Выбрать главу

Der Polizist wurde wankend, schaute sich erst rasch um, und als er ringsum keine Vorgesetzten und keine mißbilligenden Mienen entdeckte, ließ er mich durch, indem er mein Überwechseln auf die andere Seite der Absperrung geflissentlich übersah. Ich ging mit Ken zu der Gruppe um Carey Hewett hinüber, der mich mit leerem Blick ansah und meine Anwesenheit nicht in Frage stellte.

Er trug legere Freizeitbekleidung - kariertes Hemd, kastanienbrauner Pullover - statt wie üblich Schlips und Kragen unter einem weißen Laborkittel. Sein Auftreten verlor dadurch einiges an Autorität, und obendrein wirkte er verwirrt und bekümmert. Er hatte offenbar keine Zeit gefunden, sich zu rasieren, schloß ich aus seinem grauen Bartschatten, und auch nicht gefrühstückt, denn er sah spitz und hungrig aus. Dieser letzte Schlag nach all den erlittenen Verlusten hatte ihn merklich altern lassen.

»Ich verstehe nicht, wie am Donnerstag so spät noch jemand in dem Gebäude gewesen sein kann«, sagte er gerade. »Als wir raus sind, ist wie üblich alles abgeschlossen worden. Und wir vermissen ja niemand. Wenn jemand in dem Gebäude war, dann war es keiner von

unseren Leuten.«

»Es könnte der Brandstifter gewesen sein«, sagte einer von den Männern aus der Gruppe. »Ist schon vorgekommen, daß Leute von einem selbstgelegten Feuer eingeschlossen worden sind.«

Der Mann war ein Polizist in Zivil, wie ich nach und nach herausfand, obwohl nach meiner Ankunft niemand richtig miteinander bekannt gemacht wurde und ich nie seinen Namen erfuhr. Daß Carey meine Anwesenheit duldete, war wie eine Empfehlung, und später meinte er denn auch, er sei ganz froh, daß Ken einen Freund habe, der ihm zur Seite stehe, und fügte kläglich hinzu, er selbst hätte auch gern jemanden, auf den er sich stützen könnte.

Offenbar befand sich gerade ein Polizeiarzt in der ausgebrannten Ruine, doch die Außen- und Innenwände würden sehr bald auf das sorgfältigste abgestützt werden müssen, da man Teile des Gebäudes mit der bloßen Hand umstoßen konnte. Ich reimte mir nach und nach zusammen, daß man die Leiche ungefähr im Bereich der einstigen Apotheke gefunden hatte und daß sie zu sehr verkohlt war, um ohne weiteres identifiziert werden zu können. Nicht einmal ihr Geschlecht war bisher bestimmt worden.

»Anscheinend haben sie die Leiche gestern abend entdeckt«, raunte mir Ken zu, »aber es wurde schon dunkel, und da das Gemäuer so wacklig ist, haben sie beschlossen, die Sache ruhen zu lassen und bei Tageslicht weiterzumachen. Also haben sie Wachtposten aufgestellt und sind heute morgen wiedergekommen, kurz bevor ich eintrudelte. So ein elender Schlamassel!«

»Es könnte schlimmer sein«, sagte ich.

»Wie meinen Sie das?«

»Der da drin ist, könnte einer von Ihnen sein. Einer von

Ihnen hätte den Brandstifter stören und dafür umgebracht werden können.«

»Schon möglich.« Der Gedanke erschreckte ihn nicht besonders. »Wenn wir Patienten in den Boxen haben, ist abends oft jemand von uns hier. Scott kam gestern alle paar Stunden her, um nach der Stute zu sehen, und ich habe dreimal nach ihr geschaut. Belinda und ich sind auf der Rückfahrt von Stratford hier vorbei und noch einmal kurz vor dem Schlafengehen. Beide Male haben wir gesehen, daß die Polizei hier war, aber ich dachte, das wäre nur, weil der Bau einsturzgefährdet ist.« Er hielt kurz inne. »Scott müßte jeden Moment auch kommen.«

»Der Stute geht es also gut?«

»Drücken Sie uns die Daumen.«

Wir verließen die Gruppe und gingen zu den beiden Patienten hinüber, um sie uns anzusehen. Beide schienen halb zu schlafen, so still standen sie da, lebendig und auf dem Weg der Besserung.

»Was fehlt ihm?« erkundigte ich mich nach dem Pferd neben der Stute.

»Er hatte Atemschwierigkeiten. Wenn er gefordert war, kriegte er keine Luft in die Lunge, weil sein Kehlkopf halbseitig gelähmt ist. Das kommt bei großen Pferden oft vor. Ich habe diese Seite des Kehlkopfs durch eine Naht fixiert, um sie offenzuhalten, so daß er besser atmen kann, wenn es zur Sache geht. Er hätte gestern schon heim gekonnt, aber sein Trainer ist knapp an Personal und wollte, daß er bis morgen bei uns bleibt. Er war Gott sei Dank kein Problem.«

»Haben Sie ihn hier in der Klinik operiert?«

»Klar.«

»Vollnarkose?«

»Ja. Es ist ein längerer Eingriff, fünfzig Minuten oder so. Ich habe es Mittwoch früh gemacht. Er stand seit vierzehn Tagen auf dem Terminplan. Es war kein Notfall.«

»Waren alle Pferde, die gestorben sind, Notfälle?«

Er überlegte kurz und schüttelte den Kopf. »Einer ist hier draußen nach einer gelungenen Knieoperation an Herzversagen gestorben. Simple halbstündige Arthroskopie nach Schema F. Ich habe einen Knochensplitter aus seinem Kniegelenk entfernt.«

»Er ist hier gestorben?«

Ken nickte. »Es war ein wertvoller Junghengst. Wir haben ganz besonders aufgepaßt. Scott ist nach der OP die ganze Nacht hiergeblieben, hat regelmäßig nach ihm gesehen und den Monitor beobachtet. Alles war klar mit ihm. Dann war er plötzlich tot.«

»Dafür können Sie doch nichts.«

»Erzählen Sie das mal dem Besitzer. Das Pferd war hier. Das ist das Unangenehme.«

»Hat Scott selbst gesehen, wie es tot umgefallen ist?«

»Nein, ich glaube nicht. Ehrlich gesagt glaube ich, Scott ist eingeschlafen, obwohl er das bei allen Heiligen bestreitet. Aber es ist schwer, hier die ganze Nacht wach zu bleiben, wenn sich überhaupt nichts tut. Und er hatte auch den ganzen Tag gearbeitet. Er war wach, als ich hier weggefahren bin, und das war, nachdem ich das Pferd untersucht hatte, so gegen elf. Etwa um fünf rief Scott mich entsetzt an, aber ich schätze, da war der Hengst schon ungefähr eine Stunde tot. Wir haben eine Autopsie vorgenommen«, er zuckte die Achseln, »aber einen Fehler konnten wir nicht feststellen. Sein Herz war einfach stehengeblieben.«

»Kommt das oft vor?« »Eigentlich nicht. Höchstens nach einem schweren Rennen. Da stirbt manchmal eins hinterher im Rennbahnstall.«

»Haben Sie mir die Liste zusammengestellt?«

»Bin noch nicht dazu gekommen.« Er zog seine Aufmerksamkeit von dem nicht gestorbenen Patienten ab und schien sich im Hinblick auf die, die gestorben waren, so bedeckt zu halten wie eh und je.

»Was haben Sie falsch gemacht?« sagte ich.

Er öffnete bestürzt den Mund und schloß ihn wieder.

»Nichts«, sagte er wenig überzeugend.

»Irgend etwas muß falsch gelaufen sein.«

Er bewegte den Kopf wie zu einem Nicken und überlegte es sich dann anders.

Ich sagte: »Warum erzählen Sie es mir nicht einfach?«

Er warf mir einen langen gequälten Blick zu und zuckte mit den Schultern.

»Beim ersten«, begann er zögernd, und sein langes Gesicht war unglücklich, sein Entschluß noch nicht endgültig, »beim ersten dachte ich hinterher ... ich hätte vielleicht was übersehen ... aber es schien so unlogisch ... und so oder so hätte ihn das nicht umgebracht, die Wirkung hätte irgendwann wieder nachgelassen.«

»Was denn, Ken? Was für eine Wirkung?«

»Von Atropin«, sagte er.

Ich begriff, weshalb Belinda so sicher war, daß ich mich in dem Tierärztepuzzle nicht zurechtfinden würde. Atropin war für mich bloß ein Wort, das ich schon mal gehört und nie des Nachschlagens für wert gehalten hatte.

»Ist das ein Gift?« fragte ich.

Hatte ich an ihm gezweifelt, so zweifelte er umgekehrt jetzt an mir. Er sagte nachsichtig: »Es ist Gift. Es ist Belladonna. Aber es ist auch für etwas gut. Es wirkt beruhigend. Krampflösend.«

»Führt es zum Herzstillstand?«

Er schüttelte den Kopf. »In ausreichender Menge könnte es bei einem Pferd zu Ileus führen.«

Ich sah ihn an.

»Pardon. Es könnte die Darmbewegung zum Stillstand bringen. Das bedeutet >Ileus<. Bei einer genügend hohen Atropinzufuhr also würde der Darm aufhören zu arbeiten, er würde sich vor lauter Gasen und Flüssigkeit aufblähen und unerträglich weh tun, und dann bliebe nichts anderes übrig, als das Pferd zu operieren. Aber man würde keine Verwachsungen, Knickungen oder Verdrehungen vorfinden. Man könnte das Gas zu einem großen Teil ablassen ... den Darm so entleeren, wie ich es bei der Stute gemacht habe ... dann zunähen, und wenn die Atropinwirkung nachläßt, würde der Darm wieder normal arbeiten. Nur, daß es so nicht gelaufen ist. Sie sind beide in der Narkose gestorben.«