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Ehe ich fuhr, beschloß ich, noch einen Abstecher zum Ortsausgang zu machen, zum Stall der Eaglewoods, und obwohl Rennstallbesuche Sonntag nachmittags tabu waren, ließ ich den Wagen draußen stehen und wanderte hinein in der Hoffnung, falls mich jemand durchs Fenster erspähte, wie ein harmloser Tourist auszusehen, der sich verlaufen hatte. Ich wollte mich nur aus Nostalgie einmal kurz umschauen, weiter nichts - nur einmal sehen, ob ich mich dann besser an den so lange schon toten Jimmy erinnern könnte.

Tatsächlich hatte ich noch keine sieben Schritte auf den Hof getan, als mir auch schon jemand gebieterisch zurief: »Hallo? Kann ich Ihnen helfen?«

Ich schwenkte herum. Die Stimme kam von einer dünnen Frau um die Vierzig in Jeans und Pullover, die auf einer Trittleiter stand und ein handgemaltes Schild an einer Stallmauer befestigte, leuchtend weiße Lettern auf frisch gebeiztem Holz: »Bitte die Pferde nicht füttern.«

»Ehm«, improvisierte ich. »Ich hatte gehofft, mit Mr. Eaglewood sprechen zu können.«

»Worüber?«

»Über eine Versicherung.« Das erste, was mir einfiel.

»Dafür haben Sie sich doch wohl eine völlig unmögliche Zeit ausgesucht. Außerdem ist unser Bedarf an Versicherungen gedeckt.« Sie betrachtete das Schild mit schräg geneigtem Kopf, nickte zufrieden und stieg die Leiter herab. Unten lehnten noch zwei gleichlautende Schilder an der Wand.

»Eine Versicherung für die Pferde«, sagte ich, schon zielbewußter.

»Gehen Sie bitte, ja? Sie verschwenden Ihre Zeit.«

Ein frischer Windhauch kühlte den dünnen Februarsonnenschein und wehte ihr das dichte hellbraune Haar übers Gesicht. Selbstsicher, ihres guten Aussehens bewußt, strich sie es zurück. Ihre Vitalität und natürliche Anziehung erzeugten ein ganz eigenes Kräftefeld. Auf mich zumindest wirkte sie sofort attraktiv. Sie versuchte die Leiter mit einer Hand zu packen und beide Schilder mit der anderen, und ich fing eines der Schilder auf, als es ihrem Griff entglitt.

»Danke«, sagte sie kurz. »Vielleicht können Sie’s mir tragen, obwohl Sie das keinen Schritt weiterbringt als bis zu der Mauer da drüben.«

Lächelnd folgte ich ihr über den Hof zu einer Stelle, wo knapp über Kopfhöhe zwei Haken in die alte Ziegelmauer geschraubt waren. Sie stellte die Leiter auf, stieg ein paar Sprossen hoch und bewegte das Schild, das sie getragen hatte, hin und her, bis die beiden Ringe auf der Rückseite in die Haken einrasteten. Als das Schild dann wie angedrückt an der Mauer hing, segnete sie es formell wieder mit einem Nicken ab und stieg herunter auf den Betonboden.

»Danke«, sagte sie. »Jetzt komme ich schon zurecht.«

»Ich bringe es dahin, wo Sie’s aufhängen wollen.«

Sie zuckte die Achseln, drehte sich um und ging mit mir durch einen Torbogen nach hinten, auf einen kleineren Hof, und sobald ich dort ankam, wußte ich wieder, wo der Heuspeicher war und wie man durch eine winzige Falltür auf einen Dachboden gelangte und auf die Stallburschen herunterschauen konnte, die nicht ahnten, daß Jimmy und ich da oben waren und ihnen nachspionierten. Sie machten nie etwas Schlimmeres, als in die Boxen zu pinkeln; lediglich das Geheimnis unseres Dabeiseins hatte es Jimmy und mir angetan.

Das dritte »Bitte die Pferde nicht füttern« wurde ebenfalls gut sichtbar an bereits eingeschraubten Haken aufgehängt.

»Einmal im Quartal führen Schulklassen hier Lern-projekte durch«, erklärte sie. »Wir bemühen uns zu verhindern, daß die Gören Zuckerzeug unter die Pferde verteilen. Schon weil sie dabei die Finger abgebissen kriegen können, was ich ihnen dauernd sage. Die kommen sich klug vor, wenn sie nicht hören.« Sie musterte mich von Kopf bis Fuß mit einem Blick, der wie ein Röntgenstrahl durch Fleisch und Geist zu gehen schien. »Was für eine Versicherung?«

»Lebensversicherungen für die Pferde.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das machen wir nicht. Das ist Sache der Besitzer.«

»Vielleicht würde Mr. Eaglewood -«

»Er schläft«, unterbrach sie. »Und ich bin die Geschäftsführerin. Ich verwalte die Finanzangelegenheiten. Wenn die Besitzer ihre Pferde versichern möchten, setzen wir sie mit einem Agenten in Verbindung. Sie brauchen nicht mit Mr. Eaglewood zu reden. Alles Derartige überläßt er mir.«

»Tja ... könnten Sie mir dann wohl sagen, ob Mr. Wynn Lees den Hengst versichert hatte, der vorigen September

hier im Koma gestorben ist?«

»Was?«

Ich wiederholte die Frage nicht, sondern beobachtete, wie hundertzwanzig Mutmaßungen ihr durch den Kopf sausten.

»Oder«, sagte ich, »ob das Pferd, das bei der Operation an den Luftwegen gestorben ist, von seinem Besitzer vorher versichert worden war? Und, ehm, dann die Röhrenfraktur - wie lange vor der tödlichen Operation am vorigen Donnerstag hat das Pferd sich die Verletzung zugezogen?«

Sie starrte mich sprachlos an, als traute sie ihren Ohren nicht.

»Ken McClure ist in großen Schwierigkeiten«, sagte ich, »und ich glaube nicht, daß er die selbst verschuldet hat.«

Sie fand ihre Stimme wieder, und es lag eher Neugier als Zorn darin.

»Wer sind Sie bitte?« fragte sie.

»Ein Freund von Ken.«

»Polizeibeamter?«

»Nein, bloß ein Freund. Die Polizei untersucht selten den anscheinend normalen Tod von Pferden.«

»Wie heißen Sie?«

»Peter Darwin.«

»Irgendwie verwandt mit Charles?«

»Nein.«

»Wissen Sie, wer ich bin?« fragte sie.

»Die Tochter von Mr. Eaglewood?« fragte ich langsam zurück.

Ich hielt jeden Anflug eines Lächelns aus meinem Gesicht heraus, doch sie wußte zweifellos, in welchem Ruf sie stand.

»Was Sie auch über mich gehört haben«, sagte sie streng, »ändern Sie Ihre Meinung.«

»Hab ich schon.«

Das genügte ihr anscheinend, und auf jeden Fall hatte ich die Wahrheit gesagt. Ich hatte nicht den Grips erwartet.

»Wenn Sie mit Ken bekannt sind, wissen Sie auch, daß er ein Techtelmechtel mit meiner Tochter hatte«, sagte sie.

»Er mag sie«, sagte ich.

Sie zuckte gleichmütig die Achseln. »Izzy hat sich ihm an den Hals geworfen, das arme Ding. Sie ist ja erst siebzehn, halb so alt wie er. An sich hat er sie schon anständig behandelt. Sie ist da einfach rausgewachsen.«

»Er läßt nichts auf sie kommen ... und auf Sie auch nicht.«

Das klopfte sie zwar auf zynische Untertöne ab, schien es aber gern zu hören.

»Es ist windig hier draußen«, sagte sie, »und schon Abendstallzeit, bald rücken die Burschen an und machen Radau. Mein Vater wird rauskommen. Gehen wir beide doch ins Haus, damit wir uns ungestört unterhalten können.«

Ohne auf meine Zustimmung zu warten, zog sie mit der Leiter los, stellte sie in einen Schuppen und führte mich dann nicht zu dem großen hochragenden Haupthaus, sondern zu einem zweigeschossigen separaten kleinen Flügel, in dem sie, wie sie sagte, allein wohnte.

»Izzy ist irgendwo auf einem Musiklehrgang. Sie läßt sich viel zu leicht beeindrucken. Ich rechne stündlich damit zu erfahren, daß sie den vollkommenen Mann kennengelernt hat. Den vollkommenen Mann gibt es nicht.«

In punkto Einrichtung hegte sie eine Vorliebe für antikes Holz und klassische Stoffe, erzkonservativ; kühle Farbtöne, warme Zentralheizung. An den Wänden Ölgemälde, überwiegend Pferdemotive. Insgesamt eine Atmosphäre entspannten, angestammten Wohlstands.

Sie bot mir einen Sessel an und setzte sich auf die andere Seite des Kamins, die Beine in den blauen Jeans übereinandergeschlagen, Telefon und Adreßbuch auf einem Tischchen neben sich.

»Mit Wynn Lees rede ich auf keinen Fall, wenn ich nicht muß«, sagte sie. »Wir trainieren nicht mehr für ihn, und ich will ihn nicht auf dem Hof haben. Mir ist unbegreiflich, wie mein Vater überhaupt dazu kam, den Hengst für ihn auszubilden, er kannte ja seinen Ruf. Aber der Hengst ist doch an Krämpfen gestorben, oder? Zumindest hat Ken ihn einschläfern müssen.«