Sie spürt, wie sich neben ihr Muskeln anspannen.
»Werden Sie gehen?«
»Ich kann nicht nach Kotkhai gehen, und ich kann nicht ins Quartier gehen. Aber ich kann auch nicht hier auf dem Dach bleiben, Krishan.« Parvati setzt sich auf und horcht aufmerksam. »Wie spät ist es?«
»Halb zwölf.«
»Ich muss gehen. Mutter wird bald wieder zurück sein. Sie würde Stadt und Land nicht für eine Million Rupien verpassen wollen.« Parvati klopft sich den Gartenstaub von der Kleidung, zupft ihren Sari zurecht und wirft sich das lange glatte Haar über die Schulter. »Es tut mir leid, Krishan. Ich sollte Sie nicht mit meinen Problemen belasten. Sie müssen sich um einen Garten kümmern.«
Sie huscht barfuß durch den Dachgarten. Wenige Augenblicke später hört er die plärrende Titelmelodie von Stadt und Land durch das Treppenhaus heraufhallen. Krishan geht von Beet zu Beet, um seine wachsenden Schützlinge anzubinden.
Mr. Nandha schiebt den unangetasteten Teller von sich fort.
»Das ist braune Nahrung. Ich kann keine braune Nahrung essen.«
Mrs. Sadurbhai nimmt das Thali nicht weg, sondern bleibt resolut am Herd stehen. »Das ist gute redliche Landkost. Warum können Sie nicht essen, was ich gekocht habe? Was stimmt damit nicht?«
Mr. Nandha seufzt. »Weizen, Hülsenfrüchte, Kartoffeln. Kohlehydrate Kohlehydrate Kohlehydrate. Zwiebeln, Knoblauch-Ghee. Schwere schwere Gewürze.«
»Mein Ehemann ...«, setzt Parvati an, aber Mr. Nandha lässt sie nicht aussprechen.
»Ich halte weiße Diät. Alles ist ayurvedisch kalkuliert und balanciert. Was ist mit dem Zettel passiert, auf dem meine Diätvorschriften stehen?«
»Ach der, der ist mit der Köchin verschwunden.«
Mr. Nandha greift nach der Tischkante. Es hat sich seit langem aufgestaut, wie der Monsun, der schwer auf seine Nebenhöhlen drückt. Schon bevor Mrs. Sadurbhai wie Sajida Ranas Elitetrupp die Wohnung besetzte, schon vor der Besprechung an diesem Nachmittag, als die Realität der Politik auf seinem Pflichtbewusstsein und seinem Engagement herumtrampelte, schon bevor sich dieser Kalki-Fall entwickelte, wurde er von dem Gefühl bedrängt, dass er gegen den Wahnsinn Krieg führt, dass die Ordnung einen einzigen Kämpfer gegen das sich ausbreitende Chaos ins Feld schickt, dass alle anderen unterliegen könnten, aber einer übrig bleiben muss, der das Schwert aufnimmt, mit dem das Zeitalter Kalis zu Ende geht. Jetzt setzt sich der Kampf in seinem eigenen Zuhause fort, in seiner Küche, an seinem Esstisch, und windet sich mit blinden weißen Wurzeln um seine Ehefrau.
»Sie kommen in mein Heim, Sie stellen meinen Haushalt auf den Kopf, Sie feuern meine Köchin, Sie werfen meine Diätvorschriften weg, und ich komme von einem anstrengenden und arbeitsreichen Tag nach Hause und muss mir einen Fraß vorsetzen lassen, den ich nicht essen kann!«
»Liebster, wirklich, Mutter will doch nur helfen«, sagt Parvati, aber Mr. Nandhas Fingerknöchel sind bereits weiß geworden.
»Wo ich herkomme, hat ein Sohn Respekt vor seiner Mutter«, erwidert Mrs. Sadurbhai. »Sie haben keinen Respekt vor mir, Sie halten mich für eine dumme und abergläubische Bäuerin vom Land. Sie glauben, außer Ihnen wüsste niemand etwas, es geht nur um Sie und Ihre wichtige Arbeit und Ihre Angreez-Bildung und Ihre schreckliche, melodielose westliche Musik und Ihr fades weißes Essen, das wie Babynahrung ist und nicht für einen richtigen Mann taugt, der richtige Arbeit leistet. Sie halten sich für einen Gora, Sie glauben, Sie seien etwas Besseres als ich und als Ihre Frau, meine Tochter — ich weiß es —, aber das sind Sie nicht, und Sie sind kein Firengi. Wenn die Weißen Sie sehen könnten, würden sie Sie auslachen — schaut mal, der Babu glaubt, er sei ein Westler! Ich sage Ihnen, niemand hat auch nur den geringsten Respekt vor einem indischen Gora.«
Mr. Nandha ist erstaunt, wie bleich seine Fingerknöchel sind. Er kann die Blutgefäße unter der Haut erkennen. »Mrs. Sadurbhai, Sie sind ein Gast unter meinem Dach ...«
»Ein schönes Dach, ein von der Regierung bezahltes Dach ...«
»Ja«, sagt Mr. Nandha langsam und vorsichtig, als wäre jedes Wort ein Eimer Wasser, der aus einem Brunnen heraufgeholt wird. »Ein schönes, von der Regierung bezahltes Dach, das ich mir durch Hingabe und Pflichtbewusstsein bei meiner Arbeit verdient habe. Ein Dach, unter dem ich den Frieden, die Ruhe und den geordneten Haushalt erwarte, die mein Beruf verlangen. Sie haben keine Ahnung von dem, was ich tue. Sie verstehen nichts von den Mächten, gegen die ich kämpfe, von den Feinden, die ich jage. Geschöpfe mit den Ambitionen von Göttern, Madam. Wesen, die Sie nicht einmal ansatzweise verstehen können, die unseren Glauben an diese Welt bedrohen, und ich setze mich täglich mit ihnen auseinander. Und wenn meine schreckliche, melodielose westliche Musik, meine fade weiße Firengi-Diät, meine Köchin und meine Putzfrau mir den Frieden und die Ruhe und die häusliche Ordnung geben, damit ich die Kraft für meinen nächsten Arbeitstag habe, dann sagen Sie mir, was daran unvernünftig ist!«
»Nein«, entgegnet Mrs. Sadurbhai. Sie weiß, dass sie sich in einem Rückzugsgefecht befindet, aber sie begreift auch, dass nur ein Narr mit ungezückter Waffe stirbt. »Das Unvernünftige daran ist die Tatsache, dass ich in alldem nichts über Parvati höre.«
»Parvati, meine Blume.« Die Luft in der Küche ist träge wie Sirup. Mr. Nandha spürt die Kraft und das Gewicht jedes Wortes, jede Bewegung des Kopfes. »Bist du unglücklich? Fehlt dir irgendetwas?«
Parvati will etwas sagen, aber ihre Mutter setzt sich einfach über sie hinweg.
»Was meiner Tochter fehlt, ist etwas Anerkennung, dass sie die Frau eines hingebungsvollen und professionellen Mannes ist und nicht etwas, das sich auf dem Dach eines Häuserblocks im Stadtzentrum verstecken muss.«
»Parvati, ist das wahr?«
»Nein«, sagt sie. »Ich dachte, vielleicht ...« Wieder tritt ihre Mutter sie mit Füßen.
»Sie hätte jeden haben können, jeden — Beamte, Anwälte, Geschäftsleute, sogar Politiker. Sie hätten sie genommen und ihr ein angemessenes Heim bereitet und sie wie eine schöne Blume vorgezeigt und ihr die Dinge gegeben, die sie verdient hat.«
»Parvati, meine Liebe, ich verstehe das nicht. Ich dachte, wir wären hier glücklich.«
»Dann verstehen Sie wirklich nichts, wenn Sie nicht wissen, dass meine Tochter die Reichtümer der Mughals hätte haben können. Doch sie würde auf all das verzichten, wenn sie nur ein Kind ...«
»Mutter! Nein!«, ruft Parvati.
»... ein richtiges Kind bekommen könnte. Ein Kind, das ihrer gesellschaftlichen Stellung würdig ist. Einen wahren Erben.«
Die Luft ist immer dicker geworden. Mr. Nandha schafft es kaum, den Kopf zu Mrs. Sadurbhai zu drehen.
»Ein Brahmane? Ist es das, was Sie sagen wollen? Parvati, ist das wahr?« Sie sitzt weinend am Ende des Tisches, das Gesicht unter ihrem Dupatta verborgen. Mr. Nandha spürt, wie der Tisch unter ihren Schluchzern zittert. »Ein Brahmane. Ein genetisch manipuliertes Kind. Ein menschliches Kind, das doppelt so lange lebt, aber halb so schnell altert. Ein menschliches Wesen, das niemals Krebs bekommen kann, das niemals Alzheimer bekommen kann, das niemals Arthritis oder all die anderen degenerativen Erkrankungen bekommen kann, die uns bevorstehen, Parvati. Unser Kind. Die Frucht unserer Verbindung. Ist es das, was du willst? Wir werden unsere Keimzellen zu den Ärzten bringen, und sie werden sie öffnen und auseinandernehmen und verändern, bis es nicht mehr unsere Gene sind, um alles wieder zusammenzusetzen und dir einzupflanzen, Parvati. Sie pumpen dich mit Hormonen und Fruchtbarkeitsmedikamenten voll und schieben es dir in die Gebärmutter, bis es dich übernimmt und du davon anschwillst, von diesem fremden Wesen in dir.«
»Warum wollen Sie ihr das verwehren?«, ruft Mrs. Sadurbhai. »Welche Eltern würden sich die Chance auf ein perfektes Kind entgehen lassen? Sie wollen das einer Mutter verweigern?«