Ken schüttelte den Kopf. »Alles in seinem Blut war im Bereich des Normalen, auch wenn der Blutzucker niedrig war, aber ...«
Er schwieg.
»Aber was?«
»Nun, es gab andere Dinge. Bis zu der Sehnenverletzung war es ein guter Hengst gewesen. Ein mehrmaliger Sieger. Selbst wenn die Sehne ordentlich geheilt wäre, hätte es ein Wunder gebraucht, damit er seine frühere Form wiedererlangt hätte. Ich fragte den Futtermeister, ob das Pferd versichert sei, denn die Frage stellt sich einfach, aber er wußte es nicht. Später habe ich auch den alten Eaglewood gefragt, aber er meinte, das gehe mich nichts an. Außerdem war die Herzfrequenz des Hengstes sehr hoch, bevor er starb, und er hatte Schwellungen um die Augen.«
Er schwieg. Ich sagte ihm, das müsse er erklären.
»Es sah aus, als hätte er ziemlich lange gelitten, bevor ich dort ankam. Ich dachte über Gift nach, über Mittel, die zu Krämpfen, hoher Herzfrequenz und Koma führen. Ich dachte, die Analyse eines Speziallabors würde uns Aufschluß geben, doch die hat nur Geld gekostet und nichts eingebracht. Aber Pferde sterben so nicht, ich meine, nicht unter normalen Umständen. Ich sprach mehrmals mit Carey darüber, und schließlich hat er Eaglewood selbst nach der Versicherung gefragt, doch anscheinend hatte der Besitzer den Hengst wirklich nicht versichert.«
»Aber Sie waren nicht ganz überzeugt?«
»Nun, ich meine, es war mir ein Rätsel. Ich mußte daran denken, wie es dem Hengst wohl ergangen war, bevor ihn der Futtermeister fand, ich meine, Stunde um Stunde vielleicht, während der Nacht, allein in seiner Box. Was war mit ihm, bevor er in dieses Endstadium geriet? Ich fragte mich, ob er Anfälle, den ganzen Körper erfassende Krämpfe wie ein Epileptiker erlitten hatte. Das Zittern zum Schluß war vielleicht nur der letzte Nachhall von etwas absolut Schrecklichem. Ich kann’s nicht sehen, wenn Pferde leiden ... Hatte dieser Hengst so gelitten, wie ich es mir vorstellte, und war das auf Gift zurückzuführen, dann würde ich nicht ruhen, dachte ich, bis ich den Täter vor Gericht gebracht hatte.« Er zuckte die Achseln.
»Ich habe nie jemanden vor Gericht gebracht, weil sich nicht feststellen ließ, wer es gewesen war, aber eines Morgens beim Aufwachen hatte ich die Lösung im Kopf, und ich bin sicher, daß der Hengst vorsätzlich getötet wurde, auch wenn es keinen ersichtlichen Grund dafür gab.«
»Was hat ihn denn umgebracht?« fragte ich fasziniert.
»Insulin«, sagte er, »obwohl ich es nicht beweisen kann.«
»Insulin?«
»Ja. Nun, also bei Pferden gibt es keinen Diabetes, nur ausgesprochen selten einmal, praktisch nie. Pferde werden nicht mit Insulin behandelt. Würde man einem Pferd eine starke Überdosis davon geben, fiele sein Blutzuckerspiegel katastrophal ab; es bekäme einen Insulinschock mit Krämpfen und anschließendem Koma und müßte unweigerlich sterben. Die Symptome des Hengstes stimmten damit überein. Ich begann in tiermedizinischen Fallgeschichten nach Verweisen auf Insulin zu suchen, aber viel erfährt man nirgends über den normalen Insulinhaushalt der Pferde. Da sie nicht zuckerkrank werden, besteht kein Forschungsbedarf. Ich fand aber genug, um beim nächsten Mal besser zu wissen, worauf ich bei der Blutbeschaffenheit achten muß - vorausgesetzt, es gibt ein nächstes Mal. Und ich fand heraus, daß in Amerika mit großer Wahrscheinlichkeit drei oder vier Rennpferde wegen der Versicherung auf diese Weise getötet worden sind. Ich zeigte Carey die Fallgeschichten, und beide erzählten wir Oliver, was ich dachte, damit er die Augen offenhielt, aber wir sind auf nichts Derartiges mehr gestoßen.«
»Es muß wegen der Versicherung gewesen sein«, meinte
ich grübelnd.
»Aber Eaglewood sagte doch, es war nicht versichert.«
»Hat der Hengst ihm gehört?«
»Nein. Tatsache ist, er gehörte dem Mann, dem auch die Stute gehört. Wynn Lees.«
Ich zog so scharf die Luft ein, daß er stutzte.
»Ein merkwürdiger Zufall ist es schon«, sagte er. »Aber die Stute ist nicht gestorben.«
»Ohne Sie wäre sie gestorben.«
»Haben Sie noch dieses Stück Darm?« fragte er.
»Das habe ich jetzt in die Gefriertruhe gelegt«, sagte ich.
»Oh.« Er nickte. »Gut.«
»Was wissen Sie über Wynn Lees?« fragte ich.
»Nichts weiter. Ich bin ihm Freitag morgen zum erstenmal begegnet. Warum sagten Sie mir, ich solle ihm nicht trauen?«
Ich dachte kurz daran, ihn aufzuklären, beschloß dann aber, es nicht zu tun. Noch nicht. Vielleicht fand ich einen weniger direkten Weg. Man mußte nicht schnurgerade auf jede Wahrheit zumarschieren, die es zu enthüllen galt, und wenn man eine Wahrheit ans Licht bringen konnte, ohne die eigene Rolle dabei herauszustreichen, war man bei der nächsten Gelegenheit im Vorteil.
Ken wartete auf meine Antwort.
»Instinkt«, sagte ich. »Natürliche Abneigung. Widrige Schwingungen. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Mir hat vor ihm gegraust.«
An all dem war noch so viel Wahres, daß es überzeugend klang. Ken nickte und sagte, auf ihn habe der Mann ähnlich gewirkt.
Nach einer Pause sagte ich: »Lebt Ihre Mutter noch?«
»Ja. Warum fragen Sie?«
»Ich weiß nicht ... mir ging nur durch den Kopf, ob sie eigentlich schon Gelegenheit hatte, mit Greg und Vicky zusammenzukommen. Sie hätten sich bestimmt viel zu erzählen, so kurz vor der Hochzeit. Und ich würde sie auch gern kennenlernen.«
Er sah mich mit erwachender Bestürzung an. »Verdammt, warum habe ich das nicht längst eingefädelt? Ich muß von allen guten Geistern verlassen sein. Aber ich habe ja auch so viel am Hals. Wie wär’s mit heute, zum Mittagessen?« Er streckte die Hand nach dem Telefon aus. »Ich ruf das alte Mädchen gleich an.«
»Da würde ich erst bei Belinda vorfühlen. Ehm ... ob denn auch genug zu essen da ist.«
Er warf mir einen Seitenblick zu, sah aber ein, daß es klug war, Belinda vorher zu fragen. Wer sich dann meldete, war Vicky, und sie nahm den Vorschlag begeistert auf - es sei eine reizende Idee, und sie werde Belinda sagen, es sei abgemacht. Ken legte lächelnd auf, wählte erneut und erreichte seine Mutter, deren Reaktion gedämpfter ausfiel. Ken redete ihr zu, und langsam ließ sie sich erweichen. Er werde sie abholen, versprach er, und sie anschließend nach Hause fahren, und es werde schon schiefgehen.
»Meine Mutter ist nicht so wie Vicky«, sagte er, als er den Hörer auflegte. »Sie plant gern voraus. Ich meine, mindestens Tage, wenn nicht Wochen im voraus. Sie findet, wir überstürzen die Hochzeit, aber in Wahrheit ist sie dagegen, daß ich überhaupt heirate.« Er seufzte. »Mit Belinda wird sie sich nie anfreunden. Die halbe Zeit sagt sie Miss Larch zu ihr. So sind Eltern eben!«
»Erinnern Sie sich noch an Ihren Vater?«
»Nur undeutlich. Da ich zehn war, als er starb, sollte ich mich wohl genauer an ihn erinnern, tu ich aber nicht. Ich kenne ihn von Fotos. Ich weiß, daß er mit mir gespielt hat und daß er lustig war. Ich wünschte ...« - er unterbrach sich - »... aber was nützt das schon? Ich wünschte, ich wüßte, warum er gestorben ist.«
Ich wartete schweigend, und er sagte: »Er hat sich umgebracht.« Das war offensichtlich noch immer ein wunder Punkt bei ihm. »Je älter ich werde, desto stärker habe ich das Bedürfnis zu wissen, warum. Ich wünschte, ich könnte mit ihm reden. Albern, was?«
»Nein.«
»Jedenfalls wird vieles an meiner Mutter von daher verständlich.«
»Ich werde daran denken.« Ich sah auf seinen Notizblock nieder, auf den er lediglich das Wort »Insulin« geschrieben hatte.
»Wie wär’s, wenn ich die Notizen mache, während Sie reden?«
Dankbar schob er mir Block und Kuli zu. Ich schlug eine neue Seite auf, und nach einigem Nachdenken ging er wieder zu den Vorfällen über.
»Das nächste, was ich mir nicht erklären kann, kam kurz nach Weihnachten. Es war das Pferd, das meiner Ansicht nach Atropin bekommen hat.«