»Pumpen, pumpen«, befiehlt Yogendra. Shiv beugt sich zur kleinen Lenzpumpe. Schneller, als die Handpumpe abpumpen kann, füllt der Regen das Boot, ein handliches, kleines amerikanisches Wildwasserboot mit Ikonographie des Pazifischen Nordwestens auf dem Bug, obwohl Shiv ein Auge des Shiva lieber gewesen wäre. Das ist keine Arithmetik, die Shiv allzu genau betrachten möchte. Er kann nicht schwimmen. Für einen Raja beschränkt sich die Erfahrung mit Wasser darauf, sich im seichten Ende eines Pools mit Mädchen und Drinks auf schwimmenden Tabletts zu räkeln.
Hauptsache, das Boot bringt sie nach Chunar.
»Du wirst irgendwo hier landen.« Anand breitete die hochaufgelösten A4-Ausdrucke der Karte von der Region Chunar auf seinem Kaffeetisch aus. Kif-Kaffee köchelte auf dem Grill. Anand tippte mit dem Finger auf die Karte. »Die Stadt Chunar liegt etwa fünf Kilometer südlich. Ich nenne sie nur deshalb Stadt, um höflich der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sie an einer Brücke über den Ganges liegt. Chunar ist ein ländliches Drecksnest voller Kuhficker und Inzest. Das einzig Interessante ist das Fort. Hier, ich habe ein paar Ausdrucke.«
Anand verteilte Hochglanzbilder. Shiv blätterte durch die Fotos. Die Geschichte des Ganges war die Geschichte von Forts wie Chunar, in historischer Unvermeidlichkeit auf Landzungen und Bergkuppen errichtet, wo sich der Fluss krümmte — Macht, Dynastie, Intrigen, Gefangenschaft, Belagerung, Angriff. Und nun ein letzter Angriff. Er verweilte bei der Innenstadt, zerfallene Raj-Moghul-Architektur, überdeckt von ausgreifenden Vordächern aus Carbonit, weiß wie Salz in der Sonne. »Ramanandacharya ist ein protziger Chuutya, aber nur er macht was los in der Stadt. Neben dem Sundarban gehört ihm ein Callcenter. Du solltest in sein System eindringen und nachsehen, was er getrieben hat; wenn du seine schwarze Kredit-Liste hacken willst, werden sie den Kode für dich knacken, während du wartest. Jeder Adivasi ist seinem Häuptling treu ergeben. Du gehst rein, erledigst deine Sache, gehst raus und wartest nicht auf Danksagungen oder Küsschen. Jetzt zu den Verteidigungseinrichtungen von Chunar Fort.«
Flugzeuge hämmern so laut und niedrig am Himmel, dass Shiv den Kopf einzieht. Yogendra steht im Bug, dreht sich, um ihren Lichtern nachzuschauen, vier Senkrechtstarter in enger Formation. Shiv sieht das Licht der Stadt auf seinen Zähnen funkeln.
»Pumpen, pumpen!«
Er arbeitet an der knarrenden Handpumpe, schaut, wie sich das Wasser um die mit Plastik versiegelten Pakete sammelt. Es wäre besser, das alberne, empfindliche Ding über Bord zu werfen und mit den Händen zu schöpfen. Amerikaner und ihre Maschinen. Für alles gibt es etwas. Begreift doch, dass Menschen besser und billiger sind! Ihr könnt sie bestrafen, und sie werden lernen.
Der Donner zieht westwärts. In seinem Gefolge verdoppelt der Regen sein Gewicht. Auf dem linken Ufer weichen die Gasfackeln der Aufbereitungsanlagen den schweren Sandsteinblöcken von Ramnagar Fort — unter der Flutlichtanlage ein beeindruckendes Täuschungswerk. Yogendra steuert das Boot unter die Pontonbrücke, die selbst während eines Wolkenbruchs ein Schwert aus Lärm ist. Shiv betrachtet Ramnagar; Terrassen und Pavillons steigen hinter dem roten Vorhang aus Wänden auf, mit den Füßen im Wasser. Bleib ruhig stehen, denkt Shiv. Warte nur, bis ich zurückkomme, bis ich deine Schwester flussaufwärts eingenommen habe, dann werden wir sehen, wie stolz und trotzig du dann mit deinen Mauern und Türmchen aussiehst. Eine wahre Aufgabe für einen Raja, die Einnahme einer Festung. Nicht durch Belagerung oder an der Spitze von tausend Elefanten, sondern durch Klugheit, durch Stil. Shiv Faraji, der Actionheld.
Nun nähert sich das schnelle, kleine Boot der neuen Brücke. Yogendra überprüft den Kanal mit stehendem Wasser und prescht hinein. Ein Lastwagen ist von der Straße abgekommen und im seichten Wasser versunken. Ein Hindernis aus dekorativem Metall, das kaum noch als Fahrzeug zu erkennen ist. Der Geruch von Alkosprit liegt über dem Fluss. Unter dem Gestank des Treibstoffs: Parfüm. Shiv reckt den Kopf, als er den ekeligen Geruch von Tagetes wahrnimmt. Geruch ist der Schlüssel der Erinnerung, ein schnelles Aufblitzen, wo er das schon mal gerochen hat: die dicken Reifen seines Mercedes, die Blütenblätter zerquetscht haben, als der Geländewagen hier das Ufer hochgefahren ist. Tagetes überdecken verwesendes Fleisch, der aufquellende Körper, den er in das Wasser des Ganges gleiten ließ, das Wasser, das er jetzt befährt. Er hat die Reise der Leiche nachverfolgt, fort vom Moksha.
»He!« Yogendra löst den Ohrhörer seines Palmers und hält ihn hoch, damit Shiv ihn sehen kann. »Radio Kashi.« Shiv dreht den Sender auf. Eilmeldung, Stimmen überschlagen sich, reden über Soldaten, Luftangriffe, Kampfmaschinen. Kunda Khadar. Die Awadhis haben Kunda Khadar eingenommen. Die Awadhis sind auf den heiligen Boden von Bharat vorgedrungen. Die Awadhis sind dabei, Allahabad einzunehmen, das heilige Allahabad der Kumbh Mela. Sajida Ranas Truppen fliehen vor ihnen wie Mäuse vor einem Stoppelbrand. Sajida Ranas gepriesene Jawans werfen ihre Waffen weg und heben die Hände. Sajida Ranas Plan hat Bharat ruiniert. Sajida Rana hat für Bharat versagt, hat Bharat beschämt, hat Bharat in die Knie gezwungen. Was wird Sajida Rana jetzt machen? Shiv schaltet das Radio aus.
»Was hat das mit uns zu tun?«, sagt er zu Yogendra. »Die Elefanten kämpfen, aber die Ratten kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten.« Der Junge wackelt mit dem Kopf und dreht den Motor auf. Das Boot hebt den Bug und schiebt sich durch die Regenmauer flussaufwärts.
»Das ist gute Ausrüstung. Nicht gerade Spitze, aber gut. Ich werd’s dir erklären. Das hier sind Plasma-Taser. Weißt du, wie die funktionieren? Das ist nicht schwer. Hier scharf machen, der gelbe Griff. Du zielst einfach und schießt. Du musst nicht einmal genau zielen, das ist das Schöne daran, und das macht sie zu deiner bevorzugten Waffe. Im Kanister ist genug Gas für zwölf Schüsse. Davon hast du fünf, das sollte reichen. Wirf sie nach Gebrauch einfach weg, dann sind sie leer. Sie können Maschinen zum Stehen bringen, aber am besten lassen sie sich gegen biologische Ziele verwenden. Unser Mann Ramanandacharya ist ein Tech-Head, und das ist seine tödliche Schwäche, aber er hat einen Sinn für fleischliche Gelüste wie Sex und Waffen. Er steht auf Frauen. Sehr. Er hat diese James-Bond-Macke, sagt Mukherjee jedenfalls. Ich meine, hast du die Burg gesehen? Ich weiß nicht, ob sie rote Catsuits tragen, aber möglicherweise musst du ein paar tasern, nur um ihnen eine Lektion zu erteilen, verstehst du? Und jeder Bauerntrampel ist sein treu ergebener Psycho-Sklave. Außerdem gibt es richtige Kerle mit Waffen und Martial Arts, behauptet Mukherjee, aber es gibt einen Weg, mit ihnen umzugehen, und zwar, indem du sie nicht zu nahe rankommen lässt. Glaubst du, dass die Frauen rote Catsuits tragen? Könntest du ein paar Fotos für mich machen? Taser für das Fleisch. Für die Maschinen brauchst du flächendeckende Waffen. Du brauchst diese süßen Dinger. EMP-Granaten. Die sind so was von cool! Als würde man Kerosin über Skorpione gießen. Pass nur auf, dass du nicht irgendwie eingehoekt bist, sonst wirst du taub, stumm, blind. Auch mit der Ware selbst vorsichtig sein. Ich muss es dir nicht sagen, aber damit werden alle Soft-Systeme gebraten. Nun zum Suddhavasa, wo sich seine Dekodierer befinden. Er hat einen alten Shiva-Tempel auf dem Gelände umgebaut — dort auf der Karte. Der Kode dürfte nicht sehr groß sein, vielleicht nur ein paar Gigs, aber ich empfehle dir, ihn nicht zu mailen. Das Ganze müsste auf einen Palmer passen. Sei nur vorsichtig mit den EMPs in der Umgebung des Tempels, klar? Du hast den Masterdateinamen und den Quanten-Schlüssel, also müsstest selbst du in der Lage sein, den Kode aus dem Suddhavasa rauszuschaffen. Ich weiß nicht, warum unser geliebter N. K. Jivanjee ihn haben will, aber wir stellen keine Fragen. Den Naths sowieso nicht.