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Die Japaner kamen glücklich mit Wettscheinen wedelnd zurück, und wir gingen alle miteinander auf die Tribüne, um dem Tüchtigsten der Tüchtigen zuzuschauen. Er überlebte bis zur letzten Hürde, wo er sich dann in einem

Wirbel von Beinen überschlug.

Ich bat um Entschuldigung. Sie sagten, es sei nicht meine Schuld. Das Pferd stand auf und galoppierte reiterlos an der Tribüne vorbei, so munter, als hätte es noch gut zwei Runden drauf. Die Japaner steckten ihre wertlosen Tickets weg, zusammen mit ihren zerstörten Hoffnungen, und wollten vor dem nächsten Lauf gern hinunter zu den Hindernissen, denn sie hatten gesehen, daß andere dort auch hingingen. Ich war im Begriff, ihnen zu sagen, ich würde mitkommen, als ich Ken erblickte, der langsam für sich allein ging, in sein Programmheft schaute und unschlüssig stehenblieb.

»Ich werde hier sein, wenn Sie zurückkommen«, sagte ich hastig in zwei Sprachen, »aber jetzt muß ich mit jemand was bereden. Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment.«

Ich ließ sie mitten in der Verbeugung stehen, holte Ken ein, bevor er weiterging, und trat an seine Seite.

»Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte ich.

»Schießen Sie los.« Er hob kurz den Blick vom Programmheft.

»Allein und ungestört.«

»Aber Belinda -«

»Wenn Sie möchten, daß ich mich nützlich mache, müssen Sie schon etwas Zeit für mich erübrigen.«

»In Ordnung.« Er entschloß sich. »Gehen wir in die Bar?«

Die Bar erwies sich als mehr als ungeeignet, denn als wir den Eingang erreichten, sahen wir uns Auge in Auge J. Rolls Eaglewood gegenüber, der auf dem Weg nach draußen mit seinem Stecken angehumpelt kam.

»Tag, Sir«, sagte Ken. Ich hoffte, daß sein Zittern nur für mich erkennbar war: Die Panik wehte herüber wie ein Luftzug. Sein Drang, sich umzudrehen und wegzulaufen, hätte nicht ersichtlicher sein können.

J. Rolls blieb abrupt stehen und heftete einen bitterbösen Blick auf Kens Gesicht.

»Sie haben mein Pferd umgebracht«, sagte er.

Ken schüttelte schwach den Kopf. »Es ist gestorben. Wir konnten es nicht retten.«

»Sie haben schlicht versagt, und das lasse ich mir einfach nicht mehr bieten.«

Mager und grauhaarig, wie er war, die Haut übersät mit Altersflecken, strahlte Eaglewood von nahem doch immer noch die Macht und Bedrohlichkeit aus, die ich mit seinem Namen verband. In seiner Stimme lag das Schnarren desjenigen, der es gewohnt ist, daß man ihm aufs Wort gehorcht, und er verstand es, seine Jahre gegenüber einem Tierarzt, der nur halb so alt war wie er, punktebringend auszuspielen.

»Bis jetzt habe ich mich mit Ihnen abgefunden, weil meine Enkelin in Sie vernarrt war«, sagte er, »und auch aus Achtung vor dem Andenken Ihres Vaters, aber ich habe Carey sagen müssen, daß Sie meine Pferde niemals mehr anrühren dürfen, sonst gehe ich zu einer anderen Ärztegemeinschaft, und das würde mir nach all den Jahren leid tun, habe ich ihm gesagt, aber diese Schlachterei muß ein Ende haben.«

Es war zum Erbarmen: Ken unternahm nicht den kleinsten Versuch, sich zu rechtfertigen. Eaglewood nickte ihm kurz und grimmig zu, bedeutete ihm mit seinem Stock, aus dem Weg zu gehen, und tappelte außer Hörweite.

»Sehen Sie?« sagte Ken zitternd und so blaß wie nur je. »Ich kann’s ihm nicht mal verdenken. Das Pferd, das Donnerstag früh gestorben ist - das mit der Röhrenfraktur -, kam aus seinem Stall.«

»Es hörte sich fast so an, als wäre es nicht das erste Unglück gewesen.«

»Stimmt, war es auch nicht. Vor einem Monat ist mir eins von ihm auf dem Operationstisch gestorben, während ich es an den Atemwegen operierte. Und eines starb daheim in seiner Box ...«

Seine Stimme nahm den inzwischen vertrauten Tonfall der Verzweiflung an. »Ich mache nichts verkehrt, ich passe immer auf. Sie sind einfach gestorben.«

»Mhm. Nun, dann geben Sie mir doch mal eine vollständige chronologische Liste von allem, was schlecht ausgegangen ist. Und die Namen von sämtlichen Besitzern und Trainern und was es an Besonderem über sie zu bemerken gibt. Wenn Sie sicher sind, daß Sie gut gearbeitet haben, müssen wir eine andere Erklärung finden.«

»Was für eine Erklärung?«

»Gaunerei, oder nicht?«

»Aber das kann nicht sein. Das ist ja das Schlimme. Ich habe alles immer wieder abgeklopft. Bin alles in Gedanken durchgegangen. Es raubt mir den Schlaf ... Und was für einen Sinn hätte es, sie umzubringen?«

Ich seufzte. »Fangen wir mal mit der Liste an.«

»Dazu brauchte ich meine Berichte -« Entsetzt brach er ab.

»Meine ganzen Berichte sind verbrannt.«

Wir hatten uns vom Eingang der Bar entfernt und standen auf dem Platz vor dem Waageraum. Mir war aufgefallen, daß einige Leute Ken von der Seite ansahen, doch ich dachte, das sei vielleicht nur wegen seiner augenfälligen Verzweiflung, bis ich später erfuhr, daß

Eaglewood seine Ansichten überall breittrat.

»... ruiniert eine gute alte Praxis ...« und »... drei von meinen tot ... So geht das doch nicht weiter.« Ich fragte mich, wo die Grenze lag zwischen Meinungsäußerung und übler Nachrede.

»Es wird Zeit«, sagte ich Ken, »daß Sie aufhören, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was Sie falsch gemacht haben, und anfangen darüber nachzudenken, wie Sie vorgegangen wären, wenn Sie die Pferde, die gestorben sind, hätten töten wollen. Denken Sie über Nadel und Faden im Bauch einer Zuchtstute nach. Ja, gehen Sie alle Ihnen bekannten Möglichkeiten durch, ein Pferd umzubringen.«

»Aber ich .« Seine Stimme stockte unschlüssig.

»Wissen und Schuld sind zweierlei«, sagte ich. »Gewußt, wie man einen Dolch in den Brustkasten stößt, heißt noch nicht, daß man es getan hat.«

»Aber wenn Sie wissen, wie, dann könnten Sie es getan haben.«

»Sie kennen also Möglichkeiten.«

»Tja ... die kennt jeder Tierarzt.«

Ich sah in sein langes unglückliches Gesicht mit den kummervollen Augen und verstand seine mangelnde Bereitschaft, Informationen preiszugeben, die sich wie ein Schuldeingeständnis anhören konnten. Es war die gleiche Zurückhaltung, die ich am Abend des Brandes bemerkt hatte. Ich würde es schon aus ihm herausholen, aber je früher, desto besser und sicherer für ihn.

Über seine Schulter hinweg sah ich Belinda zielstrebig auf uns zukommen und bedauerte, daß wir nicht im Trubel der Bar untergetaucht waren.

»Stellen Sie die Liste auf«, drängte ich Ken. »Wir treffen uns morgen früh in der Klinik. Allein.«

»Wann?«

»Um acht?«

»Hm ...« Er wandte den Kopf, um zu sehen, wo ich hinschaute. Belinda hatte noch sechs Schritte zu gehen. »In Ordnung«, sagte er. »Acht.«

»Acht was?« fragte Belinda, die ihn gehört hatte.

»Die Nummer acht im nächsten Rennen«, erklärte ich.

Ken schloß die Augen.

»Was ist denn los?« fragte Belinda.

»Nichts.« Er schlug die Augen wieder auf, lächelte sie an und suchte nach seiner Brieftasche. »Sei so gut und setz doch bitte einen Fünfer auf die Acht für mich. Du weißt, mir liegt nichts dran, daß die Leute mich wetten sehen.«

»Die Acht hat keine Chance«, sagte sie.

»Trotzdem .«

»Na schön, aber du spinnst.«

Sie ging zu den Wettschaltern hinüber, und sofort sagte Ken: »Warum wollen Sie nicht, daß Belinda morgen früh dabei ist?«

»Sie sagen mehr und drücken sich klarer aus, wenn Sie allein sind. Ich kann sie dann ja immer noch nach ihren Eindrücken fragen.«

Er dachte darüber nach. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Und Sie sind ein abscheulicher Lügner.«

»Ich dachte, das könnte ich ganz gut.«

»Ich meine, Sie haben mich schockiert. So schnell!«