Sie füllte unsere Gläser nach und redete weiter, knipste Tischlampen an und zog Vorhänge zu, als es dunkler wurde. Ich dachte, ich sollte eigentlich gehen, traf aber keine Anstalten dazu und entdeckte auch in ihrem Verhalten keine Entlassungsmanöver.
Klug ist der Mann, dachte ich, der weiß, wann er verführt wird.
Als die Flasche zur Neige ging, kam die Zeit der Entscheidung. Sie hatte keinen offenen Vorschlag gemacht, auch wenn alle erdenklichen Möglichkeiten jetzt nahezu greifbar in der Luft hingen. Ich ging in Gedanken die verschiedenen Formen verbaler Einladung durch und kam zu der, die am wenigsten sentimental, am wenigsten lüstern, am humorvollsten und am leichtesten abzulehnen war.
In der anhaltenden, von Lächeln erfüllten Stille lehnte ich mich im Sessel zurück und sagte beiläufig: »Na, wie ist es, gehn wir pudern?«
Sie lachte. »Ist das die am Auswärtigen Amt übliche Ausdrucksweise?«
»Hört man in Botschaften andauernd.«
Sie hatte schon lange die Absicht gehabt, und ich hatte sie nicht mißverstanden.
»Keine Bedingungen«, sagte sie. »Man trifft sich, man trennt sich.«
Ich nickte.
»Eins höher«, sagte sie knapp und nahm mein Glas mit. So gingen Russet Eaglewood und ich ausgiebig und bedingungslos pudern, und es stimmte alles, ein Schlüpfer war nirgends in Sicht.
Kapitel 8
Am nächsten Morgen, Montag, fuhr ich zur Klinik, um mich mit Ken im Büro zu treffen, und stellte fest, daß er fortgerufen worden war, um eine akute Hufrehe zu behandeln.
Diese Auskunft kam von Oliver Quincy, der den Platz eingenommen hatte, den er am meisten begehrte, den Polsterstuhl hinter dem Schreibtisch.
»Danach«, sagte Quincy, »steht eine Luftröhren-OP auf Kens Terminplan und heute nachmittag eine Überweisung von einer anderen Praxis, sofern die keinen Rückzieher machen - Ihre Wünsche also in Ehren, aber Sie müssen bis zur nächsten Katastrophe warten.«
Er war nicht besonders freundlich: Die trostspendende Gemütlichkeit sollte nicht an den erklärten Verbündeten des Mannes verschwendet werden, den er an die Luft zu setzen gedachte.
»Was haben Sie eigentlich gegen Ken?« fragte ich.
»Das wissen Sie doch ganz genau. Er pfuscht.«
»Er ist ein guter Chirurg.«
»War er mal.« Er starrte mich abschätzend an. »Sie haben ihn nur einmal operieren sehen. Sie wissen nichts. Sie können das nicht beurteilen. Er hätte das Röhrbein am Donnerstag nicht sterben lassen dürfen.«
»Sie waren doch dabei. Hätten Sie das verhindern können?«
»Natürlich nicht. Nicht mein Fall. Ich würde mich nicht in den Fall von jemand anders einmischen.«
»Was glauben Sie, woran das Pferd gestorben ist?«
Er starrte mich weiter an und gab keine Antwort. Wenn er
es wußte, wollte er es nicht sagen. Hatte er gewußt, wie es sich verhindern ließ, dann hatte er Ken nichts davon gesagt. Da ich keinen gesteigerten Wert auf seine Gesellschaft legte, schlenderte ich wieder hinaus auf den Parkplatz und beobachtete eine Weile das Kommen und Gehen bei der gutbesuchten Kleintiersprechstunde im Container.
Belinda arbeitete dort: Ich konnte sie in ihrem weißen Laborkittel sehen, da sie hin und wieder zum Eingang kam, um Leuten, die mit Katze oder Hund beladen waren, die Stufen hinauf- oder hinunterzuhelfen.
Die Polizei hatte auf der Rückseite des abgebrannten Gebäudes eine Schranke errichtet, um leichtsinnige Gaffer abzuschrecken. Am anderen Ende der Auffahrt suchte die Obrigkeit, wie ich sah, mit unermüdlichem Eifer noch nach Schuldbeweisen.
Drüben bei den Stallboxen wurde unter Scotts Aufsicht ein ungebärdig die Nüstern blähendes und mit dem Kopf schlagendes Pferd aus einem Transporter geladen, ein Pferd voller Schwung und Energie, das nicht im mindesten krank aussah. Ein Stallbursche brachte es in eine der leeren Boxen und sperrte es ein, ließ aber die obere Hälfte der Tür offen. Sofort erschien der Kopf des Pferdes dort, um das Treiben draußen zu beobachten.
Ich schlenderte hin, als der Transporter samt Stallbursche vom Parkplatz herunterfuhr, und fragte Scott, ob sich der Zustand der Stute weiterhin gebessert habe.
»Der geht’s gut«, sagte er. »Ihr Besitzer ist gerade bei ihr.«
»Bloß nicht!« rief ich erschrocken.
Scott, der darin keine Gefahr sah, sagte achselzuckend: »Das ist doch sein gutes Recht. Sie gehört ihm.«
Die obere Türhälfte an der Box der Stute stand ebenfalls offen, und ich ging unverzüglich hin und sah hinein.
Wynn Lees stand da und betrachtete kritisch den dicken Bauch der Stute, wobei er das Becken so vorstreckte, daß er selber einen dicken Bauch bekam. Er sah, wie sich durch meine Ankunft an der Tür das Licht änderte, und drehte sich fragend nach mir um, vorweg schon einen finsteren Ausdruck in dem fleischigen Gesicht.
Er hatte mich vom Freitag morgen nur schwach als eine Art Assistent in Erinnerung. Er brachte mich wie immer auf die Palme.
»Holen Sie Carey her«, sagte er trotzig. »Ich bin gar nicht zufrieden.«
Ich wandte mich ab und fragte Scott, wo Carey zu finden sei. Im Container, bei der Sprechstunde, sagte Scott, also ging ich dorthin und überbrachte die Botschaft.
»Was will er denn?« fragte Carey, als er mit mir zurückging.
»Er sagte, er sei nicht zufrieden.«
»Verdammte Nervensäge, daß er einfach so antanzt.«
Er trat in die Box der Stute, doch alles, was ich von der Unterhaltung mitbekam, waren Bemerkungen über die Weiterbehandlung mit Antibiotika, das Entfernen der Klammern und die näher rückende Geburt des Fohlens. Kurz darauf kamen beide Männer heraus, nicht gerade als ob sie einander besonders zugetan wären, und der eine fuhr mit seinem Rolls weg, der andere kehrte zu seinen Kranken zurück.
Scott und ich blickten über die Tür auf die Stute, die ruhig und unbekümmert wirkte, und Scott beschloß, sie in die Box am Ende der Reihe zu verlegen, damit die Beobachtungsbox für die neuen Patienten frei wurde. Ich ging mit ihm, als er das große trächtige Tier am Halfter führte, und stellte wieder eine Frage.
»Als am Donnerstag das Pferd mit dem Röhrbein starb«, sagte ich, »ist Ihnen da etwas Ungewöhnliches an der Kurve auf dem Bildschirm aufgefallen? An dem Elektrokardiogramm, meine ich.«
»Nichts, was ich nicht schon mal gesehen hätte. Nichts Beunruhigendes.«
»Hm ... und haben Sie so ein EKG schon oft gesehen?«
»Oft genug. Hören Sie«, er klang gekränkt, »will Ken vielleicht behaupten, es sei meine Schuld, daß das Pferd gestorben ist? Das muß ich ganz entschieden von mir weisen.«
Ich sagte beschwichtigend: »Ken sagt, Sie sind ein sehr guter Anästhesist.«
»Und überhaupt hat außer mir doch auch Oliver den Schirm beobachtet, wie Sie wissen.«
»Mhm.«
Ich dachte an meine eigene Wache vor dem Monitor zurück. Mich hatte nur die Stärke und Regelmäßigkeit der Herzschläge interessiert, nicht der genaue Verlauf der Kurve. Sie hätte sich schon in eine Reihe von Donald Ducks verwandeln müssen, sonst wäre mir nichts aufgefallen, und allem Anschein nach war die angenommene Veränderung so fein gewesen, daß nicht einmal Ken sie registriert hatte, bis ich Tage später seinem Gedächtnis auf die Sprünge half.
Scott führte die Stute in die Box und riegelte die untere Hälfte ihrer Tür zu, und ehe mir noch etwas einfiel, was ich ihn hätte fragen können, fegte ein kleiner unbe-schrifteter weißer Lieferwagen auf den Parkplatz und kam mit einem Ruck zum Stehen. Scott warf einen verächtlichen Blick darauf und setzte seine Muskelberge in Bewegung, um den Fahrer zu begrüßen.
»Ganz schön Zeit gelassen, was?« sagte er.
»Jetzt hören Sie mal zu, Kumpel ...« Der Fahrer sprang streitlustig heraus. »Mein Leben ist ein einziger langer Notruf, und ich hab’s gern, wenn man das anerkennt.«