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Wieder rauszukommen — das ist immer ein bisschen heikel. Du musst es einfach nehmen, wie es gerade kommt. Das soll nicht heißen, dass es keinen Mega-Plan gibt. Das Wichtigste ist, dass du keine Zeit verlierst. Geh rein, leg sie lahm, hol dir das Ding, geh raus und lass keine Ablenkungen zu. Ablenkungen zerstören. Geh raus und halt für nichts und niemanden an, schon gar nicht wegen irgendeines Dorftrottels. Du hast genügend Ladungen in den Tasern; falls es so aussieht, als wären sie hinter dir her, leg ein zweites Minenfeld hinter dir an. Geh zum Boot, dann komm hierher zurück, und du bist ein freier Mann, Shiv Faraji, und ich werde dich preisen und dir als Gott und Freund meine Ehre erweisen. Woher ich das alles weiß? Was denkst du, was ich den ganzen Tag mache? Ballerspiele und massenhaft Filme gucken. Woher sonst kann man so etwas wissen?«

Nach anderthalb Stunden mühevoller Fahrt flussaufwärts schwächt sich der Monsun von einem Wolkenbruch zu einem steten Regen ab. Als sich das Tempo des Bootes verändert, blickt Shiv von seinem Palmer auf, mit dem er Commando Attack spielt. Es wäre eine Ironie der Ironie, wenn nach drei Jahren Dürre und einem Krieg um Wasser, der mitten in einem Wolkenbruch ausgekämpft wird, der rettende Monsun sich in einer einzigen Nacht ausregnen sollte.

Jenseits von Ramnagar ist der Fluss dunkler als die Dunkelheit. Yogendra steuert mit GPS und seinem Gefühl für Strömungen. Shiv hat knirschenden Sand unter dem Kiel des Bootes gespürt. Die Untiefen verändern sich und bilden sich schneller neu, als die Satelliten in zehntausend Kilometern Höhe es vermessen können. Das Boot schaukelt, und Yogendra reißt die Pinne scharf herum. Er stellt den Motor ab, holt ihn hoch. Das Boot läuft auf den Strand auf. Yogendra duckt sich unter dem Blätterdach hindurch und springt ans Ufer.

»Komm schon, komm schon.«

Der Ufersand ist weich, gibt nach und treibt mit der Strömung unter Shivs Füßen fort. Die Dunkelheit ist hier immens. Shiv erinnert sich daran, dass er nur ein paar Dutzend Kilometer von seinem Club und seinem Barmann entfernt ist. Ein Lichtbündel im Süden ist Chunar. In der gewaltigen Stille der ländlichen Nacht hört er den Verkehr auf dem Ponton und das stetige Tuckern der Wassergewinnungsanlagen stromabwärts. Schakale und Pariahunde jaulen in der Ferne. Shiv bewaffnet sich schnell. Er teilt sich die Taser mit Yogendra, behält aber den mit dem Notausschalter für sich. Hayman Danes Dateiname und Systemschlüssel sind auf dem Palmer, der Shiv um den Hals hängt.

In den von Dornenhecken umgebenen Dal-Feldern Chunars macht Shiv sich kampfbereit. Es ist Wahnsinn. Er wird hier zwischen diesen Feldern und Knochen sterben.

»Okay«, sagt er mit einem erschaudernden Seufzer. »Hol sie raus.«

Er und Yogendra schleppen zwei sperrige Rechtecke in Frischhaltefolie auf den Sand. Rippen und Spieren, Kurven und Ausbuchtungen zeichnen sich unter der Plastikhaut ab. Yogendra zückt ein langes Messer.

»Was ist das?«, will Shiv wissen.

Yogendra zeigt ihm das Messer, dreht es so, dass sich der Lichtglanz der fernen Stadt auf dem Stahl spiegelt. Es hat die Länge eines Unterarms, gezackt, mit einem Haken an der Spitze und Ringfassung. Er schneidet die Plastikhaut mit zwei schnellen Hieben auf. Er schiebt die Klinge zurück in das Lederholster an seinem Körper. In dem Kunststoff stehen zwei fabrikneue chromglänzende japanische Geländemotorräder, aufgetankt und fahrbereit. Sie springen sofort an. Shiv steigt auf. Yogendra geht ein paarmal um seins herum und schätzt ab, was drinsteckt. Dann nickt Shiv ihm zu. Sie drehen die in Yokohama gebauten Motoren auf und starten auf den regengetränkten Dal-Feldern durch.

45

Sarkhand Roundabout

Um elf Uhr dreißig bewegt sich das Gewirr aus Regenschirmen von der Veranda des Rana Bhavan auf den Mercedes zu, der auf dem kiesbestreuten Wendeplatz steht. Die Schirme sind weiß, ein unnatürlicher Farbton. Sie drängen sich wie eine Phalanx aneinander. Kein einziger Tropfen Wasser kommt durch. Jetzt ist der Regen sintflutartig, ein tosender Wolkenbruch, der von feuchtheißen Blitzen durchsetzt ist. Im Zentrum der Regenschirmkuppeln befindet sich Premierministerin Sajida Rana. Sie trägt einen weißen Seidensari, der mit Grün und Orange besetzt ist. An diesem Abend ist sie in einer äußerst ernsten Angelegenheit unterwegs. Es geht um die Verteidigung ihres Landes und ihrer Autorität. In ganz Varanasi fahren identische Mercedes von geschmackvollen Regierungsbungalows ab.

Die Schirme drücken sich gegen den Wagen wie Ferkel an die Zitzen einer schwarzen Sau. Sajida Rana schlüpft trocken und sicher auf den Rücksitz. Instinktiv rutscht sie auf die linke Seite. Shaheen Badoor Khan sollte rechts von ihr sitzen und ihr Analysen, Ratschläge und Einschätzungen vortragen. Sie fühlt sich allein, als die Türen verriegelt werden und der Wagen durch den Regen losfährt. Sie sieht aus wie das, was sie ist — eine Frau mittleren Alters, auf deren Schultern das Gewicht einer ganzen Nation lastet. Die Schirme lösen sich voneinander und hasten zurück in den Schutz der Veranda von Rana Bhavan.

Sajida Rana blättert die überstürzt zusammengestellten Unterlagen durch. Die Fakten sind spärlich und oberflächlich. Der Awadhi-Angriff war eine tadellose technische Leistung. Brillant. Unblutig. An Militärschulen wird man die Strategie in den nächsten Jahrzehnten unterrichten. Die Panzer und Artillerieeinheiten der Awadhis sind nur noch zwanzig Kilometer von Allahabad entfernt, die Flugabwehr und die Kommunikation wird kontinuierlich durch Kaih-Angriffe gestört, und das Verteidigungsbataillon befindet sich in Auflösung. Die Führung am Kunda-Khadar-Damm ist enthauptet, und man versucht verzweifelt, die Befehlswege zum Oberkommando der Division in Jaunpur wiederherzustellen. Und es regnet. Sajida Rana verliert einen Wasserkrieg im Regen. Aber er kommt zu spät. Ihr Volk kann während einer Sintflut verdursten.

Sie wussten es. Die Mistkerle hatten alles auf die Minute genau durchkalkuliert.

In ihrem weißen, goldenen und grünen Sari versucht Sajida Rana sich vorzustellen, welchen Geschmack die Worte einer Kapitulationserklärung auf ihrer Zunge haben werden. Fühlen sie sich aufgequollen, erstickend an? Oder trocken und säuerlich? Werden sie ihr so leicht fallen wie einem Muslim, der sich von seiner Frau scheidet? Talaaq talaaq talaaq.

Khan. Der treulose Muslim. Er hat sie betrogen, mit einem Ding. Während sie seine Worte, seine Einsichten, seine Gegenwart an ihrer Seite auf dem cremefarbenen Leder am dringendsten braucht. Wenn Jivanjee und seine Karsevaks wüssten, dass sie auf kuhfarbenem Leder sitzt ... Lassen Sie Jivanjee Ihre Arbeit machen, hatte Khan gesagt. Jetzt wird er mit seinem Streitwagen über ihre Knochen hinwegrollen. Nein. Sie ist eine Rana, die Tochter eines Staatengründers, der eine Dynastie errichtete. Sie ist Bharat. Sie wird kämpfen. Soll der Ganges vom Blut überfließen.

»Wohin fahren wir?«

»Der Verkehr, Ma’am«, sagt der Fahrer. Sajida Rana lehnt sich auf dem Polstersitz zurück und blickt durch die regenüberströmten Fenster. Neon- und Rücklichter, die bunten Diwali-Illuminationen der Laster. Sie drückt auf die Kommunikationstaste.

»Das ist nicht der übliche Weg zur Bharat Sabha.«

»Nein, Ma’am«, sagt der Fahrer und tritt das Gaspedal durch. Sajida Rana wird herumgewirbelt. Sie probiert den Türriegel, obwohl sie weiß, dass es unsinnig ist, nachdem sie das solide Klicken der Zentralverriegelung der deutschen Wertarbeit gehört hat. Sie öffnet ihren Palmer, ruft ihre Leibwache, während der Mercedes auf hundertzwanzig beschleunigt.