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Ich ging mit ihm ins Büro und lauschte dem schicksalhaften Anruf. Am anderen Ende nahm Carey die Nachricht nicht mit Zorngeschrei, sondern schweigend auf.

»Carey?« sagte Ken besorgt. »Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«

Anscheinend hatte er es gehört und war sprachlos.

Ken sagte ihm, daß er mit den Abdeckern gesprochen hatte. Sagte ihm, daß er die Obduktion einem außen-stehenden Arzt zu überlassen wünschte. Sagte ihm, daß ich vorgeschlagen hätte, sie sollten nach Gift suchen.

Dieser letzte Satz rief eine scharfe Reaktion hervor, die ich nicht ganz mitbekam, die aber Ken überraschte und in Verlegenheit brachte. Er ging schnell zu der Feststellung über, daß die Stute schon mindestens zwei Stunden tot war, als Belinda sie fand. Zwei Stunden, sagte er und hatte offensichtlich gut darüber nachgedacht, das lasse einen Zeitraum möglich oder wahrscheinlich erscheinen, in dem er selbst, Carey, Belinda, Scott und Peter alle miteinander im Operationssaal mit einem langwierigen Eingriff beschäftigt gewesen seien. Wer wisse denn, sagte er, was währenddessen draußen passiert sei?

Dem folgte ein längerer Schwall von mißbilligenden Krächzlauten aus der Leitung, bis Ken schließlich sagte: »Ja. Ja, okay« und langsam den Hörer auflegte.

»Er will nicht glauben, daß jemand vorsätzlich die Stute umgebracht hat. Er meint, Sie sehen Gespenster.« Ken sah mich entschuldigend an. »Ich hätte ihm wohl nicht sagen sollen, was Sie denken.«

»Das macht nichts. Kommt er her?«

Er schüttelte den Kopf. »Er setzt die Obduktion für morgen früh an, und er benachrichtigt Wynn Lees - und ich bin heilfroh, daß mir das einer abnimmt.«

»Wynn Lees weiß es vielleicht schon.«

»Jesses«, sagte Ken.

Trotz rasendem Tempo kam ich nicht rechtzeitig zu meiner Verabredung nach London und schon gar nicht mehr zum Inseratelesen. Das Problem, daß ich mich im größten Teil Londons, wenn überhaupt, nur flüchtig auskannte, löste ich, indem ich von der M 40 kommend geradewegs in ein

Parkhaus fuhr und es einem Taxi überließ, die Draycott Avenue und >Daphne’s Restaurant< für mich zu finden, was allerdings irritierend langsam ging.

Annabel, die Tüchtige, war pünktlich gekommen. Ich kam siebzehn Minuten zu spät. Sie saß steif an einem Tisch für zwei, ein Glas Wein vor sich.

»Tut mir leid«, sagte ich und nahm den Stuhl ihr gegenüber.

»Entschuldigungen?«

»Ein totes Pferd. Hundert Meilen. Taxi-Engpaß. Stau.«

»Das soll genügen.« Der kleine Mund bog sich nach oben.

»Was für ein totes Pferd?«

Ich erzählte es ihr recht ausführlich und sicher auch zornig.

»Es kümmert Sie«, sagte sie, als ich geendet hatte.

»Ja. Wie auch immer ...«, ich tat es mit einem Kopfschütteln ab, »sind die Herren aus Fernost gut weggekommen?«

Sie bejahte das. Wir sahen uns die Speisekarte an und wählten, und ich schätzte das Ambiente und sie selber ab.

Sie war wieder in Schwarzweiß: schwarzer Rock, schwarzweiß gerautetes Harlekin-Top mit dicken schwarzen Pompons als Knöpfen vorne. Das kurz geschnittene Kraushaar, frisch gewaschen, sah flaumig aus, und sie trug leichtes Augen-Makeup und hellrosa Lippenstift. Ich wußte nicht, was für sie normal war oder wieweit sie es für den Abend getan hatte, aber das Ergebnis gefiel mir ausgesprochen gut.

Wie in Stratford errichtete sie mühelos eine neutrale Zone um sich herum, über die hinweg sie bis zu einem gewissen Grad herzlich war. Die Belustigung in ihren großen Augen war wie ein Burggraben, dachte ich, der übertriebene Aufmerksamkeiten fernhalten sollte.

Das enge Restaurant war laut und gestopft voll, eine heikle Sache für die umhereilenden Kellner mit ihren großen, in Kopfhöhe gehaltenen Tabletts.

»Glück, daß wir einen Tisch bekommen haben«, bemerkte ich, mich umschauend.

»Den hatte ich bestellt.«

Ich lächelte. Effektive Öffentlichkeitsarbeit. »Ich habe keine Ahnung, wo ich bin«, sagte ich. »Wo in London, meine ich.«

»Gleich hinter der Fulham Road, noch keine Meile von Harrod’s.« Sie betrachtete mich, den Kopf zur Seite geneigt. »Suchen Sie wirklich eine Wohnung?«

»Heute in drei Wochen«, sagte ich nickend, »fängt meine Arbeit in Whitehall an. Was müßte ich tun, wenn’s kein Gully sein soll?«

»Schwimmen Sie in Geld?«

Ich lachte. »Ich habe einen großen Karrieresprung gemacht, durch den ich jetzt halb so viel verdiene wie vorher.«

»Unmöglich.«

Ich schüttelte den Kopf. »In Tokio habe ich zu meinem Gehalt noch mal den gleichen Betrag und mehr für Lebenshaltungskosten und Aufwandsentschädigung bekommen sowie freie Kost und einen Wagen zum eigenen Gebrauch. Hier - Fehlanzeige. Wesentlich niedrigerer Lebensstandard, könnte man sagen. Drüben hatte ich diplomatische Immunität, wenn ich falsch parkte. Hier ist es mit der Immunität leider gar nichts, hier muß ich das Bußgeld bezahlen. Großbritannien ist übrigens das einzige Land auf der Welt, das seinen Diplomaten keine Diplomatenpässe ausstellt. Nicht die Spur von bevorzugter Behandlung.«

»Ihr Ärmsten.« »Mhm. Ich brauche also was, wo ich mein Haupt hinbetten kann, aber es darf nicht allzu komfortabel sein.«

»Würden Sie die Wohnung auch teilen?«

»Alles, für den Anfang.«

»Ich könnte ein paar Fühler ausstrecken.«

»Dafür wäre ich Ihnen dankbar.«

Sie aß Schnecken, sehr geschickt mit der Schneckenzange. Ich, noch immer unsicher im eigenen Land, hatte mich vorsichtshalber für Pastete und Toast entschieden.

»Haben Sie einen Nachnamen?« fragte ich beim Essen.

»Nutbourne. Sie auch?«

»Darwin. Wie derselbe, aber nicht verwandt.«

»Sie werden das bestimmt dauernd gefragt.«

»Ziemlich oft.«

»Und, hm, ist Ihr Vater so was wie ein Busfahrer?«

»Ist das wichtig?«

»Es ist nicht wichtig. Es interessiert mich nur.«

»Na gut, er ist auch Diplomat. Und Ihrer?«

Sie verspeiste die letzte Schnecke und legte Zange und Gabel ordentlich hin.

»Geistlicher«, sagte sie. Sie sah mich aufmerksam an, wartete auf eine Reaktion. Ich nahm an, daß sie überhaupt nur auf die Berufe zu sprechen gekommen war, um mir das mitzuteilen, und nicht aus Neugierde über meine Herkunft.

Ich sagte ab wägend: »Es gibt sehr gute, anständige Pfarrerstöchter.«

Sie lächelte, Lachfältchen um die Augen, der rosa Mund ein nach oben geschwungener Bogen. »Er trägt Gamaschen«, sagte sie.

»Ah. Das ist schon ernster.« Und das war es auch. Vor einem Bischof nahm man sich in acht, wenn man ein vernünftiger kleiner Legationsrat mit guten Aufstiegschancen beim Auswärtigen Amt war, und ganz besonders vor einem, der die Ansicht vertrat, daß das Auswärtige Amt mehr schadete als nützte. Eine Bischofstochter nahm man nicht auf die leichte Schulter. Das erklärte auch die Rühr-mich-nicht-an-Aura, dachte ich: Sie war anfällig für Klatsch und wollte nicht unnötig ins Gerede kommen.

»Mein Vater ist Botschafter«, sagte ich, »um ehrlich zu sein.«

»Danke«, sagte sie.

»Das bedeutet ja nicht, daß wir nicht nackt durch den Hydepark kapriolen könnten.«

»Doch«, sagte sie. »Die Kinder haften für die Tugenden der Väter genauso wie für ihre Sünden. Daran ist nicht zu rütteln.«

»Es schreckt nicht immer ab.«

»Es schreckt mich ab«, sagte sie rundheraus, »im eigenen und im Interesse meines Vaters.«

»Warum sind Sie zum Jockey-Club gegangen?« fragte ich.

Sie lächelte lebhaft. »Papas alte Seilschaft hat von meiner Existenz gehört und mich vorgeschlagen. Als sie meine Klamotten sahen, haben sie erst ein bißchen gestutzt, und sie halten auch jetzt noch höflich die Luft an. Sonst kommen wir ganz gut zurecht, weil ich meine Sache verstehe.«