor dem Waageraum standen, schauten verwirrt und hilflos drein, und mir war, als hätte ich einen von ihnen schon mal gesehen, wenn ich auch vergebens die Regierungsbeamten durchging, mit denen ich hauptsächlich verkehrt hatte. Ich zuckte die Achseln, wandte den Blick ab, sah zu, wie die Starter aufgaloppierten.
Der Jockey, der für J. Rolls Eaglewood ritt, trug Purpur und Weiß und blieb brav und langweilig die ganze Zeit in der Mitte des Feldes, während der heiße Favorit den ereignislosen Lauf bequem gewann.
Die Zuschauer spendeten tosenden Beifall, strömten von der Tribüne, um ihre Gewinne abzuholen, und als der Staub sich gelegt hatte, blickte ich dorthin, wo die Japaner gestanden hatten.
Sie waren immer noch da, wirkten immer noch ratlos, obwohl sich jetzt eine junge Frau zu ihnen gesellt hatte, die versuchte, in der Zeichensprache mit ihnen zu reden. Die schwarzen runden Häupter zusammengesteckt, berieten die beiden Männer ernst miteinander und verbeugten sich einige Male vor ihrer Begleiterin, doch es war offensichtlich, daß niemand besonders viel verstand.
Der Drang zu helfen war vermutlich tief verwurzelt. Ich schlenderte von der Tribüne hinunter und blieb ein paar Schritte vor der jungen Frau stehen, die aus der Nähe betrachtet ebenso gereizt wie überfordert aussah.
Ich sagte: »Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«
Im auswärtigen Dienst gelernt.
Sie warf mir ganz kurz einen Blick zu, der Casanova gebremst hätte, und sagte mit entschiedener Mißbilligung: »Nur wenn Sie Japanisch sprechen.«
»Tu ich ja. Deswegen habe ich gefragt.«
Sie wandte mir ihre ganze Aufmerksamkeit zu und klammerte sich bildlich gesprochen wie eine Ertrinkende an die angebotene Rettungsboje.
»Dann fragen Sie die beiden doch bitte mal, was sie wollen«, sagte sie. »Die wollen irgend etwas und können mir anscheinend nicht klarmachen, was.«
Ich verbeugte mich vor den Japanern und stellte ihnen die Frage. Das Ausmaß der Erleichterung, als sie ihre Landessprache hörten, war beinah komisch, und ihre Antwort auch. Ich verbeugte mich und zeigte ihnen, was sie suchten, und sie hasteten davon, nicht ohne im Gehen noch eine Verbeugung anzudeuten.
Die junge Frau sah ihnen verärgert, mit offenem Mund nach.
»Sie wollten aufs Klo«, sagte ich. »Es war höchste Eisenbahn.«
»Verdammt, warum haben sie das denn nicht gesagt!«
»In der Zeichensprache?« fragte ich.
Sie starrte mich an, taute dann innerlich auf und mußte lachen.
»Schönen Dank auch«, sagte sie. »Was haben Sie denn heute nachmittag noch vor?«
»Ich bleibe hier und sehe den Rennen zu.«
»Kann ich Ihnen Rauchzeichen senden?«
»Ich halte danach Ausschau«, versprach ich.
»Eigentlich bin ich mit dreien unterwegs«, sagte sie zwanglos plaudernd, indem sie mich spontan zum Freund beförderte.
»Der dritte kann Englisch. Ich führe sie seit drei Tagen in London herum. Heute morgen hat Mr. Kamato, das ist der, der Englisch kann, Dünnpfiff gekriegt. Die beiden anderen wollten sich Stratford nicht entgehen lassen, und wenn Sie jemals versucht haben, Anne Hathaways Hütte mit den Händen zu erklären, können Sie sich vorstellen, was für einen Morgen ich hinter mir habe. Die beiden sind ausgesprochen charmant und halten mich wohl für leicht debil.«
»Sind es Geschäftsleute?«
»Nein, sie gehören zum japanischen Jockey-Club.«
»Ah«, sagte ich.
»Wieso >ah<?«
»Ich glaube, ich bin einem von ihnen schon mal begegnet.«
»Wirklich? Wo denn?«
»In Japan. Ich habe da gearbeitet.«
Sie taxierte mich mit einem wachen Blick, und ich meinerseits vermerkte den kleinen Mund, die großen blauen Augen und das dichte braune Kraushaar, blond gesträhnt und in Ohrläppchenhöhe ringsherum abgeschnitten bis auf einen wimpernlangen Saum. Insgesamt wirkte das etwas flippig und puppenhaft, doch die Japaner irrten, der Verstand dahinter war kein Spielzeug.
»Ich arbeite beim britischen Jockey-Club«, sagte sie. »Ich organisiere die Besuche von hohen Tieren. Transport, Unterkunft, Touristenfallen, etcetera. Stil >Mädchen für alles<.«
Ich konnte mir Schlimmeres vorstellen, als von ihr herumgeführt zu werden.
»Ich heiße Peter«, sagte ich.
»Annabel.«
Vornamen bedeuteten lediglich, daß über den Nachmittag hinaus keine Verpflichtung bestand, erlaubten ihr aber einstweilen, etwas von ihrer Arbeitslast abzutreten. Die unausgesprochenen Signale waren wie ein Gesellschaftstanz, dachte ich, vor, zurück und eins-zweidrei. In diesem Stadium würde keiner von uns aus dem Tritt kommen.
Wir warteten auf die Rückkehr ihrer Schützlinge.
»Eigentlich sollten sie den Rennen von der Vereinsetage aus zuschauen«, sagte sie, »aber sie wollten sich unters Volk mischen. Wir hatten Drinks da oben.«
»Japaner fühlen sich in der Menge wohl.«
Sie sagte beiläufig: »Was haben Sie in Japan gemacht?«
»Fürs Auswärtige Amt gearbeitet.«
Sie zog die Nase kraus. »Als Beruf?«
»Mhm.«
»Dann kennen Sie sicher die berühmte Definition eines Diplomaten?«
Ich kannte sie. Jeder im auswärtigen Dienst kennt sie.
»Ein ehrlicher Mensch, der ins Ausland geschickt wird, um für sein Heimatland zu lügen«, zitierte ich.
Sie lächelte. »Und lügen Sie?«
»Manchmal.«
»Das Auswärtige Amt stiftet mehr Verwirrung und mehr Unruhe, als es wert ist.«