Krishan spürt den Regen kaum. Am meisten wünscht er sich, Parvati von diesem sterbenden Garten wegzubringen, durch die Türen hinaus auf die Straße, und nie mehr zurückzublicken. Aber er kann nicht annehmen, was ihm geschenkt wird. Er ist ein unbedeutender Vorstadtgärtner mit einem Arbeitszimmer im Haus seiner Eltern, einem kleinen Dreirad-Laster und einer Werkzeugkiste, er ist nur jemand, der eines Tages einen Anruf von einer hübschen Frau erhielt, die in einem Hochhaus lebte und ihn beauftragte, einen Garten im Himmel anzulegen. Und der Gärtner legte den Garten auf dem Dach für die schöne, einsame Frau an, deren beste Freunde nur in Geschichten existierten, und dabei verliebte er sich in sie, obwohl sie die Ehefrau eines mächtigen Mannes war. Und nun, während eines großen Sturms, bittet sie ihn, mit ihm in ein fernes Land zu fliehen, wo sie glücklich bis an ihr Ende leben können. Das alles ist zu groß und zu plötzlich. Zu einfach. Es ist Stadt und Land.
»Womit wollen wir Geld verdienen? Und wir brauchen Reisepässe, wenn wir Bharat verlassen wollen. Hast du einen Reisepass? Ich nicht. Wie bekomme ich einen? Und was wollen wir tun, wenn wir dort sind, wie wollen wir leben?«
»Wir werden einen Weg finden«, sagt Parvati Nandha, und diese fünf Worte eröffnen Krishan die Möglichkeiten dieser Nacht. Es gibt keine Regeln für Beziehungen, keine Pläne für Landschaftsgestaltung und Pflanzenaufzucht und Gartenpflege. Ein Haus, ein Arbeitsplatz, eine Karriere, Geld. Vielleicht sogar ein Brahmanenbaby.
»Ja«, sagt er. »Ja.«
Einen Moment lang glaubt er, sie hätte seine Worte nicht gehört oder missverstanden, denn sie rührt sich nicht, reagiert nicht. Krishan schöpft mit beiden Händen weißes Pulver aus der Tüte mit Unkrautvernichter. Er wirft den Staub in einer giftigen Fontäne in den Monsun hinauf.
»Weg damit!«, ruft er. »Wir können einen neuen Garten anlegen.«
Auf dem Rücken des Riesenelefanten, der dreitausend Meter über dem Vorgebirge des Himalaya in Sikkim fliegt, wird Najia Askarzadah mit einem Namaste von N. K. Jivanjee begrüßt. Er sitzt auf einem traditionellen Musnud, einem Thron aus Polstern und Kissen auf einer einfachen schwarzen Marmorplatte. Hinter dem Messinggeländer glitzern schneebedeckte Gipfel in der Nachmittagssonne. Kein Dunst, kein Smog, keine südasiatische Braune Wolke, keine Monsun-Düsternis.
»Ms. Askarzadah, ich bitte um Verzeihung für diesen billigen Taschenspielertrick, aber ich hielt es für das Beste, eine Gestalt anzunehmen, mit der Sie vertraut sind.«
Najia spürt den Höhenwind auf der Haut und die Bewegung des Holzdecks unter ihren Füßen, während das Elefantenluftschiff in den Luftströmungen dahintreibt. Sie ist hier ganz tief drin. Sie hockt sich im Schneidersitz auf ein Fransenkissen. Sie fragt sich, ob Thal es entworfen hat.
»Warum? Welche Gestalt nehmen Sie normalerweise an?«
N. K. Jivanjee breitet die Hände aus. »Irgendeine und jede. Alle und keine. Ich möchte nicht sibyllinisch erscheinen, aber das ist nun einmal die Realität.«
»Wer sind Sie also, N. K. Jivanjee oder Lal Darfan?«
N. K. Jivanjee neigt den Kopf, als wollte er sich für eine Kränkung entschuldigen. »Ach, es läuft wieder auf dieselbe Frage hinaus, Ms. Askarzadah. Beides und keins von beiden. Ich bin Lal Darfan. Ich bin Aparna Chawla und Ajay Nadiadwala — Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf die Erfahrung freue, mich selbst zu heiraten. Ich bin jede Nebenrolle und jeder Statist, jeder Passant und jedes Redshirt. Ich bin Stadt und Land. N. K. Jivanjee ist eine Rolle, die mir zugefallen zu sein scheint — oder wurde sie mir vielleicht aufgedrängt? Dies ist ein reales Gesicht, das ich mir geborgt habe — ich weiß, dass Sie immer einen Körper zur Stimme brauchen.«
»Ich glaube, ich verstehe das Rätsel allmählich.« In ihren Power-Walking-Turnschuhen wackelt Najia Askarzadah mit den Zehen. »Sie sind eine Kaih.«
N. K. Jivanjee klatscht entzückt in die Hände. »Eine, die Sie als Generation Drei bezeichnen würden. Völlig richtig.«
»Um das klarzustellen: Sie sagen mir also, dass Stadt und Land — die beliebteste Fernsehserie Indiens — intelligent ist?«
»Sie haben meine Manifestation als Lal Darwan interviewt. Sie wissen einiges über die Komplexität dieser Produktion, aber Sie haben nicht mehr als die Spitze des Eisbergs gesehen. Stadt und Land ist viel größer als Indiapendent, sogar viel größer als Bharat. Stadt und Land verteilt sich über eine Million Computer in jedem Teil Indiens, von Cape Comorin bis zum Schatten des Himalaya.« Er lächelt hinterlistig. »Es gibt Sundarbans in Varanasi und Delhi und Hyderabad, auf denen nichts läuft außer fertig ausgearbeiteten Serienfiguren, nur für den Fall, dass sie irgendwann einmal in die Handlung zurückkehren sollen. Wir sind überall, wir sind Legion.«
»Und N. K. Jivanjee?« Doch Najia Askarzadah erkennt bereits den kleinen Schritt von einem virtuellen Soap-Star zu einem illusionären Politiker. Die Kunst der Politik hat schon immer in der Kontrolle über Informationen bestanden. In einem Klima aus Schlagwörtern, Schnappschüssen und politischen Dreißig-Sekunden-Clips ist es leicht, eine falsche Persönlichkeit in der Spreu zu verstecken.
»Ich sehe die Ähnlichkeit zwischen Soaps und Politik«, sagt Najia und denkt: Dies ist eine Gen-Drei, die eine Squillion Mal intelligenter ist als du, kleine Reporterin, es ist ein Gott. »Es geht nur um Geschichten und die freiwillige Aufgabe des Zweifels und die Identifizierung des Publikums mit Figuren. Und die Handlung ist im Grunde genauso unglaubwürdig.«
»In der Politik ist das Bühnenbild normalerweise besser«, sagt die Kaih. »Ich habe genug von diesem bunten Humbug.« Er hebt die Hand in einer Mudra, und plötzlich befinden sich er auf seinem Musnud und Najia auf ihrem Fransenkissen in einem abgeschirmten Jharoka im Haveli in Brahmpur mit Blick auf den Innenhof. Es ist Nacht. Es ist dunkel. Regen prasselt auf die Jali-Holzwand. Najia spürt Spritzer auf der Haut, wo sie durch den Wandschirm aus Sandelholz dringen. »Meine größte Freude war die Feststellung, dass ein Politiker damit durchkommen kann, weniger real zu sein als ein Soap-Star.«
»Haben Sie den Befehl gegeben, Thal töten zu lassen? Man hat Bernards Zimmer völlig zerschossen. Die Leute hatten Maschinenpistolen. Ihr Mann hätte ys am Bahnhof fast erwischt, wenn ich ys nicht gerettet hätte. Wussten Sie davon?«
»N. K. Jivanjee bedauert das sehr, und er möchte Ihnen versichern, dass von ihm oder seinem Büro keine Anweisung erteilt wurde, ys zum Schweigen zu bringen. Die Dynamik eines menschlichen Mobs ist schwer vorherzusagen. In dieser Hinsicht ist die Politik leider nicht wie eine Soap, Ms. Askarzadah. Ich wünschte, ich könnte für Ihre Sicherheit garantieren, aber sobald solche Dinge in Bewegung geraten sind, ist es nahezu unmöglich, sie wieder in die Kiste zu sperren.«
»Aber Sie — er — steckten hinter der Intrige, durch die Shaheen Badoor Khan bloßgestellt werden sollte.«
»N. K. Jivanjee hatte Zugang zu Insider-Informationen.«
»Innerhalb der Rana-Regierung?«
»Innerhalb des Rana-Haushalts. Der Informant war Shaheen Badoor Khans eigene Ehefrau. Sie wusste seit vielen Jahren von seinen sexuellen Präferenzen. Außerdem ist sie eins der fähigsten Mitglieder meiner Strategiegruppe, die sich als Juristinnenzirkel bezeichnet.«
Der Wind bauscht die hauchdünnen Seidenvorhänge in den Raum mit dem Marmorfußboden hinein. Najia nimmt einen Hauch Weihrauch wahr. Sie windet sich in journalistischer Begeisterung auf ihrem Kissen in der zugigen Jharoka. Diese Geschichte wird sie zur berühmtesten Autorin der Welt machen.
»Sie hat gegen ihren eigenen Ehemann gearbeitet?«
»So scheint es. Sie verstehen, dass Beziehungen unter uns Kaihs ganz anders strukturiert sind als bei Ihnen. Bei uns gibt es keine Entsprechung für sexuelle Leidenschaft und Verrat. Genauso wenig können Sie unsere hierarchischen Beziehungen zu unseren Manifestationen begreifen. Aber dies ist ein Fall, wo ich glaube, dass das Soapi-Prinzip ein passendes Vorbild für menschliches Verhalten darstellt.«