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»Dann schlage ich vor, dass wir von hier verschwinden, weil ich mich plötzlich sehr weiß und sehr westlich und sehr weiblich fühle«, sagt Marianna Fusco. Über die steilen Gehwege strömen tückische Sturzbäche. »Warum muss bei euch alles in einem Volksaufstand enden?«, fragt Marianna Fusco, aber die Stimmung auf den Straßen ist hart, hässlich, ansteckend. Vishram sieht den Senkrechtstarter am Ufer zwischen den überhängenden Gebäuden. Hinter ihm ein Krachen, Stimmen in panischer Lautstärke. Er dreht sich um und sieht einen Samosa-Wagen aus Blech, der auf die Seite gekippt ist, und die würzigen Dreiecke haben sich über die Gali verteilt. Heißes Öl breitet sich über die flachen Stufen aus. Eine Berührung mit der Flamme des Gaskochers, und Feuer erfüllt die enge Gasse. Rufe, Schreie.

»Komm.« Vishram nimmt Marianna am Ellbogen und eilt mit ihr die Stufen hinunter.

Die Pilotin hat die Triebwerke bereits warmlaufen lassen, als Vishram und Marianna hinter ihr auf die Sitze springen. Shastri weicht vor den Triebwerksstrahlen zurück, die Hände segnend erhoben. Der Senkrechtstarter steigt durch den Wolkenbruch auf, während die Menschen über die Treppe herunterströmen, wie Ratten zum Wasser hetzen. Sie schwenken Lathis und heben Stöcke auf und werfen Steine auf den fremden Eindringling. Die Pilotin ist bereits viel zu hoch. Sie wendet das Flugzeug, und Vishram sieht das Feuer wie einen Teich aus Hitze, der sich von einem Gebäude zum nächsten ausbreitet, wie eine Flüssigkeit, unbeeinträchtigt durch den Regen.

»Das Zeitalter Kalis«, flüstert er. Der Tiefpunkt der Geschichte, wenn Zwietracht und Korruption unter den Menschen herrschen und der Himmel geschlossen ist, wenn die Ohren der Götter taub sind und die Entropie ihr Maximum erreicht und es keine Hoffnung mehr gibt. Wenn die Erde durch Feuer und Wasser vernichtet wird, denkt Vishram, als der Senkrechtstarter in den Horizontalflug übergeht, wenn die Zeit anhält und das Universum neu geboren wird.

41

Lisa

Draußen vor dem Bogengewölbe fällt der Regen wie ein Vorhang, und Lisa Durnau ist bei ihrem dritten Gin. Sie sitzt in einem Korbstuhl auf dem Marmorboden der Säulenhalle. Die einzigen anderen Menschen auf der Terrasse sind zwei Tee trinkende Männer in billigen Anzügen und Sandalen. Von ihrem Beobachtungsposten aus kann sie das Haupttor und die Rezeption im Auge behalten. Der Lärm des Regens auf dem ermatteten Stein ist unglaublich. Ein mächtiger Sturm, selbst im Vergleich zum Mittelwesten. Mit Blitzen und allem Drum und Dran.

Wieder leer. Sie gibt dem Kellner ein Zeichen. Sie alle sind junge, schüchterne Nepalis, die als Rajputs verkleidet sind, hier in Bharat, in Varanasi. Damit kann sie nicht umgehen. Hier im schwarzen Norden gibt es kaum etwas, womit sie umgehen kann. Sie hatte sich gerade an den schönen zivilisierten Süden und seine sanfte Anarchie gewöhnt, als sie mitten in einer Nation und einer Stadt abgesetzt wurde, wo alles genauso aussieht und die Menschen genauso gekleidet sind, aber sonst alles völlig anders ist.

Der Taxifahrer hatte die Worte »Amerikanisches Konsulat« als Einladung genommen, sie zu betrügen, sie um einen Kreisverkehr herumzufahren, auf dem eine große Statue von Ganesha unter einem komischen kleinen Pavillon und einem Plakat mit der Aufschrift Gerippt und aufregend! Kordhosen! stand.

»Sarkhand Roundabout«, rief der Fahrer. »Gefahrengeld Gefahrengeld.«

Auf jede glatte Fläche waren Hakenkreuze gemalt worden. Lisa konnte sich nicht erinnern, wie herum sie richtig und welche das faschistische Spiegelbild waren, aber der Anblick bereitete ihr so oder so Unbehagen.

Rhodes, der Konsulatsbeamte, blätterte sich durch ihre Beglaubigungen.

»Was genau sollen Sie mit all diesen Genehmigungen machen, Ms. Durnau.«

»Einen Mann finden.«

»Jetzt ist keine gute Zeit für so etwas. Die Botschaft rät allen US-Bürgern, das Land zu verlassen. Wir können keine Garantie für Ihre Sicherheit übernehmen. Amerikanische Einrichtungen wurden angegriffen. Man hat einen Burger King niedergebrannt.«

»Extra-heiß vom Flammengrill.«

Er zeigte den winzigsten Ansatz eines gepressten Lächelns. Mit hochgezogener Augenbraue blickte er auf die Lade. Lisa Durnau wünschte sich, so etwas auch zu können. Er gab ihr die Dokumente zurück. »Also gut, dann viel Erfolg bei Ihrer Mission, was auch immer Sie erreichen wollen. Wenn wir Ihnen irgendwie helfen können, werden wir es tun. Und ganz gleich, was sonst gesagt wird, dies ist eine großartige Stadt.«

Aber für Lisa Durnau ist Varanasi eine Stadt der Asche, trotz der Neonreklamen und Hochhäuser und hell erleuchteten Shikharas. Asche auf den Straßen und Schreinen und Tempeln, Asche auf der Stirn der heiligen Männer, Asche auf den stromlinienförmigen Kotflügeln und Dächern der Marutis und Phatphats. Ein Himmel aus Asche, wie eine brechende Welle aus dunklem Ruß. Selbst in der klimatisierten Luft ihres Hotelzimmers spürte sie schmierige Kohlenwasserstoffe auf ihrer Haut. Lulls Hotel war ein hübsches islamisches Stadthaus mit Marmorfußböden und unerwarteten Zwischenstockwerken und Balkonen, aber ihr Zimmer war unsauber. Die Minibar war leer. Eine Damenbinde hatte sich in der Toilettenschüssel verkeilt. Die Stockwerke und Balkone waren voller Nachrichtenreporter. Sie probierte die Dusche aus, der alten Zeiten wegen.

Eine zweite Person war unter Lulls Anmeldung registriert. Ajmer Rao. Mit der Lade rief sie einen schlecht aufgelösten Schnappschuss der Lobbycam auf. Von ihr. Vom Space-Bunny. Kleiner, als Lisa sich vorgestellt hatte. Recht breiter Arsch, aber daran war vielleicht der Kamerawinkel schuld. Was hatte sie auf der Stirn?

Ajmer Rao. Aber Lisa Durnaus erster Gedanke war, dass sie froh war, dass Lull nicht mit ihr schlief. Und Lull selbst. Magerer. Das Gesicht weicher. Absolut unmögliche Kleidung. Fortgeschrittene Halbglatze, zum Ausgleich langes Haar am Hinterkopf. In jeder Einzelheit so, wie sie ihn in den wimmelnden Pixeln des Tabernakels gesehen hatte.

Lisa Durna beobachtet den Regen und stellt fest, dass sie wütend ist. Zutiefst. Ihr ganzes Leben lang hat sie gegen die calvinistische Prädestinationsdoktrin ihres Vaters angekämpft, doch die Tatsache, dass sie nun sieht, wie der Monsun auf Varanasi niedergeht, ist das Ergebnis karmischer Mächte, die sieben Milliarden Jahre alt sind. Sie, Lull, dieses Mädchen mit dem Breitarsch, sie alle folgen einem Drehbuch, das genauso vorherbestimmt und fatalistisch ist wie irgendeine Episode von Stadt und Land. Sie ist wütend, weil sie dem nie entkommen ist. Die komplexen Verhaltensmuster des Alterre-Universums, ihrer Calabi-Yau-Geisträume, der zellularen Automaten, die über ihren Monitor wuseln — alle beruhen auf einfachen, gnadenlosen Regeln. Regeln, die so einfach sind, dass man vielleicht nie auf die Idee kommt, von ihnen beherrscht zu werden.

Sie klinkt sich in Alterre ein. Aus Spaß gibt sie ihre gegenwärtigen GPS-Koordinaten ein, an die Kontinentaldrift angeglichen, schaltet auf vollständige Tiefenwahrnehmung und tritt mitten in die Hölle. Sie steht auf einer zerklüfteten Ebene aus schwarzer Lava, die von rot glühenden Adern durchzogen ist. Der Himmel ist eine geronnene Masse aus Rauch, von zuckenden Blitzen erhellt, und um sie herum fällt Asche wie Schnee zu Boden. Sie erstickt fast am Schwefel und den Brandgasen, schaltet die Geruchswahrnehmung aus. Die Ebene erhebt sich sanft zu einer Kette niedriger Kegel, aus denen sich schnell fließende Magmaströme ergießen. Funkenkaskaden versperren den Blick zum Horizont. Sie kann in jede Richtung zwanzig Kilometer weit sehen, und nirgendwo erkennt sie auch nur ein einziges Lebewesen.

Erschrocken blinzelt sich Lisa Durnau zurück ins verregnete Varanasi. Ihr Herz rast, ihr ist schwindlig. Es ist, als würde man um eine Straßenecke gehen und ohne Vorwarnung auf Ground Zero stoßen. Sie steht unter physischem Schock. Sie hat Angst vor der Geste, mit der sie sich wieder nach Alterre wünschen kann. Sie öffnet den Fenstermodus. Der Kommentartext erklärt ihr, dass die Vulkane des Dekkan-Trapps ausgebrochen sind.