»Jivanjee?«, sagt er matt. Das Herz des Wahnsinns in diesem uralten Mughal-Trommelturm im Herzen eines Monsunsturms: Seine Frau ist eine Agentin von N. K. Jivanjee.
Sie lacht. Für ihn gibt es kein schlimmeres Geräusch.
»Ja, Jivanjee. All die Nachmittage, an denen ich den Juristinnenzirkel unterhalten habe, als du in der Sabha warst, was glaubst du, was wir getan haben? Uns über Grundstückspreise und Brahmanenkinder und Cricket-Ergebnisse unterhalten? Über Politik, Shaheen. Die besten Anwältinnen von Varanasi. Was glaubst du, womit wir uns sonst amüsieren könnten? Wir waren ein Schattenkabinett. Wir ließen eine Simulation auf unseren Palmern laufen. Ich sage dir, in meiner Jharoka war mehr Talent versammelt als in Sajida Ranas Kabinettsaal. Ach, Sajida Rana, die große Mutter, die es anderen Frauen unmöglich gemacht hat, ihr das Wasser zu reichen. In unserem Bharat, mein lieber Shaheen, gab es keinen Wasserkrieg. In unserem Bharat gab es keine dreijährige Dürre, keine Feindschaft mit den USA, weil die Datenrajas uns in der Tasche haben. In unserem Bharat vereinbarten wir mit Awadh und den States of Bengal einen Wasserbewirtschaftungsplan für das Gangestal. Wir haben euer Land besser geführt als ihr, Shaheen, und weißt du auch, warum? Weil wir sehen wollten, ob wir es können. Ob wir es besser können. Und wir konnten es besser.
In der ganzen Hauptstadt war es das Gesprächsthema Nummer eins. Aber solche Gespräche hörst du gar nicht. Es ist ja nur das, was Frauen reden. Worte ohne Konsequenz. Aber N. K. Jivanjee hat es gehört. Die Shivaji hörte es, und das ist etwas, dass ich dir nicht verzeihen kann. Ein Hindu-Politiker erkannte das Talent, ungeachtet des Geschlechts oder der Religion, ein Talent, das mein Ehemann nicht erkannte. Wir wurden zum politischen Arm der Shivaji, unsere kleine Nachmittagsgruppe, die sich zum Tee in unseren Gärten traf. Jetzt hat es sich gelohnt, dieses Spiel mitzumachen. Ich hatte immer wieder gehofft, du würdest nicht nach Hause kommen und mir erzählen, was du in der Sabha getan hast, damit ich versuchen kann, deine Gedanken zu lesen und mich zu fragen, was du getan haben könntest, um weiterzudenken und dich auszustechen. Jedes Mal, wenn du fluchend nach Hause kamst, weil Jivanjee dir immer einen Schritt voraus zu sein schien, war das meine Schuld.« Sie legt eine Hand auf die Brust, ohne ihren Ehemann zu sehen, ohne den Regen zu sehen, der auf Ramghar niedergeht. Sie sieht nur noch ihre Erinnerung an ein großartiges Spiel, das ihr Leben beherrscht hat.
»Jivanjee«, flüstert Shaheen Badoor Khan. »Du hast mich an Jivanjee verkauft.« Und der hohe und breite Damm, der alles so lange in ihm zurückgehalten hat, bricht mit einem Mal, und Shaheen Badoor Khan stellt fest, dass in ihm, nach all den Jahren, nach all den Lügen und Verheimlichungen, nur noch ein lautes Gebrüll ist, ein ungeformtes Geheul wie das Nichts vor der Schöpfung, das aus ihm herauskreischt. Er kann es nicht aufhalten, er kann es nicht zurückdrängen. Das Vakuum zerrt an seinen inneren Organen. Seine Beine sind eingeknickt. Auf den Knien kriecht er auf seine Frau zu, alles ist vernichtet. Er hat sich erlaubt zu hoffen, und zur Strafe für seinen Stolz wurde ihm alles genommen. Er kann nicht mehr hoffen. Das tierische Heulen verstummt, er kann nur noch japsen, würgend schluchzen.
Bilquis weicht zurück. Sie hat Angst. So etwas kam nie in ihren Spielen und Strategien vor. Shaheen Badoor Khan ist jetzt auf Händen und Knien, wie ein Hund, der Schmerzensschreie bellt.
»Hör auf, hör auf damit«, fleht Bilquis. »Bitte nicht. Bitte, bewahre dir einen Rest von Würde.«
Shaheen Badoor Khan blickt zu ihr auf. Entsetzt schlägt sie die Hand vor den Mund. Sie erkennt nichts mehr an ihm wieder. Das Spiel hat sie beide vernichtet.
Sie tritt von dem Nichts zurück, das auf dem glatten Sandsteinboden des Trommelturms kauert und den infizierten Eiter seines Lebens hervorwürgt. Sie findet den Weg zur Treppe und flüchtet in den Regenvorhang hinaus.
38
Mr. Nandha
Die strenge Polyphonie von Bachs Magnificat umschwirrt Mr. Nandha, als der Senkrechtstarter über dem Fluss abdreht. Der heiße Wind, der den Monsun ankündigt, fegt über die Ghats. Bruchstücke der Sturmfront wirbeln die geordnete Flotte der Diyas auf Mutter Ganga durcheinander. Der Senkrechtstarter wird von den Böen geschüttelt. Mr. Nandha sieht die Spiegelung der Blitze auf dem Visier der Pilotin, dann haben ihre Hände den Flug wieder stabilisiert. Vor ihm bilden die anderen drei Einheiten der Schwadron bewegliche Lichtmuster über dem größeren Leuchten der Stadt. Kashi. Stadt des Lichts.
In Mr. Nandhas erweitertem Sichtfeld ragen Götter über Varanasi auf, noch gewaltiger als der Monsun. Ihre Vahanas kriechen über den Beton und durch die Scheiße, ihre Scheitel berühren die Stratosphäre. Götter wie Gewitterwolken, mit erhobenen Attributen, von Blitzen umzuckt. Die mehrfachen Arme führen die heiligen Mudras mit meteorologischer Besonnenheit aus. Die Eindämmung setzte ein, als die Exkommunikationstruppe vom Militärflugplatz abhob. Prasad hat ein paar hundert Kaihs der Stufe eins abgefangen, die über das Kabelnetz flüchten wollten, aber ansonsten ist es im fünften Stock des Bürogebäudes still wie der Tod oder die Unschuld geblieben. Die Schwadron teilt sich auf, und ihre Navigationslichter schießen aerobatisch zwischen Ganesha, Kartikkeya, Kali und Krishna hin und her. Mr. Nandhas Lippen beten lautlos Magnificat magnificat, als der Senkrechtstarter abdreht und in einer Wolke aus handgroßen Pixeln durch Ganesha rast. Einen Speer in die Seite, denkt Mr. Nandha. Die Pilotin schwenkt die Flügelspitzentriebwerke in die Landestellung und bringt sie durch einen Schleier aus göttlichem Licht nach unten. Mr. Nandha schaltet die visuelle Darstellung aus. Die Götter verschwinden, als wären sie durch Unglauben ausgelöscht worden, aber nach jahrelanger Vertrautheit hat Mr. Nandha ein Gefühl für ihre Gegenwart entwickelt, ein elektrisches Kribbeln in seinem Hinterkopf. Seine Waffe ist ein dunkles Gewicht an seinem Herzen.
Die Firmenzentrale von Odeco ist ein billiges Mietshaus in einem Labyrinth aus Schuluniformgeschäften und Sari-Händlern. Die Pilotin dreht das Flugzeug, damit es in die schmale Straße passt. Die Flügelspitzen streifen Balkone und Strommasten, als sie ihre Maschine auf der Kreuzung landet. Der von den Triebwerken entfachte Sturm fegt Fahrräder quer über die Straße. Eine Kuh trottet behäbig aus dem Weg. Ladeninhaber halten ihre wehende und flatternde Ware fest. Räder werden ausgefahren und berühren den Beton. Mr. Nandha begibt sich in den Passagierraum zu seinem Exkommunikationsteam: Ram Lalli, Prasad, Mukul Dev, Vik — Letzterer fühlt sich sichtlich unwohl in Kampfmontur über seiner Rock-Boyz-Montur von Star-Asia.
Der Senkrechtstarter kommt auf den Stoßdämpfern zur Ruhe. Nichts bewegt sich, nichts rührt sich, nur der Wind vom Rand des Monsuns treibt Papier und Fetzen von abgerissenen Filmi-Postern durch die schmalen Straßen. Ein Hund bellt. Die Rampe wird ausgefahren, während die Triebwerke verstummen. Weitere Flugzeuge legen an den anderen beiden Zielkoordinaten punktgenaue Landungen hin. Die vierte Maschine dreht sich in der Luft vor den Neontürmen von New Varanasi, fliegt über das Dach des Bürogebäudes heran und schwenkt die Düsen auf Schwebestellung. Das Getöse in den engen Gassen ist wie der Lärm vedischer Armeen im Himmelsgefecht. Der Bauch öffnet sich, und Sowars der Bharati-Luftkavallerie werden an Kabeln abgespult. Auf dem Helmdisplay der Pilotin seilen sie sich in eine gähnende Schlucht voller Götter ab. Hohlladungen öffnen das Dach wie eine Dose Ghee. Die Sowars kommunizieren mit Handzeichen, befestigen ihre Karabinerhaken an den Solarzellen und tauchen ins Gebäude ein.
Mr. Nandha rückt durch einen Friedhof der Fahrräder vor. Eine Berührung am rechten Ohr aktiviert den Hoek, und Indra, Gott des Regens und des Blitzes, manifestiert sich wirbelnd über dem Kurzwarenviertel des alten Kashi, auf seinem Elefanten-Vahana Airavata mit den vier Stoßzähnen sitzend. In der Rechten hält er den Vajra der Gerechtigkeit erhoben. Mr. Nandha legt seine Hand an seine Waffe. Echte Blitze flackern durch Indras transparenten roten Körper. Mr. Nandha blickt auf. Regen. Auf seinem Gesicht. Er bleibt stehen, wischt sich den Tropfen von der Stirn, starrt ihn erstaunt an. Im selben Moment wirbelt Indra herum, und er spürt, wie die Waffe ihn ausrichtet.