Belinda sagte verstimmt: »Wie können Sie Witze reißen, wenn irgendein armer Mensch tot da draußen liegt?«
»Dieser arme Mensch hat wahrscheinlich ein Eigentor geschossen.«
Belinda konnte Oliver offensichtlich nicht leiden, was ich ihrer gewohnheitsmäßigen Eifersucht auf jeden, der Zeit mit Ken verbrachte, anlastete.
Yvonne sagte besorgt: »Was wird denn, wenn die ganze Partnerschaft auseinanderfällt?«
Alle blickten zu ihr hin und dann schnell wieder weg, als hätten sie den gleichen Gedanken gehabt, ihn aber nicht äußern wollen.
Lucy sagte nach einer Weile beherzt: »Wir haben den Bürocontainer. Wir können neue Bestände kaufen. Das Gebäude ist versichert. Wir leben alle noch. Die Klinik steht ebenfalls noch. Carey hat das alles doch schon gesagt. Natürlich fällt die Partnerschaft nicht auseinander.«
»Wenn doch«, sagte Quincy leichthin, »stelle ich Leute ein.«
»Was soll das heißen?« fragte Lucy.
»Ich spreche von Quincy und Partnern«, erwiderte er. »Ich bin der Älteste von uns. Wir alle brauchen unsere Arbeit. Wir kennen unsere Kunden. Wenn Carey aussteigt, machen wir weiter wie bisher, aber ohne ihn. Mit mir als Seniorpartner.«
»Er steigt schon nicht aus«, sagte Lucy erregt.
Der smarte Jay Jardine sagte: »Wir können ihn zum Aussteigen bewegen. Ihm sagen, daß er zu alt ist, daß er unser Vertrauen verloren hat. Tolle Idee.«
»Die Idee ist lausig«, protestierte Ken. »Carey hat diese Praxis aufgebaut. Sie ist sein Werk.« »Ist doch normal«, sagte Oliver. »Die Jungtiere verstoßen immer den alten Bullen.«
»Das läßt der Alte sich nicht gefallen«, hielt Scott dagegen.
»Warten Sie’s ab.«
»Sie sind ein guter Pfleger«, sagte ihm Oliver. »Sie werden entscheiden müssen, ob Sie bleiben oder gehen.«
»Wir bleiben alle bei Carey«, versetzte Scott.
Olivers mild-herablassender Blick glitt von Scotts Gesicht zu dem von Ken. »Quincy und Partner«, sagte er, »können keinen in Verruf geratenen Arzt gebrauchen. Tut mir leid und alles.«
Völlige Stille trat ein, dann sagte Lucy nervös: »Soll das auch ein Witz sein?«
Oliver hätte jetzt schallend lachen und ihnen sagen können, er habe sie alle auf den Arm genommen, aber er tat es nicht.
»Wem gehört die Klinik?« fragte ich.
Alle drehten den Kopf nach mir, ebenso erstaunt darüber, daß ich etwas gesagt hatte, wie über die Frage selbst.
»Wem gehört das abgebrannte Gebäude?« setzte ich hinzu.
»Wer bekommt die Versicherungssumme?«
»Die Bank«, sagte Lucy unsicher. »Zum größten Teil.«
»Die Bank«, stimmte Ken zu. »Die hat das Geld für den Bau beider Blocks vorgeschossen. Sie ist der Hypothekengläubiger. Wir Ärzte zahlen die Hypothek in Monatsraten von unserem Gehalt ab.«
»Carey hat das alles vor Jahren organisiert«, sagte Lucy. »Damals war ich als einzige schon bei ihm. Als ich zu ihm gestoßen bin, hat er die Praxis noch von seinem Haus aus geführt, aber dann ist seine Frau gestorben, und er wollte
umziehen ... Warum fragen Sie?«
»Ich habe nur überlegt, ob vielleicht jemand besonders davon profitiert, wenn die ganze Geschichte abbrennt.«
Sie dachten darüber nach, doch man merkte, daß sie grundsätzlich an der Pflege kranker Tiere interessiert waren, nicht an finanziellem Gewinn. Selbst Oliver Quincy machte den Eindruck, als hätte er die Revolte nicht des Geldes wegen angezettelt.
Lucy schöpfte Mut aus seinem Schweigen. »Wir werden Carey fragen müssen«, sagte sie erleichtert. »Er hat immer noch die Leitung.«
Die Saat des Zweifelns war jedoch gesät: das
schließliche Ende von Careys Weg stand deutlich in den Gesichtern von Quincy und Jardine geschrieben, ansatzweise auch in dem von Yvonne Floyd, in dem ungläubigen Gesicht von Lucy Amhurst und in dem unglücklichen von Ken. Die Worte waren gesagt und ließen sich nicht mehr zurücknehmen, sie würden an ihnen zehren wie ein Krebsgeschwür und die Partnerschaft von innen her zerfressen.
Kens Aussichten waren erschreckend. Mir wurde klar, was er seit langem schon begriffen hatte. Carey konnte nicht immer und ewig zu ihm stehen, und die anderen würden ihn zwangsläufig fallenlassen. Nach einem so schmählichen Abgang würde ihn aber niemand von Rang und Namen mehr haben wollen.
Ich mußte an eine beim Auswärtigen Amt beliebte scherzhafte Formulierung denken, die auf völlig untragbare Leute gemünzt war, nämlich »abgelehnt von Lagos«. Jedes Land hatte das Recht, einen zu ihm entsandten Diplomaten abzulehnen. Kein Mensch ging freiwillig nach Lagos, denn es war der Karriere fast so unzuträglich wie Ulan Bator. Lagos mußte nehmen, was es kriegen konnte.
Für Lagos in Vorschlag gebracht und abgelehnt zu werden, das bedeutete totale Zurückweisung und endgültigen Gesichtsverlust. Berufsaussichten danach gleich Null.
Während seine fünf Partner noch schweigend ihre Zukunft überdachten, steckte Carey sein graues Haupt zur Tür herein.
»Ach, da seid ihr ja«, sagte er arglos. »Die Polizei möchte euch drüben im Container sprechen. Die haben da so eine Art Bereitschaftsraum eingerichtet, obwohl ich ihnen gesagt habe, daß wir den Platz morgen früh für die Sprechstunde brauchen.«
Seine Stimme klang müde. Er sah abgekämpft aus. Ich fragte mich, wie er sich wohl verhalten hätte, wenn er über die Unzufriedenheit unter seinen Mitarbeitern im Bild gewesen wäre - würde ihm das den Nacken gesteift haben, oder wäre er vollends zusammengebrochen? Ich sah keine vernünftige Möglichkeit, das herauszufinden.
Er, seine Partner und sein Pflegepersonal marschierten über den Asphalt, Ken als letzter. Ich ging neben Ken her und zügelte sein Tempo.
»Die Polizei wird mich wahrscheinlich rauswerfen«, sagte ich. »In dem Fall warte ich dann im Büro auf Sie. Die Sache wird langsam ernst. Sie müssen mich ohne Vorbehalte ins Bild setzen.«
»Die Sache war immer ernst«, wandte er ein.
»Dann eben todernst.«
Er schluckte, sein spitzer Adamsapfel hüpfte in dem langen blassen Hals auf und ab.
»In Ordnung«, sagte er.
Belinda blickte sich nach uns um, wartete und hakte sich bei Ken ein. Gerechterweise muß man sagen, daß sie ihr Schicksal immer noch entschlossen mit seinem verband;
sie glaubte bedingungslos und felsenfest an ihn.
Wir betraten den Container, wo ein Polizist sich die Namen geben ließ und alle bat, auf den Klappstühlen entlang den Wänden Platz zu nehmen. Ich nannte meinen Namen, setzte mich wie die anderen auch und verhielt mich so lange wie möglich still.
Der leitende Polizeibeamte, mittleren Alters, hiesiger Akzent, nüchtern-zuverlässiges Aussehen, für mich immer noch ohne Namen, sagte, er wüßte gern, wer das Hauptgebäude der Tierarztpraxis vor dem Brand am Donnerstag zuletzt verlassen habe.
Yvonne Floyd sagte, als sie um sieben gegangen sei, wäre nur Carey, der in seinem Büro gearbeitet habe, noch dagewesen.
»Um sieben?« fragte das Gesetz. »Ist das Ihre normale Zeit?«
»Wir haben montags und donnerstags von fünf bis sieben Kleintiersprechstunde. Meine ist donnerstags.«
Der Polizist sah auf den spitzengesäumten Unterrock und die langen übereinandergeschlagenen Beine und beschloß wahrscheinlich, sich einen Hund anzuschaffen. Widerstrebend wandte er den Blick ab und suchte Bestätigung bei Carey.
Ja, stimmte Carey müde zu. Donnerstag sei ein zermürbender Tag gewesen. Die Anstreicher hätten gestört. Ein Pferd sei während einer Operation gestorben. Er habe Yvonne bei der Sprechstunde geholfen, da ihnen ein Pfleger fehlte, und danach habe er noch eine Menge Anrufe und Schreibarbeit erledigen müssen. Erst nach acht sei er gegangen. Da habe er in allen Räumen nachgeschaut, um sich zu vergewissern, daß er der letzte war, sei dann hinaus und habe die Vordertür von außen abgeschlossen. Dann sei er noch in die Klinik hinübergegangen, die ebenfalls abgeschlossen gewesen sei, doch habe im Büro noch Licht gebrannt, und dann weiter zu den Stallboxen, wo er Scott angetroffen habe, der gerade nach den drei Insassen schaute. Er habe Scott gute Nacht gesagt und sei nach Hause gefahren.