Ich spuckte aus und wurde erneut niedergeprügelt.
Ich wehrte mich jeden Meter, wurde aber aus dem Saal geschleift. Niemand sah mich dabei an, und meine letzte Erinnerung ist der Anblick Erics auf seinem Thron, wie er den Edelleuten Ambers lächelnd sein Wohlwollen aussprach.
Mir wurde angetan, was er befohlen hatte, und gnädigerweise wurde ich ohnmächtig, ehe das Werk vollendet war.
Ich habe keine Vorstellung, wieviel Zeit verstrichen war, als ich in absoluter Dunkelheit erwachte und den fürchterlichen Schmerz in meinem Kopf bewußt erlebte. Vielleicht geschah es in diesem Augenblick, daß ich den Fluch ausstieß, vielleicht hatte ich ihn aber schon vorher geäußert, als sich die weißglühenden Eisen näherten. Ich weiß es nicht mehr. Doch ich wußte, daß Eric auf dem Thron keine Ruhe finden würde, denn der Fluch eines Prinzen von Amber, in äußerstem Zorn ausgesprochen, hat stets seine Wirkung.
In der absoluten Dunkelheit meiner Zelle tastete ich im Stroh herum, und keine Tränen kamen. Das war das Schreckliche daran. Nach einer Weile – O Götter! Nur Ihr und ich wißt, wie lange es dauerte – kehrte der Schlaf zurück.
Als ich erwachte, war der Schmerz noch immer da. Ich richtete mich auf. Ich schritt meine Zelle ab. Vier Schritte breit, fünf Schritte lang. Ein stinkendes Toilettenloch im Fußboden und eine halb verfaulte Strohmatratze in einer Ecke. Die Tür wies im unteren Teil einen kleinen Schlitz auf, und dahinter befand sich ein Tablett mit einem harten Stück Brot und einer Flasche Wasser. Ich aß und trank, ohne mich erfrischt zu fühlen.
Mein Kopf schmerzte derart, daß ich keine Ruhe fand.
Ich schlief soviel ich konnte, doch niemand kam mich besuchen. Ich erwachte und kroch durch meine Zelle, tastete nach meinem Essen und verzehrte es, wenn ich etwas fand.
Nach sieben Schlafperioden waren meine Augenhöhlen frei von Schmerz. Ich haßte meinen Bruder, der nun König von Amber war.
Er hätte mich lieber umbringen sollen.
Ich fragte mich, was das Volk davon hielt, konnte mir die Reaktion aber nicht vorstellen.
Wenn die Dunkelheit schließlich auch Amber erreichte, würde Eric sein Handeln bedauern, das wußte ich – und der Gedanke tröstete mich.
Und so begannen meine Tage in der Dunkelheit, und ich hatte keine Möglichkeit, ihr Verstreichen zu messen. Selbst wenn ich noch Augen besessen hätte, wäre mir an diesem Ort der Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht bewußt geworden.
Die Zeit verging und ignorierte mich. Es gab Augenblicke, da mir am ganzen Körper der kalte Schweiß ausbrach und ich zu zittern begann. War ich nun schon Monate hier? Oder nur Stunden? Oder Wochen? Oder etwa Jahre?
Ich vergaß die Zeit. Ich schlief, schritt auf und ab (ich wußte genau, wohin ich die Füße setzen und wann ich mich umdrehen mußte) und dachte über die Dinge nach, die ich getan und nicht getan hatte. Manchmal saß ich mit untergeschlagenen Beinen da und atmete langsam und tief, leerte meinen Geist von allen Gedanken und verharrte in diesem Zustand so lange es ging. An nichts zu denken, das half mir sehr.
Eric hatte sehr schlau gehandelt. Obwohl die Fähigkeit in mir pulsierte, war sie jetzt völlig nutzlos. Ein Blinder vermag sich nicht zwischen den Schatten zu bewegen.
Mein Bart war mir inzwischen bis auf die Brust gewachsen, und mein Haar war lang.
Zuerst hatte ich ein ständiges Hungergefühl, doch nach einer Weile ließ mein Appetit nach. Manchmal war mir schwindlig, wenn ich zu schnell aufstand.
Ich konnte noch immer sehen – in meinen Alpträumen –, doch das schmerzte mich noch mehr, als wenn ich wach war.
Nach einiger Zeit schienen die Ereignisse, die zu diesem Dasein geführt hatten, sich immer mehr zu entfernen. Es war fast, als wären sie einer anderen Person zugestoßen. Und auch das stimmte.
Ich hatte erheblich an Gewicht verloren. Ich konnte mir mein Aussehen vorstellen – bleich und ausgemergelt. Ich konnte nicht einmal mehr weinen, obwohl mir einige Male danach zumute war. Mit meinen Tränendrüsen stimmte etwas nicht. Es war schlimm genug, daß ein Mensch überhaupt in diese Lage gebracht werden konnte.
Eines Tages vernahm ich ein leises Kratzen an der Tür. Ich kümmerte mich nicht darum.
Das Geräusch wiederholte sich, und ich reagierte noch immer nicht.
Dann hörte ich, wie jemand fragend meinen Namen flüsterte. Ich durchquerte die Zelle.
»Ja?« erwiderte ich.
»Ich bin’s, Rein«, sagte er. »Wie geht es dir?«
Da mußte ich lachen.
»Großartig! Einfach großartig!« sagte ich. »Jeden Abend gibt’s Steak und Champagner, und dazu Tanzmädchen. Himmel! Du müßtest mich mal besuchen!«
»Tut mir leid«, erwiderte er, »daß ich nichts für dich tun kann«, und ich spürte die Qual in seiner Stimme.
»Ich weiß«, sagte ich.
»Ich würde dir helfen, wenn ich könnte.«
»Auch das weiß ich.«
»Ich habe dir etwas mitgebracht. Hier.«
Das Türchen unten an der Zellentür knirschte leise, als es mehrmals nach innen geschoben wurde.
»Was ist das?« fragte ich.
»Ein paar saubere Kleidungsstücke«, sagte er, »und drei Laib frisches Brot und ein Stück Käse, etwas Fleisch, zwei Flaschen Wein, ein Karton Zigaretten und ein Stapel Streichhölzer.«
Die Stimme versagte mir.
»Vielen Dank, Rein. Du bist großartig. Wie hast du das nur alles geschafft?«
»Ich kenne den Wächter, der in dieser Schicht Dienst hat. Er wird mich nicht verraten. Dazu verdankt er mir zuviel.«
»Er könnte seine Schuld durch einen Alarmschrei abtragen wollen«, sagte ich. »Also laß es bei diesem einen Mal bewenden – ich weiß es zu schätzen, glaube mir. Und ich brauche dir nicht erst zu sagen, daß ich die Spuren restlos tilgen werde.«
»Ich wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickelt, Corwin.«
»Da sind wir uns ja einig. Vielen Dank, daß du an mich gedacht hast, obwohl man dir befohlen hatte, mich zu vergessen.«
»Das war leicht«, meinte er.
»Wie lange stecke ich schon in diesem Loch?«
»Vier Monate und zehn Tage«, erwiderte er.
»Was gibt es Neues in Amber?«
»Eric regiert. Das ist alles.«
»Wo ist Julian?«
»Wieder im Wald von Amber mit seiner Wache.«
»Warum?«
»In letzter Zeit sind ein paar seltsame Sachen durch die Schatten angerückt.«
»Ich verstehe. Und Caine?«
»Der ist immer noch in Amber und vergnügt sich hier. Alkohol und Mädchen.«
»Und Gérard?«
»Admiral der gesamten Flotte.«
Ich seufzte erleichtert. Ich hatte befürchtet, daß seine Zurückhaltung während der Meeresschlacht ihn bei Eric in Ungnaden gebracht haben könnte.
»Und was ist mit Random?«
»Der ist irgendwo hier im Gefängnis.«
»Was? Er wurde gefangen?«
»Ja. Er hat in Rebma das Muster abgeschritten und ist gleich darauf mit einer Armbrust hier aufgetaucht. Er hat Eric verwundet, ehe man ihn gefangennahm.«
»O wirklich? Warum hat man ihn nicht umgebracht?«
»Na ja, den Gerüchten zufolge hat er in Rebma eine Edelfrau geheiratet. Eric will zur Zeit wohl keinen Ärger mit Rebma heraufbeschwören. Moire herrscht über ein ziemlich großes Königreich, und es wird gemunkelt, daß sich Eric mit dem Gedanken trägt, ihr die Ehe anzutragen. Natürlich nur Geschwätz. Aber interessant.«
»Ja«, sagte ich.
»Dich hat sie gemocht, nicht wahr?«
»Gewissermaßen. Woher weißt du das alles?«
»Ich war dabei, als Random verurteilt wurde. Hinterher konnte ich einen Augenblick mit ihm sprechen. Lady Vialle, die sich als seine Frau ausgibt, hat gebeten, zu ihrem Mann ins Gefängnis ziehen zu dürfen. Eric weiß noch nicht recht, wie er darauf antworten soll.«
Ich dachte an das blinde Mädchen, das ich nicht kannte, und war verwundert über ihre Reaktion.