Выбрать главу

Sie riegelte die Tür zur Box der Stute auf und ging hinein - und stürzte blitzartig wieder heraus, wobei sie schrie: »Ken! Ken!«

Sie lief in die Klinik zurück, und ich dachte: »O Gott, nein« und ging zu der letzten Box hinüber, um nachzusehen.

Die dicke Stute lag auf der Seite.

Da war kein keuchender Atem, kein Zucken in den Gliedmaßen. Ihr Kopf lag schlaff. Die feuchten Augen

wirkten grau und trüb, gebrochen.

Die Stute war tot.

Ken kam verzweifelt angerannt. Er fiel neben ihr auf die Knie und legte das Ohr an ihren braunen Körper, hinter der Schulter, doch man sah ihm an, daß nichts zu hören war.

Er hockte sich auf die Fersen, so bewegt, so überwältigt, als wäre sie ein Kind gewesen, und ich sah und verstand seine aufopfernde Liebe zu Pferden und die Sorge, die er ihnen angedeihen ließ, ohne doch irgendwelchen Dank dafür erwarten zu können.

Ich dachte daran, wieviel Mut es ihn gekostet hatte, diese Stute zu operieren. Dachte an das enorme Können, das er aufgeboten hatte, um ihr das Leben zu retten, in dem Bewußtsein, die eigene Zukunft aufs Spiel zu setzen. Empfand eine ohnmächtige Wut darüber, daß so viel Nervenstärke, so viel Kunstfertigkeit vergeudet worden waren. Anders als zuvor, da ich von ermordeten Pferden nur gehört, aber noch keins gesehen hatte, fühlte ich mich jetzt persönlich verpflichtet, sie zu rächen. Nicht mehr nur für Ken und meiner Mutter zu Gefallen würde ich alles tun, um den Nebel zu durchdringen, sondern auch für die Pferde selbst, die prächtigen, stummen Opfer, die sich gegen das Raubtier Mensch nicht wehren konnten.

»Sie hätte nicht sterben dürfen«, sagte Ken wie betäubt. »Sie war außer Gefahr.«

Es schien mir etwas zu früh, ihm zu sagen, ich sei anderer Meinung. Die Gefahr hatte hier viele Gesichter.

Er ließ seine Hand über die braune Flanke gleiten, stand dann auf und kniete sich wieder hin, diesmal an ihrem Kopf, zog das herabhängende Augenlid hoch, klappte das Maul auf, schaute ihr in den Rachen.

»Sie ist schon eine ganze Weile tot«, sagte er. Er erhob sich müde und zitterte wie ehedem. »Das überstehen wir nie. Das ist das endgültige Aus.«

»Es ist nicht Ihre Schuld.«

»Wie soll ich das wissen? Wie soll das irgend jemand wissen?«

Belinda, die in der Tür stand, sagte, als müsse sie sich verteidigen: »Heute mittag ging es ihr noch gut. Als wir den Luftröhren-Wallach hergebracht haben, war ich zur Kontrolle bei ihr, und da fraß sie Heu, ganz munter.«

Ken hörte nur halb zu. »Wir müssen eine Obduktion vornehmen«, sagte er dumpf. »Mal sehen, ob ich noch Blut bekomme.«

Er ging schlackernd in Richtung seines Wagens davon und kam nach einiger Zeit mit einer Tasche wieder, die Injektionsspritzen, Flaschen und einen Vorrat an Gummihandschuhen aus dem gut ausgestatteten Kofferraum enthielt.

»Ich habe übers Autotelefon die Abdecker gerufen. Sie kommen sie holen. Ich habe ihnen gesagt, daß wir eine Obduktion bei ihnen machen müssen, und dafür muß ich Carey und eine Anzahl außenstehender Tierärzte zusammentrommeln, und ich glaube auch nicht, daß ich die Obduktion selber vornehme. Ich meine . das geht wohl schlecht. Und was Wynn Lees erst sagen .« Seine Stimme brach ab; das Zittern nicht.

»Er war heute morgen hier«, sagte ich.

»Guter Gott.«

Ich schilderte, was ich von Wynn Lees’ Besuch mitbekommen hatte. »Die Stute war in Ordnung, als er wegfuhr. Danach hat Scott sie in die Endbox verlegt, und es ging ihr glänzend. Fragen Sie Carey.«

Ken blickte auf den Kadaver hinunter. »Gott weiß, was Carey dazu sagen wird.« »Wenn er vernünftig ist, wird er anfangen, sich Gedanken über Gift zu machen.«

Belinda war es, die mir vorhielt, ich würde dramatisieren, nicht Ken.

»Aber neulich«, griff er den Gedanken ohne weiteres auf, »als das Fitzwalter-Pferd hier draußen tot umfiel, waren alle Tests, die wir durchgezogen haben, negativ. Kein Gift. Es hat uns eine Menge Speziallaborkosten eingebracht und sonst gar nichts.«

»Versuchen Sie’s noch mal.«

Ohne zu antworten, zog er ein Paar Handschuhe an und versuchte mit mehreren Spritzen an verschiedenen Körperpartien der Stute Blut abzunehmen.

»Was sagten Sie noch, wie Sie einem Pferd Atropin verabreichen würden?« fragte ich.

»Spritzen oder ins Futter mischen. Aber das hier hat mit Atropin nichts zu tun.«

»Prüfen Sie ihr Futter trotzdem.«

Er nickte. »Leuchtet ein. Das Wasser auch. Belinda, sieh mal, ob du zwei fest verschließbare Gläser findest. In dem Schrank unterm Arzneischrank müßten noch Probengläser stehen.«

Belinda ging los, ohne Fragen zu stellen, war sie es doch gewohnt, im Dienst Befehle entgegenzunehmen. Ken schüttelte den Kopf bei seiner Arbeit und schimpfte leise darüber, wie schnell Blut nach dem Eintritt des Todes zerfiel.

»Und das Fohlen«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. »Solch eine Vergeudung.«

Ich fragte: »Was fangen wir mit der Nadel an, die Sie ihr aus dem Darm geschnitten haben?«

»Gott weiß. Was meinen Sie? Ist die noch wichtig?«

»Wenn Wynn Lees jemals darauf zu sprechen kommt, schon.«

»Bis jetzt hat er nichts davon gesagt.«

»Nein«, stimmte ich zu, »aber wenn er sie ihr in den Rachen geworfen hat, macht er sich bestimmt Gedanken ... Es könnte sein, daß er eines Tages noch fragt.«

»Das würde lediglich beweisen, daß er den Tod der Stute wollte und sich nach Kräften bemüht hat, sie umzubringen. Er käme vielleicht wegen Tierquälerei vor Gericht, aber ich würde nicht darauf wetten, daß er verurteilt wird. Jeder Tierarzt im Land würde bezeugen, daß Katzen und Hunde Nähnadeln verschlucken und sich die Eingeweide zusammenknäueln.«

Er begann die Fläschchen zu beschriften, die die kärglichen Blutproben enthielten.

»Ich werde jede Probe halbieren und sie an zwei verschiedene Labors schicken«, sagte er. »Doppelte Überprüfung.«

Ich nickte.

»Außerdem werden wir bei der Obduktion zig Gewebeproben von ihren Organen nehmen, und ich weiß jetzt schon, daß es wieder überhaupt nichts bringen wird, da wir nicht wissen, wonach wir suchen sollen.«

»Was für ein Pessimist Sie sind!«

»Mit gutem Grund.«

Er holte ein großes Rektalthermometer aus der Tasche und maß die Körpertemperatur, ein Mittel, so erklärte er, um die Todeszeit genauer zu bestimmen. Auf Grund ihrer Masse hielten Pferde die Körperwärme über Stunden, und das Ergebnis konnte nur annähernd sein.

Belinda kam mit zwei geeigneten Gläsern zurück, in die sie Proben füllte, einmal Wasser aus dem halb leeren Eimer und dann Heu aus dem halb leeren Netz. Es bestand kein Zweifel, daß die Stute aus diesen Quellen getrunken und gefressen hatte.

Scott kam gleich hinter Belinda her und konnte seine Erregung nicht bezähmen, eine Mischung aus Unglauben, Wut und der Angst, verantwortlich gemacht zu werden, soweit ich es beurteilen konnte.

»Ich habe sie in die Box gebracht. Ich habe ihr auch frisches Wasser und frisches Heu vorgesetzt, und sie war putzmunter. Peter wird es euch bestätigen. Sie kann nicht tot sein.«

Niemand machte sich die Mühe, darauf hinzuweisen, daß sie es dennoch war.

Ken streifte die Handschuhe ab, packte die letzten Proben ein, klappte die Tasche zu und richtete sich zu seinen vollen einsfünfundneunzig auf.

»Wer kümmert sich um den Patienten von heute nachmittag?« fragte er. »Scott, sehen Sie sofort mal nach. Belinda, du hängst einen Tropf in die Beobachtungsbox. Wir können ihn bald hier herausschaffen, dann kann Scott ihn heute abend überwachen. Er darf nicht allein gelassen werden, und wenn ich die ganze Nacht auf einem Stuhl vor seiner Tür hocken muß.« Er warf mir einen wilden Blick zu, immer noch verstört hinter der Fassade seiner Entschlossenheit. »Ich muß es Carey sagen.«