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»Hier ist die Premierministerin, Notfallkode. Orten Sie mein GPS-Signal. Ich werde entführt, ich wiederhole, hier ist Sajida Rana, ich werde entführt.«

Himmelsrauschen. Dann meldet sich die Stimme ihres Sicherheitschefs.

»Premierministerin, das werde ich nicht tun. Niemand wird Ihnen helfen. Sie haben das heilige Bharat verraten, und Bharat wird Sie dafür bestrafen.«

Dann biegt der Mercedes auf den Sarkhand Roundabout, und das Geschrei beginnt.

Fünfter Teil — JYOTIRLINGA

46

Ensemble

Der Bharatiya Vayu Sena Airbus Industries A510 wird leicht durchgeschüttelt, während er durch die Wolkenschicht über Varanasi aufsteigt. Ashok Rana hält sich an den Armlehnen fest. Fliegen war noch nie sein Ding gewesen. Er blickt durch das Fenster und den Regen auf die leuchtenden Streifen, die hinter ihnen zurückbleiben. Der Flugzeugrumpf vibriert, als die ECM-Drohnen aus den Behältern unter den Flügeln starten. Über Varanasi hat es schon seit Tagen keinen militärischen Flugverkehr der Awadhis mehr gegeben, aber die Luftwaffe will den neuen Premierminister keinem Risiko aussetzen. Ashok Rana überlegt, dass es möglich sein müsste, aus dem Winkel der Regentropfen auf der Glasscheibe die Geschwindigkeit der Maschine abzuleiten. Seit er mitten in der Nacht den Anruf von Sekretär Narvekar erhalten hat, schießen ihm immer wieder solche irrelevanten Gedanken durch den Kopf.

Erneut geht ein Ruck durch das Flugzeug, das sich durch den Monsun vorankämpft. Ashok Rana schaltet den Bildschirm in der Armlehne ein. Die Kamera zeigt seine Frau und seine Töchter, die hinten in der Presseabteilung sitzen. Sushmitas Gesicht spannt sich ängstlich an, als der Airbus ein weiteres Mal durchgeschüttelt wird. Anuja sagt etwas Tröstendes, nimmt ihre Hand. Im Premierminister-Ledersessel erlaubt sich Ashok Rana ein kleines Lächeln. Er wünscht sich, es gäbe hier eine Kamera, damit sie ihn sehen können. Sie wären nicht so ängstlich, wenn sie ihn sehen könnten.

»Premierminister.«

Sein Parlamentarischer Privatsekretär dreht sich mit seinem Sitz zu ihm herum und reicht ihm über den Tisch hinweg einen bekritzelten Ausdruck.

»Wir haben hier einen Entwurf der Rede. Wenn Sie sich mit den wichtigsten Punkten vertraut machen würden ...«

Das Flugzeug des Premierministers ruckelt ein letztes Mal, bevor es in klare Luft vorstößt. Durch das Fenster sieht Ashok Rana die mondbeschienene Oberfläche eines stürmischen Wolkenmeers. Der Pilot schaltet mit einem Pling die Anschnallzeichen aus, und im nächsten Moment sind überall im Kunststoffrumpf Klingeltöne zu hören. Jeder Politiker und jeder Beamte ist von seinem Sitz aufgestanden und drängt sich um den Konferenztisch. Sie beugen sich mit erwartungsvollem, gespanntem Gesichtsausdruck vor. Sie haben diesen erwartungsvollen, gespannten Gesichtsausdruck, seit Sekretär Narvekar und Verteidigungsminister Chowdhury gebückt durch die Tür des Senkrechtstarters der Bharati Air Force getreten sind, der in seinem Garten gelandet war, um Ashok Rana und seine Familie abzuholen. Der Oberste Staatsrichter Laxman nahm den Eid ab, während der Militärtransporter zum abgelegenen, gesicherten Bereich des Flughafens unterwegs war, wohin man Vayu Sena One gebracht hatte. Die Armeekrankenschwester mit den strahlend weißen Chirurgenhandschuhen stach ihm mit einem Skalpell in den Daumen, drückte ihn auf ein Diagnosepad, und noch bevor Ashok Rana den Schmerz registrierte, war die Wunde mit medizinischem Alkohol gereinigt und mit einem Pflaster versehen.

»Für die DNS-Identifizierung, Premierminister«, erklärte Trivul Narvekar, doch Ashok Ranas Aufmerksamkeit wurde von dem Offizier der Air Force beansprucht, der sofort mit gezogener Waffe hinter die Krankenschwester getreten war, die Mündung nur ein Flüstern von ihrem Hinterkopf entfernt. Einen Premierminister zu verlieren ist eine Tragödie. Bei zweien sieht es nach einer Verschwörung aus. Dann füllte das Gesicht des Obersten Staatsrichters Laxman sein Blickfeld aus.

»Ich überreiche Ihnen nun die Staatssiegel, Premierminister. Damit verfügen Sie über die volle Führungsgewalt.«

Die A510 schwimmt zum riesigen Bharati-Mond hinauf. Ashok Rana könnte ihn ewig betrachten und sich vorstellen, dass unter den Wolken keine chaotische, zerbrochene Nation existiert. Aber die Gesichter erwarten etwas von ihm. Er überfliegt den Ausdruck. Gemäßigte Phrasen, einprägsame Slogans mit Schnittpausen, die davor und danach markiert sind, Beschlüsse und mitreißende Deklarationen. Ashok Rana betrachtet noch einmal seine Familie auf dem kleinen handflächengroßen Schirm.

»Wurde die Leiche meiner Schwester geborgen?«

Alle lauten Stimmen, alle Palmer verstummen.

»Das Gebiet wurde gesichert«, sagt Sekretär Narvekar.

»Können wir der Armee vertrauen?«

»Wir haben reguläre Truppen hingeschickt. Auf sie können wir uns verlassen. Die Gruppe war eine kleine Verschwörung innerhalb der Elitedivisionen, die für ihre persönliche Sicherheit zuständig war. Die Verantwortlichen wurden verhaftet. Bedauerlicherweise konnten wir nicht verhindern, dass sich einige der höherrangigen Offiziere selbst das Leben nahmen. Von der Leibwache lebt niemand mehr, Premierminister.«

Ashok Rana schließt die Augen, spürt die Konturen in der Stratosphäre, die den Flugzeugrumpf und ihn umschließt.

»Nicht die Awadhis.«

»Nein, Premierminister. Es wurde nie in Erwägung gezogen, dass die Awadhis auf Mordanschläge zurückgreifen könnten, falls Sie mir die Benutzung dieses Begriffs verzeihen.«

»Die Aufständischen?«

»Haben sich zerstreut, Premierminister. Die Situation in der Stadt ist nach wie vor höchst brisant. Ich würde von einer sofortigen Rückkehr nach Varanasi abraten.«

»Ich will nicht, dass sie verfolgt werden. Es steht ohnehin schlecht genug um die Moral. Wir können es uns nicht leisten, dass die Armee jeden Rückhalt in der Bevölkerung verliert. Aber wir sollten das Kriegsrecht verhängen.«

»Eine weise Entscheidung, Premierminister. Sehr großmütig im Angesicht der nationalen Krise. Das wird gut ankommen. Premierminister, ich möchte nicht den Anschein erwecken, Sie in dieser verzweifelten und bestürzenden Lage unter Druck setzen zu wollen, aber diese Rede ... Es ist wichtig, dass die Nation etwas von Ihnen hört, und zwar möglichst bald.«

»Demnächst, Trivul.«

»Premierminister, die Sendezeit ist gebucht, die Kameras und Mikros stehen im Medienzentrum bereit ...«

»Demnächst, Trivul!«

Der Parlamentarische Sekretär entfernt sich mit einer Verbeugung, aber Ashok Rana erkennt an seinen Lippen, dass Trivul seine Verärgerung hinunterschlucken muss. Wieder blickt er auf den Mond, der nun tief im Westen am Rand des silbernen Meeres steht, das Wasser auf sein Land regnen lässt. Er wird den sich am Himmel lümmelnden Mond von Indien nie wieder betrachten können, ohne an diese Nacht denken zu müssen, ohne das Klingeln des Palmers zu hören, ohne sich an den Krampf in seinen Eingeweiden zu erinnern, denn er wusste, noch bevor er den Anruf beantwortet hatte, dass ihn die schlimmstmögliche Nachricht erwartete, ohne die gemessenen, gut einstudierten Worte von Privatsekretär Patak zu hören, die nach der jahrelangen Vertrautheit mit Shaheen Badoor Khan so fremd klangen, während er von unmöglichen Dingen sprach, ohne das Kreischen des Senkrechtstarters zu hören, dessen Triebwerkssausstoß die Äste der Niembäume hin und her peitschen ließ, während seine Familie sich ankleidete und im Dunkeln ein paar Sachen packte, aus Angst, zu hell erleuchteten Zielscheiben für das zu werden, was das Haus Rana ins Verderben stürzen wollte. Das Licht wird sich ihm für immer als Klang einprägen. Am schlimmsten findet er, dass sie auch den Mond besudelt haben.

»Vikram, ich muss wissen, ob wir imstande sind, den Awadhis Widerstand zu leisen.«

Chowdhury wackelt mit dem Kopf. »Die Air Force ist hundertprozentig einsatzbereit.«