»Was für ein Pferd?« fragte ich, während ich schrieb.
»Ein Rennpferd. Hürdenpferd. Trainiert von Zoe Mackintosh, draußen vor Riddlescombe.«
»Zoe Mackintosh?«
»Ziemlich viele Frauen trainieren Pferde«, merkte Ken an.
Klar, dachte ich, aber Mackintosh war in meiner dunklen Erinnerung ein Mann.
»Ist sie die Tochter eines Trainers?« fragte ich.
Ken nickte. »Ihr Vater, der alte Mac, mischt noch mit, aber sein Gedächtnis läßt nach. Zoe hat die Lizenz und tut, was sie will, wenn er nicht hinsieht. Er ist ein alter Streithahn, der ihr ständig im Nacken sitzt. Sie geht noch zu Hewett und Partnern, weil sie Carey schon ihr Leben lang kennt - er und Mac sind dicke Kumpel -, aber sie ist wegen der toten Pferde sauer auf mich, und ich kann es ihr nicht verdenken.«
»Mehr als eins?«
»Zwei. Und ich könnte schwören, beide haben Atropin bekommen. Nach dem zweiten habe ich Zoe darauf angesprochen, und sie hat mich praktisch hochkant rausgeworfen. Sehr kräftige Dame, unsere Zoe. Aber es ist nicht gut, wenn sie herumläuft und durchblicken läßt, daß ich sowohl unfähig als auch verrückt bin, und das tut sie.«
Ich dachte darüber nach.
»Hatten die beiden Pferde denselben Besitzer?« fragte ich.
»Keine Ahnung.«
»Und waren sie versichert?«
»Ich glaube nicht. Da müßten Sie Zoe oder die Besitzer fragen, und ehrlich gesagt, ich werde das nicht tun.«
»Sie haben Angst vor ihr!«
»Sie kennen sie ja auch nicht.«
»Wie hießen denn die Pferde?«
»Was für eine Frage! Man sagt mir zwar immer die Namen, aber wenn ich sie fertig behandelt habe, kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Jedenfalls selten. Nur wenn sie Spitzenklasse sind. Ich behandle Hunderte von Pferden jährlich. Sie sind unter ihrem Namen im Computer gespeichert - das heißt, sie waren -, aber um mein Gedächtnis anzukurbeln, schreibe ich was dazu, sagen wir: >Dreijährige Stute, weiße Füße, Schulterstriche< dann weiß ich sofort, um welches Pferd es sich handelt.«
»Beschreiben Sie die Atropin-Pferde.«
»Das erste, ein brauner vierjähriger Wallach mit breiter durchgehender Blesse. Das zweite ein fünfjähriger Fuchswallach, weiße Füße vorn, Laterne.«
»Okay.« Ich notierte die Beschreibungen. »Wie sind sie gestorben?«
»Kolikfälle, einer wie der andere. Wir hatten den Grimmdarm auf dem Tisch liegen, wie Sie es gesehen haben, und ich tastete den Dünndarm nach Verstopfungen ab, fand aber keine, und aus heiterem Himmel versagte ihr Herz, und ihr Blutdruck ging in den Keller. Das Alarmsignal ertönte, und wir hatten sie verloren. Aussichtslos. Aber wie ich schon sagte, das kommt mitunter vor, deshalb habe ich mir beim erstenmal nichts weiter gedacht.«
»Wie viele sind jetzt so gestorben?«
»Vier in acht Wochen.« Er schluckte. »Das ist eigentlich unmöglich.«
»Auf genau die gleiche Weise?«
»Mehr oder weniger, ja.«
»Was heißt, mehr oder weniger?«
»Es waren nicht alles Kolikoperationen. Das letzte war, wie gesagt, ein zusammengeschraubtes Röhrbein, und davor kam das Atemproblem, eine Kehlkopfkorrektur wie bei dem, das jetzt hier steht. Diese beiden gehörten Eaglewood, wie ich Ihnen in Stratford schon sagte.«
»Hm«, meinte ich und sah auf meine zunehmend chaotischen Notizen. »Wissen Sie die Reihenfolge noch genau?«
»Tja ...« Er überlegte. »Setzen Sie den Insulin-Hengst vornan, auch wenn er nicht hier im Spital gestorben ist.«
»Okay.« »Dann Zoe Mackintoshs Vierjähriger.«
»Gut.«
»Dann . Eaglewoods Kehlkopfkorrektur.«
»Okay«, sagte ich. »Nehmen Sie auch Intubationen vor? Ich weiß noch, wie es mich als Kind fasziniert hat, daß man einem Pferd ein Rohr in die Luftröhre einsetzen kann, damit es besser Luft bekommt, und daß man das Rohr mit einem Stöpsel am Hals öffnet oder verschließt wie mit einem Korken - rein zum Ausruhen, raus zum Galoppieren.«
»Ein seltener Eingriff. Es wird bei uns zwar noch manchmal gemacht, aber in Amerika dürfen intubierte Pferde nicht an Rennen teilnehmen, und hier hört das auch bald auf.«
»Und ist nicht vor langer Zeit mal ein intubiertes Pferd mit gezogenem Stöpsel hier in einen Kanal galoppiert und ertrunken?«
»Vor einer Ewigkeit«, nickte er lächelnd. »Es vergaß an der Canal Turn abzubiegen und lief in sein Verderben.«
»Derby Day II im Jahr 1930«, sagte ich tief aus dem Innern heraus.
Er war verblüfft. »Woher zum Teufel wissen Sie das?«
»Ich habe ein vorzügliches Gedächtnis für Trivialitäten.« Das sagte ich zum Scherz, aber mir war bewußt, daß es mehr oder weniger stimmte. »Und Trivialitäten«, sagte ich entschuldigend, »kommt von trivia, und trivia heißt >drei Wege< auf lateinisch. Wo immer drei Wege zusammenstießen, stellten die Römer Schilder auf und schlugen Nachrichten an. Kurze Meldungen vom Tage.«
»Jesses«, sagte Ken.
Ich lachte. »Also, was kam nach der Kehlkopfkorrektur?«
Er überlegte eine ganze Weile. »Das nächste war vermutlich Nagrebbs Springer, das Pferd mit dem Splitter im
Bein, von dem ich Ihnen erzählt habe. Es hatte sich beim Training daheim in einem Sprung verheddert, und als ich hinkam, war es noch auf der Wiese, und ein spitzes, dreißig Zentimeter langes Stück Holz steckte in seinem linken Hinterbein, über dem Sprunggelenk. Blut lief ihm am Bein hinunter, es war furchtbar erregt und versuchte sich von den zwei Leuten, die es am Halfter hielten, loszureißen. Das eine war ein Stallbursche, das andere die Tochter des Hauses, die Reiterin, und sie heulte die ganze Zeit, was ihrem Pferd auch nicht half. Pferde reagieren auf Furcht mit Furcht. Ich glaube, sie können sie riechen. Sie haben ein sehr feines Gespür. Jedenfalls hatte die Tochter Angst, es müßte eingeschläfert werden, und ihr Vater turnte herum und schrie mich an, ich solle doch was unternehmen, und regte das Pferd ebenfalls auf. Zusammen hatten sie es derart hochgeputscht, daß ich ihm erst mal ein Sedativum geben und abwarten mußte, bis es sich beruhigte, und das kam auch nicht gut an. Schließlich kriegte ich den alten Nagrebb dazu, daß er mit seiner Tochter ins Haus ging, denn der Stallbursche genügte mir völlig. Ich zog dann also den Splitter aus dem Bein und untersuchte den Schaden, der zwar beträchtlich war, aber vorwiegend muskulär. Ein paar Blutgefäße waren zerrissen, jedoch nicht die Schlagader, nicht die große Vene. Nun, ich habe die Wunde gereinigt und geflickt und sie mit einer starken Naht verschlossen. Klammern, wie ich sie bei der Stute verwendet habe, sind für solche Verletzungen nicht geeignet. Es sah alles ganz ordentlich aus. Ich sagte den Nagrebbs, das Bein würde eine Zeitlang heiß und angeschwollen sein, müßte mit Antibiotika aber zufriedenstellend heilen, und in einer Woche würde ich die Fäden ziehen. Sie wollten meine Zusicherung, daß das Bein so gut wie neu sein würde, aber wie hätte ich das versprechen können? Ich wußte es nicht. Ich hatte eher meine Zweifel daran, aber das behielt ich für mich. Ich sagte, sie sollten ihm Zeit lassen.«
Er hielt inne und dachte zurück. »Nun, wie ich schon sagte, das Bein heilte auch ganz gut. Ich fuhr mehrmals noch raus. Ich zog die Fäden. Fall abgeschlossen. Ein paar Tage drauf kriegte ich dann einen entsetzten Anruf und fuhr hin, und das untere Bein und die Fessel waren aufgeblasen wie ein Luftballon, das Pferd konnte mit dem Fuß nicht auftreten. Wir schafften es also her, und ich schnitt das Bein auf, weil ich befürchtete, die Sehnenscheide hätte sich entzündet, und wie schon gesagt, die Sehne hatte sich buchstäblich aufgelöst. Nichts mehr zu machen. Ich hatte noch nie so etwas Schlimmes gesehen. Ich ließ Carey kommen, damit er es sich ansah, weil ich dachte, Nagrebb würde ihm eher glauben als mir, denn natürlich mußten wir das Tier töten, und es war doch so ein bekanntes Springpferd. Nagrebb hatte es versichert, also teilten wir der Versicherungsgesellschaft mit, das Pferd sei nicht zu retten. Sie waren damit einverstanden, daß ich ihm die Todesspritze gab. Kurz darauf fing dann der alte Nagrebb an zu maulen, ich müsse die Fessel und die Sehne irgendwie selbst beschädigt haben, als ich die Wunde versorgte, aber ich weiß mit Sicherheit, daß das nicht zutrifft.«