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»Jetzt rechts.«

Ich bog ab.

Purpurne Wolken verdeckten die Sonne, und es begann zu regnen. Blitze jagten durch das Firmament, und der Himmel grollte über uns. Ich stellte die Scheibenwischer auf volle Geschwindigkeit, aber sie richteten nicht viel aus. Ich schaltete die Scheinwerfer ein und ging noch mehr mit dem Tempo herunter.

Ich hätte schwören können, daß ich an einem Reiter vorbeikam, der in die andere Richtung galoppierte, ganz in Grau gekleidet, den Kragen hochgeschlagen, den Kopf vor dem Regen geduckt.

Dann brach die Wolkendecke wieder auf, und wir fuhren an einer Küste entlang. Die Wogen schäumten hoch, und riesige Möwen schwebten im Tiefflug darüber hin. Der Regen hatte aufgehört, und ich schaltete Licht und Scheibenwischer aus. Die Straße bestand jetzt aus Asphalt, doch ich erkannte die Gegend nicht. Im Außenspiegel entdeckte ich keine Spur von der Stadt, die wir eben verlassen hatten. Meine Hände krampften sich um das Steuerrad, als wir an einem unerwartet aufragenden Galgen vorbeikamen, an dem ein fast zum Skelett verwester Mensch vom Wind hin und her bewegt wurde.

Random rauchte und starrte aus dem Fenster, während unsere Straße die Küste verließ und sich um einen Hügel zog. Eine grasbestandene baumlose Ebene öffnete sich zu unserer Rechten, und links stieg eine Bergkette immer höher empor. Der Himmel leuchtete in einem dunklen, aber strahlenden Blau, wie ein tiefer klarer See inmitten von Bäumen. Einen solchen Himmel hatte ich meiner Erinnerung nach noch nie gesehen.

Random öffnete das Fenster, um die Kippe fortzuwerfen. Ein eisiger Windhauch wirbelte durch das Innere des Wagens, bis er die Scheibe wieder hochgedreht hatte. Die Böe trug einen salzig-scharfen Meeresgeruch herbei.

»Alle Straßen führen nach Amber«, sagte er, als handle es sich um einen Lehrsatz.

Dabei fiel mir ein, was Flora gestern noch gesagt hatte. Ich wollte ja nicht als Dummkopf dastehen oder als jemand, der lebenswichtige Informationen für sich behält, doch als mir klar wurde, was ihre Äußerungen bedeuteten, mußte ich ihm davon berichten – zu meiner wie zu seiner Sicherheit.

»Weißt du«, begann ich, »als du neulich anriefst und ich ans Telefon kam, weil Flora nicht da war – ich glaube, da versuchte sie gerade nach Amber durchzukommen und fand die Straße blockiert.«

Darauf lachte er nur.

»Die Frau hat kaum Fantasie«, erwiderte er. »Natürlich ist die Straße in solchen Zeiten blockiert. In der letzten Phase, davon bin ich überzeugt, werden auch wir zu Fuß gehen müssen, und wir brauchen zweifellos sämtliche Kräfte und unseren ganzen Erfindungsreichtum, um ans Ziel zu gelangen, falls wir es überhaupt schaffen. Hat sie geglaubt, sie könne wie eine vornehme Prinzessin auf einem Blumenteppich zurückschreiten? Dumme Pute! Sie verdient es eigentlich nicht, zu leben, aber darüber habe ich nicht zu befinden, noch nicht.

An der Kreuzung nach rechts«, verkündete er.

Was ging hier vor? Ich wußte, daß er irgendwie verantwortlich war für die exotischen Veränderungen, die ringsum eintraten, doch ich vermochte nicht zu bestimmen, wie er das anstellte und wohin er uns brachte. Ich wußte, daß ich hinter sein Geheimnis kommen mußte, aber ich konnte ihn nicht einfach danach fragen, wenn er nicht erfahren sollte, daß ich keine Ahnung hatte. Damit hätte ich mich ihm ausgeliefert. Seine Tätigkeit schien sich auf das Rauchen und das Hinausstarren zu beschränken – doch als wir nun aus einer Senke kamen, erreichten wir eine blaue Wüste, und die Sonne schimmerte plötzlich rosa am strahlenden Himmel. Im Rückspiegel erstreckte sich die Wüste endlose Meilen hinter uns, so weit ich sehen konnte. Ein toller Trick, alle Achtung.

Dann begann der Motor auszusetzen, fing sich wieder, stotterte erneut.

Das Steuerrad verformte sich unter meinen Händen.

Es verwandelte sich in einen Halbkreis; der Sitz schien sich plötzlich weiter hinten zu befinden, der Wagen hing offenbar tiefer über der Straße, und die Windschutzscheibe war viel schräger.

Doch ich sagte nichts, auch nicht, als der lavendelfarbene Sandsturm einsetzte.

Doch als sich das Unwetter verzog, hielt ich den Atem an.

Etwa eine halbe Meile vor uns staute sich eine ungeheure Wagenreihe. Die Fahrzeuge standen still, und ich hörte sie hupen. »Langsamer«, sagte Random. »Jetzt kommt das erste –Hindernis.«

Ich gehorchte, und neue Sandwolken hüllten uns ein.

Ehe ich das Licht einschalten konnte, war die Erscheinung vorbei, und ich blinzelte mehrmals.

Die Wagen waren fort, ihre Hupen schwiegen. Aber die Straße funkelte nun ebenso wie vorhin die Bürgersteige, und ich hörte Random leise fluchen.

»Ich weiß, ich habe genauso reagiert, wie er es vorhatte, wer immer den Block errichtet hat«, sagte er. »Es ärgert mich, daß ich so gehorsam gewesen bin!«

»Eric?« fragte ich.

»Wahrscheinlich. Was meinst du? Sollen wir anhalten und es eine Zeitlang auf die harte Tour versuchen oder weiterfahren und sehen, ob noch weitere Sperren auftauchen?«

»Fahren wir ruhig ein Stück weiter. Schließlich war das erst der erste Block.«

»Gut«, sagte er, »fügte aber hinzu: »Wer weiß, wie der zweite aussieht?«

Der zweite war ein Etwas – ich weiß nicht, wie ich die Erscheinung beschreiben soll.

Das Ding sah wie ein Brennofen mit Armen aus. Es hockte mitten auf der Straße, griff sich ein Auto nach dem anderen und verschlang sie.

Ich trat auf die Bremse.

»Was ist los?« wollte Random wissen. »Fahr doch weiter! Wie kommen wir sonst daran vorbei?«

»Ich war im ersten Augenblick erschrocken«, sagte ich, und er warf mir einen seltsamen Blick zu, während zugleich der nächste Sandsturm begann.

Jetzt hatte ich etwas Falsches gesagt, das erkannte ich deutlich.

Als sich der Staub legte, rasten wir wieder auf einer leeren Straße dahin. Und in der Ferne ragten Türme auf.

»Ich glaube, jetzt habe ich ihn reingelegt«, sagte Random. »Ich habe mehrere miteinander verbunden, und jetzt haben wir wohl eine gefunden, mit der er nicht gerechnet hat. Schließlich kann niemand alle Straßen nach Amber im Auge behalten.«

»Das ist wahr«, sagte ich und hoffte den Faux Pas wiedergutmachen zu können, der seinen seltsamen Blick ausgelöst hatte.

Ich beschäftigte mich in Gedanken mit Random. Ein kleiner, schwächlich wirkender Bursche, der gestern abend in ebenso großer Gefahr gewesen war wie ich. Worin bestand seine Stärke? Und was bedeutete all das Gerede von den Schatten? Ich hatte das Gefühl, daß wir uns sogar in diesem Augenblick inmitten der Schatten bewegten, was immer sich dahinter verbergen mochte. Aber wie? Es lag an etwas, das Random tat, und da er physisch im Ruhezustand zu sein schien, da er die Hände ruhig im Schoße hatte, mußte es sich wohl um eine geistige Tätigkeit handeln. Und dabei ergab sich dieselbe Frage: Wie?

Nun, ich hatte ihn von »Additionen« und »Subtraktionen« sprechen hören, als sei das Universum, in dem wir uns bewegten, eine gewaltige Gleichung.

Mit plötzlicher Gewißheit erkannte ich, daß er auf irgendeine Weise Objekte zur ringsum sichtbaren Welt addierte oder davon abzog, um uns in eine immer genauere Ausrichtung zu jenem seltsamen Amber zu bringen, dem die Lösung dieser Gleichung galt.

Diesen Vorgang hatte auch ich einmal beherrscht. Und der Schlüssel dazu, das erkannte ich nun, lag in meiner Erinnerung an Amber.

Aber ich konnte mich nicht daran erinnern.

Die Straße beschrieb überraschend eine Kurve, die Wüste ging zu Ende und machte Feldern eines blauen Grases Platz, dessen lange Halme ziemlich scharf aussahen. Nach einiger Zeit wurde das Terrain hügelig, und am Fuß der dritten Erhebung endete das Pflaster; wir fuhren auf festgefahrener Erde weiter. Der schmale Weg wand sich zwischen größeren Erhebungen hindurch, auf denen jetzt kleinere Sträucher und Büsche mit bajonettähnlichen Dornen auftauchten.

Nachdem das etwa eine halbe Stunde lang so gegangen war, lagen die Hügel hinter uns, und wir erreichten einen Wald voller mächtiger Bäume mit rautenförmigen Blättern in herbstlicher Orange- und Purpurfärbung.